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Die Nebelkrähe (oben) ist im Osten Europas beheimatet, die Rabenkrähe (unten) hat den Westen Europas besetzt.

Fotos: Silas Stein/AP/Ian Preston

Die Aaskrähe (Corvus corone) tritt in Europa in zwei deutlich unterscheidbaren Unterarten auf: Die Rabenkrähe, die ein schwarz-glänzendes Gefieder trägt, und die Nebelkrähe, erkennbar an ihrem grauschwarzen Federkleid. Die zwei Varianten unterscheiden sich genetisch kaum voneinander und können auch gemeinsame Nachkommen hervorbringen. Und doch bleiben die beiden Populationen räumlich getrennt, was letztlich dazu führt wird, dass sich im Laufe der Zeit zwei getrennte Arten herausbilden. Wie das geschehen kann, haben nun deutsche Wissenschafter herausgefunden.

Die Grenze der beiden Krähenterritorien verläuft quer durch Europa und gilt als weitgehend unveränderlich: Im Westen brüten die tiefschwarzen Rabenkrähen, im Osten die hellgrau-schwarz gefiederten Nebelkrähen. Die Trennungslinie zwischen den beiden großen Populationen, die sogenannte Hybridzone, ist nur 20 bis höchstens 50 Kilometer breit und verläuft in Deutschland ungefähr entlang der Elbe, folgt dann etwa der Ostgrenze Österreichs und macht südlich von Graz einen Knick Richtung Westen. Nur in dieser Zone kommt es zu einer Vermischung.

Mitten im Artbildungsprozess

Vögel beider Couleur paaren sich und können fruchtbare Nachkommen miteinander haben, die, was die Färbung angeht, eine Mischung ihrer Eltern sind. Die klare Begrenzung der Zone deutet allerdings darauf hin, dass es eine Selektion gegen den hybriden Nachwuchs gibt. "Wahrscheinlich befinden sich Raben- und Nebelkrähe mitten im Artbildungsprozess", meint der Evolutionsbiologe Jochen Wolf von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Mit seinem Team hat Wolf die genetischen Grundlagen der Separierung von Raben- und Nebelkrähen analysiert. Seine Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass das sprichwörtliche "gleich und gleich gesellt sich gern" auch für Krähen gilt: Die einzigen Gene, in denen sich die beiden Varianten unterscheiden, betreffen die Farbe – vermutlich bevorzugen die Tiere Partner, die wie sie selbst aussehen, schreiben die Forscher im Fachmagazin "Nature Ecology and Evolution".

Ursprünglich bildeten alle Krähen Europas eine gemeinsame Population. Ihre Trennung begann während der Eiszeit vor einigen Hunderttausend Jahren, als sie sich vor den Gletschern Mitteleuropas nach Spanien beziehungsweise auf den Balkan zurückzogen. Nach der Eiszeit kamen sie zurück, hatten sich in ihren jeweiligen Gebieten aber verändert. "Vermutlich gab es in der östlichen Population eine Mutation, die die Vögel grau 'gefärbt' hat", sagt Wolf. In der Hybridzone kamen Raben- und Nebelkrähe wieder in Kontakt. Unklar war bisher, welche genetischen Mechanismen dafür sorgen, dass die Populationen trotzdem unterschiedlich bleiben.

Blick ins Krähengenom

Um diese Frage zu beantworten, analysierten und verglichen die Wissenschafter zunächst die kompletten Genome von Raben- und Nebelkrähe. "Dabei haben wir gesehen, dass der Großteil des Erbguts bei allen Vögeln nahezu identisch ist und dass die wenigen Stellen, an denen sich schwarze und graue Krähen unterscheiden, möglicherweise mit der Färbung der Tiere zusammenhängen", sagt Wolf. "Dies haben wir nun mit einer genetischen Mischungsanalyse, einem sogenannten Admixture-Mapping, genauer untersucht." Dafür analysierten die Forscher die genetische Vermischung bei insgesamt rund 400 Tieren – aus der Hybridzone ebenso wie aus den Verbreitungsgebieten von Nebelkrähe und Rabenkrähe.

Auf diese Weise konnten die Wissenschafter erstmals die Gene identifizieren, die die Ursache für die Farbunterschiede der Vögel sind. "Es sind in der Hauptsache nur zwei genetische Faktoren. Zudem haben wir festgestellt, dass diese miteinander interagieren", sagt Wolf. Der Zustand beider Gene gemeinsam bedingt, welche Farbe resultiert. Zusätzliche Analysen zeigten, dass das komplette restliche Erbgut frei zwischen den Populationen wandern kann – es findet sich also sowohl bei den westlichen Rabenkrähen als auch bei den östlichen Nebelkrähen. "Nur die beiden Gene, die gemeinsam die Farbe codieren, findet man an der Hybridzone ganz scharf getrennt – da geht kein grau codierendes Allel ins schwarze Gebiet und kein schwarzes ins graue", sagt Wolf. "Das ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass es eine strenge Selektion hinsichtlich der Farbe gibt."

Mischfarbige Hybride annähernd chancenlos

Nach Ansicht der Wissenschafter ist dies ein stichhaltiger Beweis dafür, dass die Hybridzone ein klassisches Beispiel für Artbildung mit sekundärem Kontakt der neuen Spezies ist. Das klassische biologische Artkonzept, demzufolge hybride Nachkommen nicht fortpflanzungsfähig sind, greift hier noch nicht, aber es gibt keine völlig freie Vermischung der unterschiedlichen Varianten, da die Vögel möglichst gleichfarbige Partner wählen.

Deshalb haben mischfarbige Hybride auch geringere Chancen, sich fortzupflanzen. Die Isolation der Populationen ist allerdings nicht perfekt, da es zu gemischten Paarungen kommt. "Wir arbeiten gerade daran, mathematisch zu modellieren, wieviel Prozent Fehlwahl bei der aktuell beobachteten Form der Hybridzone vorkommen kann", sagt Wolf. "Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es nur wenige Prozent sind, die Fehlerwahrscheinlichkeit ist also sehr gering." (red, 31.3.2019)