Intervention von Heidrun Sandbichler vor dem Bahnhof in Innsbruck: Das Zitat eines Sonett von Emma Lazarus schleust Fragen zu einer Politik der Ausgrenzung in den öffentlichen Raum.

Foto: Miro Kuzmanovic

Mit einiger Inbrunst hat Emma Lazarus einst versucht, der New Yorker Freiheitsstatue das Ideal von Gleichheit einzuschreiben und der Nation somit das Selbstverständnis als Einwanderungsland: "Behaltet den berühmten Tand / und euren Pomp an euren alten Küsten. / Schickt mir stattdessen eure Mittellosen, / die Heimatlosen, hoffnungslos Zerlumpten, / (...) die Müden, die trotzdem nach Freiheit dürsten", heißt es in The New Colossus.

Das Sonett sollte 1893 den Spendenaufruf für den Bau des Sockels unterstützen. In dessen Innerem ist es seit 1903 auf einer Bronzetafel zu lesen. Der krasse Gegensatz zur gegenwärtigen US-Politik liegt auf der Hand. Die Dichterin aber beschäftigte schon zeitlebens die Kluft zwischen humanistischem Ideal und Wirklichkeit. Lazarus (1849-1887) stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie New Yorks, hatte die Judenpogrome in Osteuropa vor Augen, als sie sich für Flüchtlinge und Minderheitenrechte engagierte, übersetzte Heinrich Heine ins Englische. In The New Colossus widersprach sie den US-Einwanderungsgesetzen, die sich gezielt gegen Sträflinge und Prostituierte, Menschen mit geistiger Behinderung, Einwanderer aus China richteten.

Sonett als Störfaktor im durchgetakteten Alltag

Lazarus' Gedicht wird nun am Innsbrucker Bahnhofsvorplatz in einem Leuchtkasten präsentiert. Künstlerin Heidrun Sandbichler lässt es am Werbeplatz zum Störfaktor werden. Schleust Fragen zu einer immer ungenierteren globalen Politik der Ausgrenzung in den durchgetakteten Alltag des Ankommens und Abfahrens. Innsbruck sei als "geopolitischer Knotenpunkt zwischen Nord und Süd" relevant. Es ist zudem der Geburtsort Sandbichlers, die sich in ihren konzeptionellen Arbeiten häufig auf historische Quellen bezieht.

Auch in der Galerie am Polylog in Wörgl trifft man auf vielschichtige Bezugssysteme, die poetisch und auf den ersten Blick oft rätselhaft sind. Das Fragment einer Kunststoffklammer wird zum fragilen Elfenbeinturm. Tinte ist das Blut des Geistes, das Heidrun Sandbichler ihren Denkmodellen buchstäblich injiziert. Wider den Kleinmut, gegen den auch der 1795 hingerichtete Wiener Jakobiner Franz Hebenstreit anschrieb. (Ivona Jelčić, 27.3.2019)