John Lennon

Meine ersten Musikhelden habe ich im Plattenschrank meines Vaters entdeckt. Dort gab es neben den Beatles, den Stones und Udo Lindenberg auch John Lennon. Noch schön auf Vinyl. Die Lieder haben mich schon als kleiner Scheißer angesprochen, die habe ich sofort kapiert. John Lennon wirkte auf mich wie der coolste Typ der Welt, ihm schienen die Texte superwichtig, die aus seinem Leben heraus entstanden und seinen politischen Überzeugungen geschuldet waren. Er hat nie auf Hits geschielt, während Paul McCartney sehr wohl mit Michael Jackson zusammenarbeitete, damit der Laden lief.

Wegen John Lennon habe ich mir als Teenager meine Haare wachsen lassen. Ich rede mir ein, dass ich nur wegen ihm heute eine Brille tragen muss. Im White Album der Beatles war ein Poster von John drinnen, das ich in meinem Kinderzimmer an die Wand gepinnt und sofort Ärger mit meinem Vater bekommen habe. Ein Loch in dem Bild, das ging gar nicht! Auf dem Foto trug John eine kleine runde Brille. Auf dem Flohmarkt habe ich mir ein ähnliches Modell mit Fenstergläsern gekauft. Ich habe sie die ganze Zeit getragen, irgendwann wurde mein Sehvermögen ziemlich schlecht. Seitdem brauche ich eine richtige Brille.

Henri Charrière

Als ich zehn war, hatte ich einen Klavierlehrer, einen rumänischen Jazzpianisten, der mich ein bisschen erziehen wollte. Er fand, Disziplin sei im Leben wichtig, und gab mir Bücher, um meinen Charakter zu formen, wie er es nannte. Der Pate, Der Steppenwolf und eines Tages Papillon von Henri Charrière. Meine Aufgabe: das Buch auf einer DIN-A4-Seite zusammenzufassen. Damals gab es noch kein Youtube oder Wikipedia, wo ich die Inhaltsangaben hätte klauen können. Ich hatte keine Wahl, ich musste das Buch lesen, und selten hat mich eine Geschichte so gefesselt wie Papillon.

Sie handelt von einem Typen, der zu Unrecht wegen Totschlags verurteilt wurde und in Französisch-Guayana eine lebenslängliche Haftstrafe absitzen muss. Er versucht mehrmals auszubrechen, erst als älterem Mann gelingt ihm das. Und dieser Mann, der einen Schmetterling auf den Arm tätowiert hat und deshalb Papillon genannt wird, war Henri Charrière. Ich werde nie vergessen, wie er sich durchgebissen hat, trotz der Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Es herrschten furchtbare hygienische Zustände auf der Gefängnisinsel, er aß teilweise Kakerlaken, um zu überleben. Solche Bilder flashen zurück in meinen Hinterkopf, wenn ich mich in eine Sache verrannt habe, einfach keinen Ausweg finde. Dann denke ich an Papillon und reiße mich zusammen. Er ist für mich ein Ansporn geworden, nicht aufzugeben.

Mark Forster über Henri Charrière: "Er ist für mich ein Ansporn geworden, nicht aufzugeben."
Foto: Jens Koch

Mary Poppins

Ich bin mit vielen Mädels aufgewachsen, Mama, Tanten, meiner Schwester und Cousinen. Das hat meinen Film- und Hörspielkonsum geprägt. Arielle, die Meerjungfrau, Bibi Blocksberg, kenne ich alles. Am beliebtesten war bei uns Mary Poppins, die Disney-Adaption mit Julie Andrews ist der Film, den ich am häufigsten gesehen habe. Zu Hause bei meinen Eltern lag eine VHS-Kassette, die wir so oft abgespielt haben, dass das Bild schon flimmerte.

Ich liebe die Figur, sie strahlt so etwas Weises und gleichzeitig Spielerisches aus. Sie ist lustig, fantasievoll, geht mit Würde durchs Leben und hat ein Gespür für Timing. Sie weiß, wann die Zeit gekommen ist, um zu gehen. Wir haben den Film gesehen, wenn wir mit der Familie zusammensaßen, zu Weihnachten, Ostern oder in den Sommerferien. Ich habe sie manchmal komplett in Polen verbracht, weil meine Mutter von dort kommt. Die Familie ist auf der ganzen Welt verstreut, im Sommer treffen sich alle in diesem einen Dorf bei Warschau, und dann schaut man abends zum 100. Mal den Film.

Falco

Als ich begonnen habe, Viva und MTV zu gucken, Mitte der 90er-Jahre, war die Hochzeit von Falco schon vorbei. Über meinen Klavierlehrer habe ich erst gecheckt, wer das ist. Im Unterricht haben wir Popsongs analysiert, Pink Floyd, Sting, aber auch Rock Me Amadeus. An dem Song finde ich interessant, dass er ähnlich wie Sting vom Bass her kommt. Die Basis ist nicht die große Melodie, wie wir das von Queen kennen.

Der Groove ist wichtiger. Kürzlich habe ich einen Film über Falco gesehen. Dieser unglaubliche Druck, den er sein ganzes Leben lang gespürt hat – als jemand, der aus einem kleinen Land kommt und eine Nummer eins in Amerika hatte. Es gibt diese schöne Geschichte, dass alle diese Platzierung gefeiert haben, nur Falco irrsinnig traurig danebensaß. Weil er wusste: Viel mehr geht nicht. Das ist die Tragödie seines Lebens. Ich habe mich danach selber befragt und festgestellt, dass mir der Weg zum Erfolg wichtiger ist, das Musikmachen, die Touren, nicht, wo ein Lied in den Charts landet. Als Falco 1998 starb, das Lied Out of the Dark herauskam, hat man ihm das Verzweifelte angehört. Er hat durch den Tod eine ganz andere Wucht bekommen, eine bittere Wahrheit.

Peter Fox

Als ich vor zehn Jahren nach Berlin gezogen bin, hatte ich das Glück, schnell einen Übungsraum in einer Kreuzberger Fabriketage zu bekommen. Da stellte ich Computer und Klavier rein, fertig war mein Mini-Tonstudio. Auf der gleichen Etage hatten damals Seeed ihren Proberaum, ich, das Landei, war hautnah dabei, als Sänger Peter Fox dort sein legendäres Album Stadtaffe aufnahm. Diese Platte hat die deutsche Musiklandschaft verändert. Peter Fox hat es geschafft, dass deutsche Sprache elegant klingt. Deutsch ist hart, hat viele Zischlaute und reimt sich schlecht.

Weil es ein Sprachlego ist, wie Brian Eno einmal gesagt hat. Man kann sich selber endlos Worte bauen, muss am Ende aber konkreter sein als auf Englisch. Sonst hört man sich sofort belanglos an. Nicht bei Peter Fox. Eigentlich ist es verboten, über Berlin zu texten, wenn man nicht Harald Juhnke oder Marlene Dietrich heißt, doch er hat mein Stadtgefühl als Zugezogener formuliert, ohne Berlin ständig beim Namen zu nennen. Zum Beispiel im Lied Schwarz zu blau, diese Beschreibung der grauen Morgen, wenn man aus dem Club rauskommt, sich ausgekotzt, aber gut dabei fühlt. Dass ich als Randerscheinung bei der Albumproduktion dabei sein durfte, dass wir uns an der Kaffeemaschine auf dem Flur gesehen haben, während er an seiner Musik feilte, das bedeutet mir nach wie vor viel.

"Ich ziehe fast nur noch dunkle Sachen an", bezieht sich Forster auf sein Vorbild Steve Jobs.
Foto: Jens Koch

Steve Jobs

Es ist eine Leistung, unser aller Leben mit technischen Mitteln neu gestaltet zu haben. Wie wir Musik kaufen und konsumieren, wie wir kommunizieren und arbeiten. Der iPod hat definitiv die Geschwindigkeit erhöht, mit der ich Musik höre. Früher habe ich mehr Zeit mit Alben verbracht, heute brauche ich schnell neuen Stoff. Einerseits höre ich dadurch mehr, bekomme mehr Input für meine Songs, andererseits verknalle ich mich kaum noch richtig in Platten, die ich über Jahre höre.

Auch vom Stil her ist Steve Jobs für mich ein Vorbild. Ich mag es, wenn Menschen Dinge vereinfachen und dabei gut aussehen. Mir imponiert, dass er die letzten 20 Jahre seines Lebens sein Outfit kaum verändert hat. Seine schwarzen Rollkragenpullover, die er in Japan bestellt hat und in 50-facher Ausführung im Schrank hatte. Dazu Jeans, Sneakers und eine runde Brille. Das sah gut aus, besaß eine künstlerische Klarheit. Mir ist aufgefallen, dass ich mich in eine ähnliche Richtung bewege. Noch kein Hardliner, aber ich ziehe fast nur noch dunkle Sachen an – wie heute. Schwarzes Oberteil, dunkle Jeans, weiße Turnschuhe, meine Brillengestelle werden einfacher, meine Basecaps haben keine knalligen Schriftzüge mehr.

Anna Maria Jopek

Die polnische Jazzsängerin wurde bekannt, als sie 1997 am Eurovision Song Contest teilnahm. Der Wettbewerb ist ein ganz großes Ding in Polen. Die Deutschen finden ihn ironisch gut, aber die Polen mögen die Musik, die bunten Klamotten, die verrückten Tänze, diese leicht trashige Osteuropa-Ästhetik – weil man eben selbst Osteuropäer ist. Ich habe nie im Land gelebt, nur von meiner Mutter die Sprache gelernt und kann akzentfrei wie ein höflicher Elfjähriger sprechen.

Über Anna Maria Jopek habe ich ein anderes Vokabular kennengelernt, sie singt blumiger und poetischer über das Leben, als meine Tanten reden. Mein Lieblingslied heißt auf Deutsch "Wenn ich einmal nicht mehr da bin ", eine 20 Jahre alte Ballade, damals in meiner Teenagerdepression gefielen mir solche Songs unheimlich gut. Sie ist die einzige Künstlerin des Landes, von der ich Fan bin. Demnächst will ich sie live sehen, wenn sie nach Deutschland auf Tour kommt. In Polen würde mir nie einfallen, aufs Konzert zu gehen. Sobald ich das Land betrete, fühle ich mich wie ein Achtjähriger und kann mir nicht vorstellen, normale Erwachsenensachen zu machen.

Roger Willemsen

Ende der 90er-Jahre dachte ich, ach, Roger Willemsen, das ist ein Fernsehfritze von Premiere. Ich habe ihn als Person des öffentlichen Lebens nicht ernst genommen, ohne wirklich eine Sendung mit ihm gesehen zu haben. Dann habe ich vor zehn Jahren ein Buch von ihm gelesen, darin hat er seine Erlebnisse beschrieben, wie es war, Stars wie Madonna oder den Dalai Lama zu interviewen. Gar nicht die Gespräche selber haben mich fasziniert, sondern seine Beobachtungen drum herum.

Da habe ich kapiert, von ihm kann man sich etwas abgucken. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages auch so werde, wie er war. Unendlich neugierig und aufrichtig. Ich habe höchstens Schübe, in denen ich wissbegierig bin. Roger Willemsen hatte eine tiefsitzende Neugier, ich meine, der Mann hat sich ein Jahr lang in den Bundestag gesetzt, um zu verstehen, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Das halte ich für eine großartige Idee. Und er wirkte auf mich vorbehaltlos. Ein so kluger Mann ohne Vorurteile. Ich hätte ihn gern einmal getroffen. Kurz nach seinem Tod habe ich mir im Netz ein paar Videos mit ihm angesehen, unter anderem, als er an einer Art Spieleabend mit Charlotte Roche und dem Rapper Ferris MC teilgenommen hat. Man fragt sich automatisch: Warum macht er das? Will er jugendlich sein? Nein, das glaube ich nicht. Er schien wirklich fasziniert, neue Menschen kennenzulernen.

Fritz Walter

Ich komme aus Winnweiler, einem Kleinstkaff in der Nähe von Kaiserslautern. In der Pfalz gibt es viel Platz – und Fritz Walter. Er ist der große Held der Region, die Lichtgestalt des 1. FC Kaiserslautern. In Berlin scheint mir das nicht so wichtig, bei uns ist der Fußballverein identitätsstiftend für die gesamte Gegend. Fritz Walter ist der Grund dafür. Mit ihm wurde der FCK in den 1950er-Jahren Bundesliga-Meister, er war der Kapitän der Nationalmannschaft, die 1954 Weltmeister geworden ist. Wenn es regnete, hieß es: Ah, es ist Fritz-Walter-Wetter. Weil er bei solchem Wetter besonders gut spielte. Ich wollte als Kind ein Fußballer wie er werden und hatte anfangs eine vielversprechende Karriere als Torkrokodil beim 1. FC Winnweiler. Ich war der Stürmer, der lange Zeit träge vor dem Tor herumsteht und plötzlich zuschnappt. In der B- und C-Jugend war ich dann größer als die anderen Jungs, ich sah danach aus, als könnte ich gut Fußball spielen, weswegen mir die gegnerische Manndeckung in der ersten Viertelstunde nie von der Pelle gerückt ist. Bis sie gemerkt hat, dass Andi, der kleine Stürmer neben mir, viel besser spielte. (Ulf Lippitz, RONDO, 1.4.2019)