Oguzhan Öktem gibt in Bayern auch weiterhin Islamunterricht.

Foto: Patrick Guyton

Im Chor sprechen sie zu Beginn des Unterrichts ein kleines Gebet. Der Lehrer Oguzhan Öktem sagt es vor an diesem Morgen um 9.50 Uhr: "Lieber Allah, bitte helfe mir, dass ich heute gute Sachen lerne." Dann zeigt Öktem den Kindern Zeichnungen: Thema ist der Prophet Yusuf, den seine Brüder erst aus Eifersucht in den Brunnen geworfen haben. "Und dann haben sie ihn in Ägypten zum Sklaven gemacht", weiß die achtjährige Ebru (Kindernamen von der Redaktion geändert). "Kann man Menschen heute verkaufen?", fragt der Lehrer. "Nein", rufen die Kinder laut und empört.

Islamunterricht in Bayern für Schüler aus der ersten und zweiten Klasse. Die Grundschule Am Wald in Taufkirchen, südliches Münchner Umland, bietet das schon seit zehn Jahren an. Doch in den letzten Monaten gab es in der Landespolitik Debatten darüber, ob dieses Modell weitergeführt oder eingestellt werden soll. Am Dienstag beschloss das Kabinett, am Unterricht festzuhalten. "Mir fällt wirklich ein Stein vom Herzen", sagt Öktem.

Sollen muslimische Kinder im Islam unterrichtet werden? Von wem? Mit welchen Lehrplänen? In Deutschland hat sich bei diesem Thema ein föderaler Fleckerlteppich gebildet. Das Modell in Bayern aber gilt bundesweit als einzigartig, nur in Schleswig-Holstein gibt es etwas Ähnliches: In deutscher Sprache werden die Kinder von staatlich ausgebildeten und vom Staat bezahlten Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet.

"Neutrale Islamkunde"

Von vielen Fachleuten wird das Modell hoch gelobt. Das Schulfach Islam ist kein konfessioneller Religionsunterricht, sondern, so das zuständige Kultusministerium, "weltanschaulich-religiös neutrale Islamkunde kombiniert mit Werteerziehung". Minister Michael Piazolo von den Freien Wählern (FW) erklärt, der Unterricht stärke die "Integration und Wertebildung der Muslime in Deutschland". Mit den bürgerlichen FW muss die CSU seit Herbst 2018 koalieren.

Taufkirchen-Am Wald ist ein in den 1970er-Jahren aus dem Boden gestampftes Viertel mit vielen Sozialwohnungen und hohem Migrantenanteil. "Mich kennt hier jeder", sagt der 49 Jahre alte Lehrer Öktem. Denn die allermeisten muslimischen Kinder aus dem Stadtteil haben oder hatten schon Unterricht bei ihm. "Wir fangen viele Kinder auf", meint er, "die brauchen uns."

Öktem selbst ist in München geboren und aufgewachsen, seine Eltern stammen aus der Türkei. Die Schulleiterin Hildegard Höhn stellt fest: "Der Islamunterricht ist für alle Kinder wichtig. Denn er zeigt, dass die Muslime auch eine Religion haben."

Der Schüler Bassam wird von den anderen auf ein dunkles Tuch gelegt, er wird symbolisch in den Brunnen geworfen wie der Prophet Yusuf. Dessen Geschichte gibt es übrigens auch im Juden- und im Christentum, sie entspricht der Josefserzählung im 1. Buch Mose. "Wie fühlst du dich im Brunnen?", fragt Lehrer Öktem. "Nicht gut, ich habe Angst", sagt Bassam. Öktem spricht von den Brüdern, die sich benachteiligt fühlen. "Neid macht unglücklich", sagt er.

Gefühle im Unterricht

"Wir behandeln im Unterricht die Gefühle", sagt Öktem. "Die guten und die schlechten, und wir denken darüber nach." Der Lehrer ist sich sicher: "Durch den Unterricht fühlen sich die Kinder in ihrer Religion viel sicherer, dadurch wachsen Verständnis und Toleranz." Immer wieder besuchen sie im Unterricht auch christliche Kirchen. Durch das Schulfach bringen sich die Eltern mehr ein, bemerkt Öktem. Mit Problemen kommen sie zu ihm. Würde es den Unterricht nicht geben, würden sie sich mit den Kindern mehr den Moscheen zuwenden, wo häufig sehr traditionell und streng gelehrt wird, meint der Lehrer. Und die Muslime in Taufkirchen-Am Wald würden zersplittern. Denn nicht alle stammen aus der Türkei, manche sind aus Bosnien, Albanien oder den Maghreb-Staaten.

Laut Kabinettsbeschluss wird das Modell nun zwei Jahre weitergeführt und soll danach zu einem regulären Wahlpflichtfach werden. Dementsprechend müsste der Unterricht ausgebaut werden. Die CSU war bisher sehr zögerlich – auch aus Angst vor der AfD, denn die Rechtspopulisten hatten im Herbst im Wahlkampf plakatiert: "Islamfreie Schule!" Derzeit nehmen 16.500 Kinder in Bayern – zehn Prozent aller muslimischen Schüler – an dem Unterricht teil. Er wird an 350 Schulen angeboten. Die Grünen als größte Oppositionspartei verlangen, den muslimischen mit dem christlichen Religionsunterricht gleichzustellen.

Bunte Bilder

Öktem ist ein Lehrer mit einem langen Pferdeschwanz. Der Islam, den er in seinem Unterrichtszimmer zeigt, ist knallbunt. Farbfotos von Mekka und der Hagia Sophia in Istanbul hängen an der Wand. Kleine selbstgebastelte Moscheen aus Papier stehen auf den Fensterbänken, sie sind in Grün, Blau oder Rosa angemalt.

Auch jede Menge christliche Kirchen wurden über die Jahre schon gefertigt. Die Wände vor dem Zimmer sind gepflastert mit hunderten aus Zeitschriften ausgeschnittenen Tieren, die die Kinder auf Plakate geklebt haben. "Die Tiere von Allah" steht dabei. Diese offene Haltung soll auch gegen Radikalisierung wirken.

Zum Ende der Doppelstunde Islamunterricht bekommen die Kinder den Propheten Yusuf auf Papier, zum Ausschneiden, Ins-Heft-Kleben und Bemalen. Vor allem sein Hemd ist kompliziert. Dazu läuft ein Lied vom Band, eine helle Kinderstimme singt: "Allah hat die Menschen erschaffen." Es gongt, die Kinder rasen in die Pause und rufen noch: "Auf Wiedersehen, Herr Öktem." (Patrick Guyton aus München, 27.3.2019)