Literatur, die sich mit Dämonen befasst und sie im besten Fall in Schmetterlinge verwandelt: die 1981 geborene Elisabeth R. Hager

Foto: Britta Burger

Fast immer ist die Rückkehr komplizierter, als das Verschwinden es war. Und wenn in der Literatur eine Figur aus der Fremde in ihre Heimat zurückkehrt, kommt sie als anderer, zuweilen befremdeter Mensch zurück. Das ist in Frischs Stiller so und erst recht in Dürrenmatts Besuch der alten Dame, in der Claire Zachanassian ihr Heimatdorf Güllen heimsucht, das sie einst als Kläri Wäscher verließ.

Auch Illy, die Ich-Erzählerin von Elisabeth R. Hagers zweitem Roman Fünf Tage im Mai, ist nach der Matura verschwunden: nach Wien, Berlin und Marseille, wo sie studierte. Ein verpasster Abschied und eine frühe Lebenskatastrophe waren allerdings auch im Ausland immer mit im Gepäck. Nach Jahren kehrt Illy, mittlerweile 25 Jahre alt, im Roman in ihr Tiroler Heimatdorf zurück. Dort warten eine alte Schuld, der bekannte Schmerz und der Tat'ka gerufene Urgroßvater, dessen hundertster Geburtstag ansteht.

Dieser Uropa väterlicherseits, ein 1904 geborenes Original von beträchtlicher Sturheit und seines Zeichens ältester Bewohner des Dorfes, hat nicht nur in der Familie viele überlebt, er ist auch in seinem Beruf, der Fassbinderei, der Letzte seiner Art. Aus der geplanten Feier wird ein Begräbnis, denn Tat'ka stirbt kurz vor seinem Geburtstag. Vorher hat der wortkarge Alte seiner Urenkelin aber ein Geheimnis verraten und ihr damit indirekt einen Rat gegeben, der überlebenswichtig sein könnte.

Über die Liebe und anderes

Die 1981 in St. Johann in Tirol geborene Elisabeth R. Hager, die nach dem Studium in Berlin hängenblieb und gegenwärtig mit Mann und Tochter zwischen der deutschen Hauptstadt und Neuseeland pendelt, hat das Thema der langsamen Rückkehr und der Konfrontation mit der Herkunft schon 2012 in ihrem Debütroman Kometen durchexerziert.

Es ist auch in Fünf Tage im Mai, einem Roman über Abschied, Schmerz, Selbstmord und Liebe präsent, und es gehört zu den Stärken des Buches, dass es von den vielen existenziellen Themen nicht erdrückt wird. Letzteres hängt neben dem kraftvoll-lakonischen, nie larmoyanten Ton Hagers vor allem mit der Art zusammen, wie die Autorin ihren Stoff arrangiert.

Fünf Kapitel umfasst der Roman. Jedes blickt auf einen Mai-Tag in verschiedenen Lebensphasen der Erzählerin zurück. Epizentrum der Geschichte ist neben Tristan, dem ersten, unglücklichen Geliebten Illys, vor allem Tat'ka, der für sie das stets verlässliche Bollwerk gegen die Zumutungen des Alltags und elterliche Befehlsketten bildete. Er liebte seine Urenkelin bedingungslos. Es beruhte auf Gegenseitigkeit.

Lebensbewegungen

Diese generationenübergreifende Liebe zieht dem Roman über die Verschrobenheit des wehrhaften Alten, dessen Leben ein ganzes Jahrhundert und zwei Weltkriege umspannt, eine versöhnliche, manchmal lustige Ebene ein. Subtil skizziert das Buch über die Geschichte des ungleichen Paares zudem zwei gegenläufige Lebensbewegungen. Die eine führt Tat'ka – und nicht nur ihn – vom Leben in den Tod, während der Weg der Erzählerin von der Depression ins (Weiter-)Leben führt.

Literatur, sagte Elisabeth R. Hager in einem Interview, befasse sich mit Dämonen, um sie im besten Fall in Schmetterlinge zu verwandeln. Das ist ihr mit ihrem atmosphärisch dichten Buch gelungen, das sein Geheimnis erst spät lüftet. Es geht rasant dahin in diesem Roman, wobei die Autorin ihre gut geölte Metaphernmaschine mit Sätzen wie "Unsere Laute waren Putzlappen, mit denen wir vergeblich versuchten, den Schmerz aufzuwischen" manchmal zu hochtourig laufen lässt. Auch das Kunsttirolerisch Tat'kas ist gewöhnungsbedürftig.

Immerhin lassen sich einige vergessene Tiroler Sager und Flüche lernen. Einer, "Reintei, Freintei", wird leitmotivisch eingesetzt. Er bedeutet laut der Autorin ungefähr "Ui, mein Freund!". Elisabeth R. Hager hat ihn in die Literatur eingeschrieben. Er hallt nach, so wie dieser Roman, der vom Aus-der-Zeit-Fallen handelt – und von Figuren, die sich nicht einfangen lassen. Früher nicht, heute nicht, niemals. (Stefan Gmünder, 27.3.2019)