Präsident Abdelaziz Bouteflika (re.) mit Algeriens Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah bei einem Treffen vor wenigen Wochen. Salah forderte die Absetzung des Präsidenten.

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Algeriens Protestbewegung gibt sich unnachgiebig und fordert weiterhin einen tiefgreifenden Systemwechsel. Doch ihre Forderung nach der Absetzung von Präsident Abdelaziz Bouteflika, deren Verwirklichung offenbar kurz bevorsteht, könnte sich zum Bumerang entwickeln. Andere mit Bouteflikas Clan rivalisierende Fraktionen im Machtapparat drängen unaufhaltsam zurück an die Macht und stellen die Weichen für einen regimeinternen sanften Putsch.

Nachdem Algeriens Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah am Dienstag seine Zurückhaltung in Sachen konkreter politischer Vorstöße aufgegeben und Bouteflikas vorzeitige Absetzung gefordert hat, wird ein von Teilen des Sicherheitsapparates gelenkter Übergangsprozess immer wahrscheinlicher. In einer Ansprache forderte der 78-jährige General die Anwendung von Artikel 102 der Verfassung, nach dem das Staatsoberhaupt für regierungsunfähig erklärt werden kann.

Schaler Beigeschmack

Zwar würde durch die Anwendung des Artikels der Weg für ein vorzeitiges Ende von Bouteflikas Präsidentschaft freigemacht werden, doch die Erklärung des Armeechefs hat einen mehr als schalen Beigeschmack und riecht nach direkter Einmischung des Sicherheitsapparates. Oppositionsparteien und NGOs reagierten mit heftiger Kritik.

In der Tat mutet der Vorstoß Gaïd Salahs, der explizit betonte, die Verfassung zu beachten, grotesk an. Schließlich war die hinter Bouteflika stehende Staatsführung mit ihren Ankündigungen vom 11. März von ebenjenem verfassungsrechtlichen Pfad abgewichen. Damals hatte der Staatschef in einem Brief, dessen Urheberschaft mehr als unklar ist, die für April geplante Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit verschoben, Regierungschef Ahmed Ouyahia entlassen und versprochen, bei den nächsten Wahlen nicht wieder anzutreten.

Derweil obliegt es keinesfalls der Armee, die Bestimmungen von Artikel 102 umzusetzen, sondern dem Verfassungsrat. Stellt dieser fest, dass der Staatschef "völlig unfähig ist, seine Aufgaben zu erfüllen", kann das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit den Vorsitzenden des Senats als "geschäftsführenden" Präsidenten einsetzen. Hält die Verhinderung des Präsidenten an, könnte das Amt als vakant erklärt und Neuwahlen ausgerufen werden.

Der während der Massenproteste ebenfalls massiv angefeindete Expremier Ahmed Ouyahia forderte derweil erst gestern Bouteflikas Rücktritt. Die von ihm geführte Regierungspartei RND droht zwar derzeit an internen Flügelkämpfen zu zerbrechen, doch die von Ouyahia geführte Fraktion der Partei, der enge Verbindungen zum Geheimdienstapparat nachgesagt werden, könnte von Bouteflikas Absetzung profitieren und sich zum neuen zivilen Aushängeschild des Regimes mausern. Zentrale Figur in einem solchen Szenario wäre Senatspräsident Abdelkader Bensalah, der aller Voraussicht nach als geschäftsführender Staatspräsident eingesetzt werden könnte. Bensalah entstammt Ouyahias RND und würde bei der Organisation von Neuwahlen eine wichtige Rolle spielen. (Sofian Philip Naceur, 27.3.2019)