Nach einem Sturm hängt dieses Wahlplakat der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko kopfüber. Sie selbst will natürlich erhobenen Hauptes aus der Präsidentenwahl hervorgehen.

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Kurz vor der Präsidentenwahl in der Ukraine wurde das Rennen noch einmal enger, die Abstände zwischen den Kandidaten kleiner, die Rhetorik schärfer, die Angriffe persönlicher. Und der Maidan brodelt wieder: Vor einigen Tagen marschierten mehrere Tausend Nationalisten auf dem symbolträchtigen Platz auf, ausgestattet mit den blau-gelben Fahnen der radikalen Swoboda-Partei und den rot-schwarzen Bannern mit dem weißen Dreizack des paramilitärischen Rechten Sektors. Ein Korruptionsskandal in der Armee hatte die Rechten aufgebracht, die am Ende Richtung Präsidentenpalast zogen und das von Polizisten abgeschirmte Gebäude mit Plüsch-Schweinchen bewarfen.

Leute aus der Umgebung des Präsidenten sollen sich kräftig am Militärbudget bereichert haben, unter anderem mit der illegalen Einfuhr von Ersatzteilen für Panzerfahrzeuge – ausgerechnet aus Russland –, die anschließend zu Wucherpreisen an die eigene Armee verschachert wurden.

Petro Poroschenko hat zwar Reformen für den Rüstungssektor angekündigt, doch der Imageschaden für den Präsidenten, der mit dem Slogan "Armee, Sprache, Glaube" angetreten war, ist groß. Denn das Versprechen bezüglich der Stärke der Armee und der Rückholung von Donbass und Krim sind die Säulen, auf die sich sein Wahlkampf stützt, der sich vor allem an nationalistisch gerichtete Kräfte richtet.

Immer wieder versucht Poroschenko auf Kundgebungen, seine Anhänger mit dem Thema der russischen Aggression und seiner eigenen Rolle bei der Sicherung der Eigenständigkeit der Ukraine – beispielsweise mit einer eigenen ukrainisch-orthodoxen Kirche – zu mobilisieren. Der Skandal kommt da reichlich ungelegen.

Zumindest in Kiew ist der Rückhalt für Poroschenko nicht besonders groß: "Ich lasse niemanden die Armee bestehlen, nur damit ich sie selbst bestehlen kann", lacht der Kiewer Igor dessen Parolen aus. Igor hat aber auch für die anderen beiden führenden Kandidaten wenig Sympathie übrig: Julia Timoschenko, die populistisch mit der Halbierung des Gaspreises wirbt, habe in ihrer Zeit als Premierministerin genug Schaden angerichtet, meint er. Wer sie wähle, müsse an Demenz leiden.

Kritik an allen

"Und ein Komiker hat uns gerade noch gefehlt", kommentiert Igor die Kandidatur des ukrainischen Schauspielers Wladimir Selenski für das höchste Amt in der Ukraine.

Gegen den 41-Jährigen läuft in der Tat eine scharfe Kampagne im Internet: Er sei die Marionette des Milliardärs Igor Kolomoisky, heißt es. Kolomoisky – Bankier und einst Gouverneur – ist einer der dubiosesten und am meisten verhassten Oligarchen in der Ukraine. Trotzdem führt Selenski in den Umfragen: Die meisten Meinungsforschungsinstitute des Landes sehen ihn bei etwa 25 Prozent, während die Daten für Timoschenko und Poroschenko zwischen zwölf und 19 Prozent schwanken. In einer möglichen Stichwahl allerdings schmolz der Vorsprung Selenskis gegenüber diesen beiden zuletzt deutlich.

Selenski ist den meisten Ukrainern durch seine Satireshow 95. Stadtbezirk und aus der TV-Serie Diener des Volkes bekannt, wo er einen Lehrer mimt, der eher zufällig zum ukrainischen Präsidenten wird und dort unbedarft, aber ehrlich gegen die Korruption ankämpft. Der Kampf gegen die Korruption ist auch der wichtigste Stoff seines Wahlkampfs. Originell ist das nicht, denn das Thema haben natürlich alle 39 Kandidaten auf der Agenda.

Dafür ist die Wahlkampfinszenierung Selenskis einzigartig: "Wir verteilen keine Handzettel an Infoständen, wir organisieren keine Großkundgebungen mit Auftritten von Selenski. Wir gewinnen unsere Anhänger über die sozialen Netzwerke und über Wahlkampfbüros", sagt Konstantin. Auch der Mittvierziger ist so zur Kampagne gekommen. Er habe Selenski vor über 20 Jahren bei der Comedy-Sendung KWN kennengelernt und sich sofort entschlossen, als Freiwilliger zu helfen, als er von dessen Kandidatur hörte. "Inzwischen haben wir mehr als eine halbe Million Freiwillige", sagt er. Die können sich – wie Konstantin – im Wahlbüro engagieren, oder online Vorschläge für Wahlkampf und künftiges Programm einbringen.

Mit Satire zum Sieg?

Wichtigstes und erfolgreichstes Stilmittel in Selenskis Wahlkampf sind aber seine Auftritte mit der Satireshow. In jeder Stadt tritt der Schauspieler zweimal auf: einmal vor zahlendem Publikum und dann gratis vor Rentnern und sozial Bedürftigen. Mit jeder gelungenen Pointe gegen Poroschenko kommt er dem Präsidentenamt näher.

Das Problem: Selenski benennt die bestehenden Probleme klar, doch sein eigener politischer Kurs bleibt ungewiss. Seine Aussagen über den Donbass oder den Wiederaufbau der Wirtschaft gehen nicht über Allgemeinplätze hinaus. Sein Pressedienst schirmt ihn hermetisch von den Medien ab. Und so bleibt unklar, ob der Favorit auf die Präsidentschaft dieser gewachsen ist. (André Ballin, 28.3.2019)