Franz Xaver Messerschmidt: "Der Schaafkopf" (1777/1783)

© Belvedere, Wien

Arnulf Rainer: "Steine unter der Lippe" (1975-1976)

Foto: © Belvedere, Wien

Mara Mattuschkas Blick auf Messerschmidt ("Messerschmidt 4", 2018)

Courtesy the artist, © Bildrecht, Wien, Foto: Pixelstorm, Vienna

Maria Lassnig: "Sonnenbader (Sphinx)" (1964/65)

Privatsammlung, Wien © Simon Hanzer

Bruce Nauman: "Studies for Holograms, a – e" (1970)

Foto: Privatsammlung Berlin © Bruce Nauman/ Bildrecht Wien, 2019

Hashtagsieger ist definitiv Klimts Kuss. In Sachen Selfie-Kulisse hat das Belvedere aber noch einen anderen populären – genauer: ganze 16 davon – Publikumsmagneten im Angebot: Zum Duckface provozieren die grimassierenden "Charakterköpfe" von Franz Xaver Messerschmidt (1736-1783) die Instagrammer allerdings nicht. Viel eher inspirieren sie zum fröhlichen Fratzenschneiden.

Lachen ist die unmittelbarste Reaktion auf diese bizarren Entgleisungen des Gesichts, dabei sind es Wut, Angst, Ekel – Extremsituationen der menschlichen Psyche – die sich in dem zur Maske verzerrten Antlitz spiegeln. Dass sie auch nachdenklicher, ernster stimmen können, zeigt sich aktuell in der Orangerie im Unteren Belvedere. Der Kontext macht's: In Nachbarschaft mit Gegenwartskunst, die in der Verfremdung des Gesichts die Expressivität und Emotionalität zu steigern suchten, bekommen Messerschmidts lustige Fratzen plötzlich etwas Existenzielles. Schmerz taucht auf. Wahnsinn.

Ein Erbösewicht heißt einer der berühmten Köpfe, Ein abgezehrter Alter mit Augenschmerzen ein anderer. Mürrisch, wollüstig, naseweis, lauten wenig schmeichelnde Attribute. Alles Titel, die die Nachwelt des Barockbildhauers für die Schädel erfunden hat. Messerschmidt selbst nannte sie "Kopf-Stückhe" oder "Schnabelköpfe".

Die Intensität der Mimik, sie fasziniert auch 250 Jahre danach. Die Rätselhaftigkeit ihrer Entstehung tut das Ihre dazu. Warum schuf Messerschmidt sie? Und vor allem wie? Als Selbststudie vor dem Spiegel? Der Mythos, es handele sich um Selbstporträts hält sich bis heute. Erst 2011 erneuerte der Psychiater Michal Marálek die These, Messerschmidt hätte an der Nervenkrankheit Dystonie und einer Psychose gelitten.

Persönliche Schätze

Seine Schöpfungen hält die Forschung für persönliche Schätze des Künstlers. Denn Messerschmidt hat keinen der Köpfe aus der auf 69 Stück geschätzten Serie zeit seines Lebens verkauft. Sie müssen einen besonderen Stellenwert für ihn gehabt haben. Erst Recht wenn man bedenkt, dass sie in kostbaren Materialien wie Alabaster gefertigt oder in Zinn oder Blei gegossen wurden.

Fragen, die sich an ein stummes Gegenüber richten. So gesehen kann man die aktuelle Schau Talking Heads, so wie jenen Dialog mit Tony Craggs Kopfstudien 2008, auch als Versuch ansehen, die Arbeiten zum Sprechen zu bringen. Und tatsächlich wird Messerschmidt im Kreis der Versammelten redselig: Dämonisch und zugleich verletzlich wirken die von Arnulf Rainer übermalten Fotoreproduktionen der Charakterköpfe. Maximale Entstellung des eigenen Gesichts strebte er auch mit der Serie Face Farces an: Arbeiten, deren Dramatik unter die Haut geht. Ähnlich intensiv sind die Körperbewusstseinsbilder von Maria Lassnig, die Köpfe zu einer schier schmerzenden Monstrosität deformierte. Während bei Bruce Nauman tatsächlich der Physiognomie körperliche Gewalt angetan wird.

Gefährliche Typologien

Zur gelungenen Konversation tragen auch Konzeptarbeiten wie die von Kurt Kren und Anna Artaker bei. Kren filmte die 48 Köpfe aus dem sogenannten Szondi-Test ab. In den 1940ern wollte man an der Sympathie mit den Porträts bestimmter Psychiatriepatienten Defizite und Typologien der Testpersonen herauslesen. Artaker legt das um auf Totenmasken von Persönlichkeiten des Sowjetregimes. Spiegelt sich in den Gesichtern historische Wahrheit? Oder gar Charakter? (Anne Katrin Feßler, 28.3.2019)