"Während es in Österreich reicht, von mehr Hilfe vor Ort zu erzählen, zählt für Menschen vor Ort nur, was sie wirklich erreicht", schreibt Elias Sagmeister im Gastkommentar. Er arbeitet für die NGO Ground Truth Solutions, die untersucht, wie humanitäre Unterstützung bei den betroffenen Menschen vor Ort ankommt.

Am Freitag findet in Wien der jährliche humanitäre Kongress statt mit dem Ziel, zu einem besseren Verständnis über humanitäre Hilfe beizutragen und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Nach zahlreichen Versprechen der Regierung, "mehr Hilfe vor Ort" zu leisten, ist diese Debatte über die Zukunft der humanitären Hilfsleistungen notwendig. Österreichs Hilfe zukunftsfähig zu machen wird jedoch nicht gelingen, solange eine wesentliche Perspektive vernachlässigt wird: die der betroffenen Menschen vor Ort.

Wie beurteilen diese Menschen die humanitäre Unterstützung? In den meisten Ländern von Afghanistan bis Syrien, Haiti, Somalia, Uganda, dem Irak oder Libanon und auch in Österreich sind die Befragten der Meinung, dass humanitäre Helfer sie mit Respekt behandeln. Wer humanitäre Hilfsleistungen erhalten hat, fühlt sich größtenteils sicher. Keine Kleinigkeit für Frauen, Männer und Kinder, die von Krieg und Vertreibung betroffen sind und nicht selten ohne Hilfe um ihr Leben fürchten müssten. Die Helfenden leisten gute Arbeit und gewinnen allerorts das Vertrauen der Menschen.

Mangel an Mitsprache

Mehr Hilfe ist wünschenswert, doch mehr ist nicht gleich besser. Zumindest dann nicht, wenn am System der Hilfe nichts geändert wird. Denn Betroffene äußern auch Kritik – insbesondere über den nahezu universellen Mangel an Mitsprache darüber, wie Nothilfe geleistet wird. Zu oft werden Menschen in Krisenregionen als passive Empfänger abgestempelt, als hätten sie keine eigene Initiative und als wären nicht längst lokale Helfer aktiv, bevor internationale Organisationen eintreffen. Die Daten von Ground Truth Solutions zeigen, dass in praktisch allen Krisen das Gefühl der Teilnahme erschreckend gering ist. Von mehreren Tausend Befragten in Afghanistan, Haiti, Uganda, dem Tschad, dem Libanon und dem Irak hatten 2018 beispielsweise nur rund ein Drittel das Gefühl, Hilfsorganisationen würden ihre Meinung berücksichtigen. Wer hingegen Mitsprache erlebt, beurteilt erhaltene Hilfe nachweislich als effektiver und fairer.

Zu oft verteilen Hilfsorganisationen stattdessen Güter und Dienstleistungen nach vorgefertigtem Schema F, ohne ausreichend auf den tatsächlichen Bedarf vor Ort einzugehen. Das ist problematisch, weil dadurch zu oft die falsche oder irrelevante Hilfe geleistet wird. So sind von über 8.000 Befragten in sieben Ländern mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Meinung, dass die geleistete Hilfe nicht ihre wichtigsten Bedürfnisse befriedigt.

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Hilfsorganisationen verteilen Güter oft nach Schema F. Rohingya-Flüchtlinge in einem Camp in Bangladesch.
Foto: Reuters/DANISH SIDDIQUI

Mehr Bargeldhilfe

In Umfragen 2018 in Bangladesch gaben sogar fast die Hälfte (44 Prozent) der befragten Rohingya in Flüchtlingscamps an, die erhaltene Hilfe verkauft zu haben, um mit dem Erlös dringendere Dinge zu besorgen. Dies zeigt, wie wichtig der Trend zu mehr Bargeldhilfe ist. Meist sind die Betroffen selbst besser in der Lage, über ihre primären Bedürfnisse zu entscheiden, als die Mitarbeiter in Büros großer Hilfsorganisationen. Es zeigt auch, wie wichtig es ist, die Betroffenen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und kritisch zu hinterfragen, welche Hilfe wo geleistet wird. Humanitäre Geber wie Österreich können entsprechende Anreize setzen und direktes Feedback von Betroffenen einfordern.

Eine lebhaftere Debatte über das humanitäre Engagement Österreichs ist daher wünschenswert und angebracht. Ebenso ist zu wünschen, dass die österreichische Politik der Debatte und den Empfehlungen des humanitären Kongresses genau zuhört. Heimische Hilfsorganisationen, wie auch die Initiatoren des Kongresses, fordern seit langem eine klare Strategie, was mit der rot-weiß-roten Hilfe erreicht werden soll. Als zu unkoordiniert und zu fragmentiert gilt das österreichische System. Zu viele Ministerien sind an der Mittelvergabe beteiligt, was transparente und effiziente Prozesse verhindert.

Trauerspiel Auslandskatastrophenfonds

Ein Trauerspiel auch das Gezanke um den Auslandskatastrophenfonds, der 2017 erst auf 20 Millionen aufgestockt wurde, um dann unter der Regierung Kurz trotz anderslautender Wahlversprechen ("mehr Hilfe vor Ort!") um 25 Prozent reduziert zu werden. Da dies nicht nur sämtlichen Wahlversprechen zuwiderlief, sondern auch der im Regierungsprogramm festgelegten Erhöhung des Fonds, folgten rasches Zurückrudern und neue Versprechungen der Außenministerin, den Fonds "im Bedarfsfall" wieder aufzustocken. Die NGOs sind empört, das Bild im Ausland eher peinlich, und so wurschtelt man halt weiter voran.

Humanitäre Organisationen fordern daher zu Recht mehr Gehör von der Politik und Verbesserungen im staatlichen System zur Finanzierung der Hilfe. Der Zeitpunkt für Reformen wäre günstig. Nie war die Lücke zwischen dem Finanzierungsbedarf von Hilfsorganisationen und den tatsächlich bereitgestellten Mitteln größer – und selten war Österreichs Konjunktur besser, inklusive sprudelnder Steuereinnahmen. Im Gegenzug sollte die Regierung auch von den Hilfsorganisationen ein offenes Ohr und Reformen erwarten, um den Bedürfnissen der Betroffenen besser gerecht zu werden. Denn eines muss sowohl Geldgebern als auch Umsetzungsorganisationen klar sein: Während es in Österreich reicht, von mehr Hilfe vor Ort zu erzählen, zählt für Menschen vor Ort nur, was sie wirklich erreicht. (Elias Sagmeister, 28.3.2019)