Wien – Nicola Werdenigg und der Verein Maiz / Das Kollektiv haben am Dienstag im Wiener Rathaus den Ute-Bock-Preis erhalten. SOS Mitmensch hat den mit 5.000 Euro dotierten Preis ins Leben gerufen, um damit mutigen Einsatz im Kampf gegen Machtmissbrauch, Gewalt und Diskriminierung zu würdigen.
Die ehemalige Skirennläuferin Werdenigg wurde dafür ausgezeichnet, dass sie mit ihren Aussagen über Gewalt und Machtmissbrauch "auf die Schattenseiten des in Österreich so beliebten Skisports hinwies". Die Laudatio hielt der Ex-Fußballer Paul Scharner.
Die Rede im Wortlaut:
"Schönen guten Abend!
Eines können Sie mir glauben, ich bin ziemlich nervös. Einerseits, weil mich das Thema selbst in jungen Jahren betroffen hat, und andererseits, weil ich hoffe, die richtigen Worte gefunden zu haben, um dem Anlass den richtigen Ausdruck zu verleihen.
Apropos verleihen: Es ist mir eine besonders große Ehre, dass ich heute den Ute-Bock-Preis an eine Person übergeben darf, die den Mut hat, gegen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt einzutreten. Ich durfte sie vor einigen Wochen persönlich kennenlernen und würde nicht sagen, dass ich sie besonders gut kenne, aber ich würde sie in meinen Augen folgendermaßen beschreiben:
Sie liebt die Geschwindigkeit, sie liebt das Skifahren, sie liebt die Abfahrt, sie liebt es, mit Kindern zu arbeiten, und sie hat Mut, großen Mut, Missstände anzusprechen, gegen ein System aufzutreten, für Opfer einzutreten und sich nicht einschüchtern zu lassen.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich weiß, wovon ich spreche. Es war naheliegend, dass sie eine Leidenschaft für das Skifahren entwickelte. Die Eltern hatten eine große Skischule zu Hause, konnten sich aber gezwungenermaßen weniger intensiv um Nicola und ihre Ziele kümmern. Früh musste sie sich daher schon auf eigene Beine stellen. Mit vier Jahren war sie schon allein im Gelände unterwegs mit den zwei Latten.
Mit sieben Jahren folgte der erste Trainingskurs. Der Weg in den nationalen Skikader war vorprogrammiert. Dann die ersten Erfahrungen im so tollen Skizirkus. Warum eigentlich Zirkus? Ah ja, da sind ja Tiere auch dabei. Da gilt das Recht des Stärkeren und der natürlichen Triebe.
Trotz sehr schwieriger Umgebung blieb sie dabei, war ja auch immerhin ihre Leidenschaft. Ihr ein und alles. Von wegen, sie hätte ja frühzeitig aussteigen können. Bitte nicht vergessen: Wir sprechen hier von einem sehr jungen, talentierten und zielorientierten Menschen. Sie entwickelte sich zur Anlaufstelle und zum Sprachrohr für junge Skirennläuferinnen, die mit den Umgangsformen im ÖSV nicht zurechtkamen.
Mit 20 Jahren wurde sie zu Unrecht vom ÖSV gesperrt, weil sie anstatt eines Europacuprennens bei den Akademiker-Meisterschaften mitfuhr. Aufgrund der vielen Schikanen, die sie beim ÖSV umkurven musste, entschloss sich Nicola letztendlich, den Verband zu wechseln. Selbst das wurde ihr verwehrt. Daher der einzige logische Schluss trotz der großen Liebe zum Sport: Karriereende.
Skifahren gänzlich aufzugeben kam nicht infrage. Einen Ausweg bot die Skiführerprüfung. Bis dahin war es Frauen untersagt, diese abzulegen. Nicola war eine der ersten drei Frauen, die diese Prüfung absolvieren durften. Es folgte der logische Schritt in die Skischule der Eltern, wo sie als 21-Jährige 50 männliche Kollegen zu führen hatte.
Nicola ist für mich eine Persönlichkeit, die sich sehr früh eigenverantwortlich und selbstredend in einem System zurechtfinden musste, das von alten Machtverteilungen, Abhängigkeiten und Profitgier getrieben war und leider noch immer ist. Deswegen fühlte sie sich verpflichtet, an die Öffentlichkeit zu gehen, um anderen Mut zu machen und dazu beizutragen, diese Missstände zu beseitigen. Natürlich wäre es einfacher gewesen, nichts zu sagen, weiterhin wegzuschauen und den vermeintlich leichteren Weg zu gehen. Aber Nicola Werdenigg hat ein Gewissen, Erfahrung und die Courage.
Und zum Schluss frage ich Sie, liebe Gäste, wann ist der richtige Zeitpunkt für Hinsehen, Aufzeigen und Verändern? Bitte, liebe Gäste, einen herzlichen Applaus für die Zivilcourage in Person Nicola Werdeniggs." (APA, red, 28.3.2019)