Es wäre einfach, US-Präsident Donald Trump als Totengräber des fortschreitenden Niedergangs der globalen Rüstungskontrolle zu sehen: Er verhandelt nicht gerne mit Partnern auf Augenhöhe, sondern dominiert diese lieber, er schert sich recht wenig um stabile, ruhige Verhältnisse und torpediert auch einfach mal so ein global angesehenes Abkommen wie den Iran-Deal. Eine seiner gefährlichsten Amtshandlungen bisher war, die letzten verbleibenden Vertragswerke zur Eindämmung von Raketensystemen und Nuklearwaffen in der Luft zu zerreißen.

Seit der 45. US-Präsident den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen (INF) zwischen den USA und Russland nach Jahren der gegenseitigen Schuldzuweisungen Anfang Februar aufkündigte, droht ein erneuter Rüstungswettlauf. "Schlimmstenfalls könnte es zu einer ungezügelten Rüstungsdynamik kommen, bei der es auch wieder um einen quantitativen Ausbau der Nuklearwaffenarsenale geht", warnt der Politikwissenschafter und Rüstungsexperte Martin Senn. Große Teile der Menschheit rückten damit wieder einmal näher an ihre eigene Auslöschung, liegen die Sprengkopfvorräte doch immer noch im Bereich der mehrfachen Overkill-Kapazität. Zudem liegt in neuen Technologien wie autonomen Drohnen ein riesiges Gefahrenpotenzial.

Trumps Politik ist ein Symptom, nicht die Ursache

Trump alleine die Schuld an dieser Situation zu geben wäre dennoch zu einfach. Sein Verhalten ist schließlich das Resultat eines seit zwei Jahrzehnten andauernden Prozesses, an dessen Ende "wir uns wieder auf den Status quo der 60er-Jahre zurückbewegen, also in eine Zeit ohne nennenswerte Beschränkungen der nuklearen Rüstung und einer intensiven Rivalität zwischen den USA und Russland", so Senn. Denn der russische Präsident Wladimir Putin – seines Zeichens auch nicht gerade als Verfechter von Regulierungen und Beschränkungen bekannt – folgte Trump mit dessen Aufkündigung nur einen Tag später, sodass nach Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist, am 2. August 2019, nur mehr ein einziger Rüstungskontrollvertrag zwischen den beiden atomaren Supermächten übrig bleibt.

2018 waren noch geschätzt 14.485 Sprengköpfe im Besitz der Atommächte. Neben den USA und Russland verfügen auch China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea über Nuklearsprengköpfe.
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Es handelt sich dabei um den New-Start-Vertrag zur Reduktion der nuklearen Arsenale. Dieser droht jedoch mit Anfang 2021 auszulaufen. Brisanterweise exakt 16 Tage nachdem ein neuer US-Präsident oder eine neue US-Präsidentin ins Weiße Haus einziehen könnte – oder eben einige Monate nach Trumps Wiederwahl. Doch würde solch ein Zeitfenster potenziell ausreichen, um eine Verlängerung des New-Start-Vertrags zu unterzeichnen? Für eine Neuverhandlung reiche die Zeit für einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin nicht aus, eine Verlängerung des bestehenden Vertrags könnte sich theoretisch ausgehen, glaubt Senn. "Aber das Problem ist ja nicht nur Trump, sondern die stärkere Rivalität und vor allem das fehlende Vertrauen."

Fast zwei Jahrzehnte Entspannung, zwei Jahrzehnte Vertrauensbrüche

Bisher liefen alle Versuche, New Start zu verlängern oder gar durch ambitioniertere Ziele zu ersetzen, ins Leere. Es mangelt eben nicht erst seit Trumps Inauguration am Vertrauen zwischen den beiden Supermächten. 30 Jahre nachdem man sich im Rahmen der Salt-Abkommen erstmals auf Obergrenzen für Nuklearwaffen einigte, folgte 2002 unter Präsident George W. Bush der einseitige Rückzug aus dem Vertrag über die Begrenzung von antiballistischen Raketenabwehrsystemen (ABM).

Der Ausstieg aus dem ABM-Vertrag war deshalb ein so großer Vertrauensbruch, weil er an den Grundfesten der Abschreckungspolitik nagt. Könnten Washington oder Moskau ihr gesamtes Staatsgebiet mit Abwehrsystemen schützen, müssten sie sich nach einem Angriff nicht mehr vor dem Gegenschlag fürchten. Nur wenn beide verletzlich bleiben, bleibt die brutale Logik der wechselseitig zugesicherten Zerstörung ("mutual assured destruction", MAD) erhalten. Nur dann scheuen sie vor einem Atomwaffeneinsatz zurück.

Der ABM-Vertrag garantierte genau das, erlaubte lediglich das Aufstellen eines einzigen Abwehrsystems gegen Interkontinentalraketen und verbot flächendeckende Abwehrmechanismen. Sowohl die USA als auch Russland konnten entscheiden, ob sie mit diesem System ihre Hauptstadt oder eine eigene Raketenanlage schützen wollen.

Auf knapp eineinhalb Jahrzehnte der Entspannung seit Mitte der 1980er-Jahre folgten damit ab dem neuen Jahrtausend zwei Jahrzehnte mit wechselseitigen Vertrauensbrüchen. Die Nato-Osterweiterung mit der Zusage der Aufnahme von unmittelbaren, strategisch wichtigen Nachbarstaaten Russlands in das Bündnis – Georgien und die Ukraine – sowie Russlands eigene Einverleibungsversuche bei Territorien in ebenjenen Staaten sind nur zwei immens wichtige Beispiele.

Ohne Vertrauen keine Rüstungskontrolle, ohne Rüstungskontrolle kein Vertrauen

Vertrauen und Rüstungskontrolle stehen nämlich in einer Wechselwirkung. Nicht nur gibt es ohne Vertrauen keine Rüstungskontrolle, Rüstungskontrolle ist meist erst die Voraussetzung für gegenseitiges Vertrauen durch gegenseitige Inspektionen und regelmäßige Kontrollen. Allein: wem vertrauen, wenn beide einander misstrauen? Eine Lösung wären multilaterale Verträge beziehungsweise gar die Übergabe von Verifikationsmechanismen an supranationale Organisationen. Denn Rüstungskontrolle ist keineswegs nur eine bilaterale Frage zwischen Russland und den USA. Chinas Aufrüstung besorgt beide, die regelmäßigen Spannungen zwischen den Nuklearmächten Indien und Pakistan besorgen die ganze Welt. Die globale Krise des Multilateralismus ist dennoch selten so ausgeprägt wahrzunehmen wie im Bereich der Rüstungskontrolle. Großmächte traten internationalen Abkommen wie dem Landminenverbotsvertag oder dem Atomwaffenteststoppvertrag nicht bei oder ratifizierten sie schlicht einfach nicht. Selbiges gilt für ein Verbot von Streumunition oder Atomwaffen.

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Besonders bei neuen Waffentechnologien wie unbemannten Drohnen gibt es keine Abkommen und kaum Regeln.
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Die globalen Waffenexporte steigen außerdem, angeführt von den USA mit einem Drittelanteil am globalen Markt. Neue Waffentechnologien schüren dabei zusätzlich die Angst: Unbemannte teilautonome und schon bald vollautonome Drohnen sind auf dem Vormarsch. Superschnelle Raketen, die jedes Abwehrsystem durchbrechen, und neue Radarsysteme, die mit Quantencomputertechnik jeden Spionageflug erkennen sollen, werden zusätzlich am Vertrauen nagen. Nicht zuletzt befeuerte Donald Trump vor in den vergangenen Monaten ein potenzielles Wettrüsten im All mit seinen Plänen zu einer Space Force.

Besonders alarmierend ist, dass viele dieser technischen Neuerungen in gänzlich unregulierten Bereichen passieren, die mehr Rüstungskontrolle benötigen würden und nicht deren globale, fortschreitende Erosion. Trump trägt also bestimmt wesentlich zu der aktuell prekären Situation der Rüstungskontrolle bei – es handelt sich aber um ein kollektives Versagen der Groß- und Regionalmächte in den vergangenen Jahren. (Fabian Sommavilla, 4.4.2019)