Julia Timoschenko als Meisterin der Inszenierung. Im aktuellen Wahlkampf erlebt sie in der Ukraine ein Comeback. Ihre Chancen, Amtsinhaber Poroschenko in der Wahl um die Präsidentschaft zu schlagen, stehen derzeit nicht schlecht. Der erste Wahlgang findet dieses Wochenende statt.

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Vor einem Kino im Arbeiterbezirk Troeschtschina im Osten Kiews ist eine Bühne aufgebaut. Aus den Boxen dröhnen ukrainische Evergreens, während Sprecher immer wieder versuchen, die Menge anzuheizen. Kurze Wahlkampfvideos flimmern über die Bildschirme neben der Bühne, in denen Julia Timoschenko eine strahlende Zukunft der Ukraine beschwört, kleine Kinder herzt und durch die Ähren goldener Weizenfelder streift, das alles mit pathetischen Chören unterlegt. Sie wirkt entrückt, fast wie eine Heilige.

Vor fünf Jahren schien es so, als seien die großen Zeiten der Julia Timoschenko vorbei. Als ihr Widersacher, Präsident Wiktor Janukowitsch, in den Wirren der Maidan-Revolution nach Russland floh, kam Timoschenko, die der Präsident unter fadenscheinigen Gründen eingesperrt hatte, frei. Die Frau im Rollstuhl wurde direkt auf die Maidan-Bühne gebracht, wo sie eine Brandrede auf die "neue, freie Ukraine" hielt.

Doch gerade hier, wo sie zehn Jahre zuvor die Orange Revolution angeführt hatte, schlug ihr Unverständnis entgegen. Zu sehr schien sie als zweimalige Premierministerin verstrickt in das alte System, zu unglaubwürdig ihr Ruf als "Gasprinzessin", die ausgerechnet im Gashandel mit Russland reich geworden war.

Doch heute ist Timoschenko zurück. Bei den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag liegt sie laut Umfragen mit 16,6 Prozent auf Platz zwei hinter dem Komiker Wladimir Selenski (27,7 Prozent). "2014 kam sie direkt aus dem Gefängnis, sie war schlichtweg nicht am Puls der Zeit", sagt Balazs Jarabik vom Carnegie Endowment for International Peace. Doch schnell fand sie sich wieder in ihre neue Rolle ein. Während sie zu Beginn noch mit der Partei des Präsidenten Petro Poroschenko koalierte, wurde sie bald zur schärfsten Kritikerin des Sparkurses der Regierung.

Personenkult der Partei

Sergej Wlassenko gehört zu den engsten Vertrauten Timoschenkos. Der 42-jährige Anwalt hat sie bei ihren Strafprozessen verteidigt, heute sitzt er für die Partei Batkiwschtschina (Vaterland) im Parlament. Er lädt in sein Büro in der Kiewer Parteizentrale, wo ein skurriler Personenkult um die Parteichefin betrieben wird: Das Stiegenhaus ist mit Fotos der Orangen Revolution tapeziert, immer die Frau mit dem blonden, breiten Haarkranz im Zentrum. In Wlassenkos Büro ist Timoschenko sogar als Jeanne d'Arc in Ritterrüstung abgebildet, strenger Blick, aber die Handflächen sanft geöffnet, auf denen sie kleine Vögelchen hält. Julia, die Kriegerin und Kümmerin in Öl auf Leinwand.

Die Politveteranin habe sich akribisch auf den Wahlkampf vorbereitet, sagt Wlassenko. "Kein anderer Kandidat hat ein so detailliertes Wahlprogramm vorgelegt." Tatsächlich ist Timoschenko schon mit ihrem "neuen Kurs" in den Wahlkampf gestartet, als andere noch nicht einmal ihre Kandidatur bekanntgegeben hatten. Sie verspricht, die hohen Gaspreise für Haushalte zu senken – wobei offen ist, wie diese Senkung finanziert werden soll, immerhin ist die Reform des korrupten Gassektors an milliardenschwere IWF-Kredite geknüpft. "Es sind vor allem die ärmeren, dörflichen Regionen sowie die Rentner, die am meisten unter den hohen Kosten leiden", sagt der Politologe Wladimir Fesenko. Timoschenkos Kernwählerschaft.

Knappes Rennen

Mit einer Zustimmung von knapp 17 Prozent liefert sich Timoschenko heute ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Amtsinhaber Poroschenko (16,4 Prozent) um den Einzug in die Stichwahl. 2014 kam sie immerhin auf knapp 13 Prozent, damals stand sie aber im Schatten Poroschenkos, der die Wahl schon im ersten Durchgang mit fast 55 Prozent für sich entschied. Seither schlägt er sich mit Korruptionsskandalen herum, der Krieg in der Ostukraine geht weiter. "Die Enttäuschung über Poroschenko hat ihr geholfen, wieder zurückzukommen", sagt Jarabik. Ihre Stärke ist schlichtweg die Schwäche der anderen.

Zurück im Arbeiterbezirk Troeschtschina. Es ist schon dunkel, als Timoschenko auf die Bühne kommt. "Dieser Bezirk braucht einen Metro-Anschluss!", ruft sie unter allgemeinem Beifall ins Mikrofon. "Diese Staus!" Ein Umstand, über den auch an den Stammtischen leidenschaftlich geschimpft wird, immerhin ist der Bezirk nur über eine einzige Brücke mit dem Stadtzentrum verbunden. Auch die 65-jährige Rentnerin Irina Grigorjewna nickt. Timoschenko habe schon als Premierministerin gezeigt, "dass sie macht, was sie verspricht", sagt sie. "Sie ist eine starke Frau." (Simone Brunner aus Kiew, 31.3.2019)