Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gedenkt mit Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko österreichischer NS-Opfer.

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Arthur Loschitz wäre am Donnerstag 90 geworden. Er starb jedoch bereits mit 13, am 9. Oktober 1942, nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Vier Tage vorher war der jüdische Bub von den Nazis aus einem Lehrlingsheim in der Wiener Seegasse hierher verschleppt worden, in einem von insgesamt zehn Transporten aus Wien. Der Name von Arthur Loschitz steht auf einer gelben Erinnerungstafel, die Bundeskanzler Sebastian Kurz am Donnerstag, dem Geburtstag des Toten, an einem Baum befestigt – eine inmitten anderer gelber Tafeln, die alle für die österreichischen Toten dieses Ortes stehen.

NS-Vernichtungslager

Insgesamt 10.000 Jüdinnen und Juden aus Österreich wurden zwischen 1942 und 1944 in Maly Trostinec ermordet, einer Vernichtungsstätte der Nazis am südöstlichen Stadtrand von Minsk. Neben Auschwitz gilt der Ort als der mit den meisten österreichischen Shoah-Opfern. Am Donnerstagnachmittag weihte Kurz gemeinsam mit Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko ein Mahnmal für die hier getöteten österreichischen Juden ein.

Dass die gemeinsame Erinnerung an die Nazi-Verbrechen des 20. Jahrhunderts den Rahmen für den Besuch des Kanzlers darstellt, soll freilich nicht über die aktuellen außenpolitischen Bezüge hinwegtäuschen. Im Verhältnis Weißrusslands zum Westen ist zuletzt einiges in Bewegung gekommen. Eine Rolle spielen dabei die Minsker Verhandlungen zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich sowie Vertretern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ukraine-Krise. Das lange Zeit weitgehend isolierte Weißrussland mauserte sich zur Drehscheibe der Diplomatie im wohl brisantesten europäischen Konflikt der Gegenwart.

"Letzter Diktator Europas"

Zwar steht das Land etwa wegen der Anwendung der Todesstrafe nach wie vor in der Kritik, den Ruf als "letzter Diktator Europas" konnte Lukaschenko zuletzt jedoch weitgehend ablegen. 2016 wurden auch die meisten EU-Sanktionen aufgehoben. Eine Rolle spielte dabei die Freilassung von Häftlingen, die als Gewissensgefangene gegolten hatten.

Wenn Weißrussland derzeit bemüht ist, die Kontakte zur EU weiter zu verbessern, dann hat das auch mit den zuletzt angespannten Beziehungen zu Russland zu tun. Lukaschenko hat kürzlich sogar guten Beziehungen zur Nato das Wort geredet.

Die Wurzeln des Problems reichen bis in die 1990er-Jahre zurück. Damals gründeten beide Seiten eine Russisch-Weißrussische Union, ein supranationales Gebilde, in dem eine politische und wirtschaftliche Integration angestrebt werden sollte. Die Pläne wurden jedoch nie richtig umgesetzt.

Russischer Druck

Ende vergangenen Jahres sah sich Minsk dann im Zusammenhang mit den Bedingungen für den Ankauf russischen Öls verstärkt Druck aus Moskau ausgesetzt: Weißrussland könne nur dann mit Vergünstigungen und wirtschaftlicher Hilfe rechnen, wenn es die Integration mit dem russischen Nachbarn vorantreibe. Sofort tauchten Spekulationen auf, Weißrussland könnte das Schicksal der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim drohen.

Eine weitere Spekulation hat mit der russischen Präsidentschaftswahl 2024 zu tun. Wladimir Putin darf dann nicht mehr kandidieren, die russische Verfassung erlaubt lediglich zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten. Da Putin dieses Problem einmal durch eine Auszeit gelöst hatte, während derer er selbst Premierminister und Dmitri Medwedew Präsident war, könnte er, so die Mutmaßungen, nun einen neuen Plan verfolgen: nämlich als Präsidentschaftskandidat eines gänzlich neuen Staatengebildes – dessen Teil Weißrussland wäre. (Gerald Schubert aus Minsk, 28.3.2019)