Abflug. Dass ich in der Luft war, habe ich erst gar nicht realisiert. Es ging so schnell. Nach der Landung musste ich mir zuerst den Schaum vom Feuerlöscher aus dem Gesicht wischen. Aus den Augen, aus dem Mund. Der geht automatisch im Cockpit ab. Es schmeckt nicht gut. Extrem bitter, wirklich nicht lecker. Das Auto war ramponiert, aber nicht komplett zerstört. Dann kamen die Schmerzen. Da waren schon die Streckenposten da: "Ist alles ok?" Ich war bei vollem Bewusstsein. Ich wusste nicht, dass das alles so schlimm war. Für mich war es nicht so schlimm.

Der Crash am 18. November 2018. Die dramatischen Bilder aus Macau gingen um die Welt.
Very Nice Peanuts

Ich will gar nicht mehr viel über den Unfall reden. Es nervt mich ein bisschen. Es ist abgehakt, in der Vergangenheit, passé. Ich bin ein positiver Mensch. Ich weiß, dass ich durch den Crash Aufmerksamkeit bekommen habe. Die Öffentlichkeit war plötzlich da: Fernsehtermine, Zeitungsartikel, Nachrichten. Aber es muss weitergehen, ich lebe in der Gegenwart und schaue in die Zukunft. Ich will in die Formel 1. Das war schon immer mein Traum, ich kann es schaffen. Natürlich gehört Glück dazu, aber es fehlt nicht mehr viel. Mercedes wäre mir das liebste Team, aber im Rennsport kann man sich das auf diesem Level nicht aussuchen.

"Ich liebe die Geschwindigkeit, ich liebe Autos, ich liebe den Rennsport."

Ob ich Angst habe, wieder in ein Auto zu steigen? Nein. Angst habe ich vor Spinnen, aber nicht davor, Rennen zu fahren. Ich liebe die Geschwindigkeit, ich liebe Autos, ich liebe den Rennsport. Als ich vier war, bin ich zum ersten Mal in einem Kart gesessen. Es hat sofort Spaß gemacht. Mit sieben bin ich meine ersten Rennen gefahren. Du gewinnst, du verlierst, du überholst, und du bremst. Insgesamt bin ich neun Jahre Kartrennen gefahren, mit 14 saß ich in meinem ersten Auto: ein Tourenwagen mit 170 PS. Wow. Beim Umstieg vom Kart aufs Auto hat sich etwas geändert. Ich wusste: Das will ich mein restliches Leben lang machen.

Mit vier Jahren saß Sophia Flörsch zum ersten Mal in einem Kart.

Wenn ich nicht Rennen fahren würde, wäre ich in einem anderen Sport. Sicher irgendwas mit Speed, Abfahrtslauf zum Beispiel. Lindsey Vonn ist eine Inspiration. Eine beeindruckende Frau. Sie hat so viele Rekorde gebrochen, hat Rückschläge erlitten, ist immer wieder aufgestanden. Der Unfall in Macau war auch ein Rückschlag. Alle, die mich gut kennen, wissen, dass Aufgeben nie eine Option war.

Ich war wieder zum Testen auf der Rennstrecke. Die ersten Runden waren überwältigend. Ich musste vor Glück grinsen. Gänsehaut. Es lief super, ich fuhr im Regen und auf trockenem Boden die schnellste Zeit. Es war richtig schön, wieder im Cockpit zu sitzen, wieder lenken zu können und Gas zu geben. Ich habe es so vermisst. Und es wurde mir bewusst, wieso ich so hart trainiere. Racing ist das Beste.

Wir haben noch Witze gemacht: "Immerhin ist man schnell im Krankenhaus, wenn etwas passiert".

Gut, reden wir über Macau. Ich bin eine Rennfahrerin, die einen Unfall hatte, und es war kein Unfall, aus dem eine Rennfahrerin entstanden ist. Der Stadtkurs von Macau ist eine meiner Lieblingsstrecken. Ein Mega-Wochenende, 22 Grad, einfach perfekt. Und ein ganz normaler Renntag. Routine: Ich bin zwischen 7 Uhr und 8 Uhr an der Strecke. Meetings mit dem Team, Besprechungen mit Sponsoren, Autogrammstunden. Das Krankenhaus ist direkt neben der Rennstrecke. Wir haben noch Witze gemacht: "Immerhin ist man schnell im Krankenhaus, wenn etwas passiert". Blöde Jokes eben. Dann kam der Crash.

Unfall hin oder her, die Einstellung bleibt unverändert: "Racing ist das Beste".

Es war am Ende der langen Gerade. Die Geschwindigkeit ist hoch, ungefähr 270 km/h. Der Fahrer vor mir, Jehan Daruvala aus Indien, sieht, so sagt er es später, ein gelbes Licht, irgendetwas stimmt nicht. Er verzögert weit vor dem regulären Bremspunkt. Genau in dem Moment fahre ich in seinem Windschatten, will ausscheren, überholen, er bremst. Dann geht alles ganz schnell. Meine beiden linken Räder brechen weg. Ich bin nur noch Passagier.

Ich werde oft gefragt, was mir da durch den Kopf ging, aber hey, das Ganze passiert so schnell, da denkst du nicht über dein Leben nach. Es passiert einfach. In Millisekunden. Der Ablauf bei einem Unfall ist einstudiert, ein Rennfahrer kann das im Schlaf. Ich habe also gemerkt, dass ich keine Kontrolle über den F3 habe, das Auto macht, was es will, der Crash ist unvermeidlich. Du gibst die Hände vom Lenkrad, damit du dir beim Einschlag nicht die Handgelenke brichst.

"Da lag ich also, festgeschnallt auf einer Metallplatte."

Am Abend im Krankenhaus hat man mir erzählt, dass zwei andere Personen verletzt wurden. Das war überraschend, weil ich den Unfall nicht so schlimm empfand. Ein Streckenmarschall hatte sich den Kiefer gebrochen, weil er ein Stahlseil ins Gesicht geschleudert bekam. Ein Fotograf stieg noch vom Pressehäuschen runter und merkte dann: "Uh, etwas passt nicht." Leberriss. Ich habe später erfahren, dass es allen gut geht. Also den Umständen entsprechend.

2018 startete Flörsch für das deutsche Team HWA in der Formel 3.

Bei mir war die erste Vermutung ein Wirbelbruch. Die Kommunikation war anfangs schwierig. Es war kompliziert, die englischen Fachbegriffe zu verstehen. Das Ergebnis der Computertomographie kam relativ schnell und zeigte jedenfalls: Es stand kurz vor knapp. Der Halswirbel C7 war in drei Teile zersprungen. Ein Teil war ins Rückenmark eingedrungen. Die Ärzte staunten, dass ich alles bewegen konnte. Es war nichts durchtrennt. Ein Wunder. Die Splitter sind genau an den Nervensträngen stehen geblieben.

Ich wollte nach Hause. Die Geräte dort sind sicher nicht schlecht, aber es ist eben anders. Fremd. Die Ärzte haben abgewunken. Ich war nicht transportfähig. Keine Chance. Ein Millimeter in die falsche Richtung, und sie könnten für nichts garantieren. Ich wurde erst am nächsten Morgen operiert, weil ich von den ersten Schmerzmitteln noch nicht nüchtern war. Da lag ich also, festgeschnallt auf einer Metallplatte. Die Wirbelsäule durfte auf gar keinen Fall bewegt werden. Das heißt auch: keine Schmerzmittel bis zur OP. Von abends um 5 Uhr bis am nächsten Tag um 9 Uhr. Es gibt Angenehmeres.

"Mit der Morphiumpumpe konnte ich mir selbst die Schmerzen nehmen."

Ich musste unbedingt wach bleiben, um den Ärzten zu sagen, falls es irgendwo kribbelt. Eine plötzlich auftretende Schwellung hätte meine Nerven zerstören können. Dank der Unterstützung durch die FIA wurde ein Professor in Paris hinzugezogen, der Mercedes-Doktor beriet sich mit Spezialisten aus Rom. Bei der OP gab es viele Risiken: Lähmungen, Blindheit, Beeinträchtigung des Sprachzentrums – alles was mit Nerven zu tun hat.

"Ich glaube, so zielstrebig wie nach dem Unfall war ich noch nie."

Das Video vom Unfall habe ich erst Ende der Woche gesehen. Ich war geschockt. Klar. Vielleicht hab ich es schon vorher gesehen, ich weiß es nicht mehr. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag sind verschwommen. Mit der Morphiumpumpe konnte ich mir selbst die Schmerzen nehmen. Das war crazy. Es macht dich ein bisschen verrückt. Du schläfst und schläfst und schläfst. Alles ist im Nebel, ich kann mich an diese Tage nicht gut erinnern.

Krankenhaus ist nie schön, mir war aber immer klar, dass ich wieder Rennen fahren will. Mitte Dezember stieg ich wieder ins Training ein, am 24. Jänner hat mir mein Arzt gesagt, dass ich geheilt bin. Meine Knochen sind zusammengewachsen. Ich habe keine Schmerzen mehr und kann alles genau so machen wie vor dem Unfall. In meinem Körper sind eine Titanplatte und fünf Schrauben, ein Hüftknochen ersetzt einen Wirbelknochen.

Die härteste Zeit war im Dezember. Im Dezember finden die Wintertestfahrten statt, und ich musste zusehen. Da habe ich viel verpasst, das hat mich ziemlich aufgeregt. Wenn ich den anderen zuschauen muss, könnte ich die Wände hochgehen. Ich glaube, so zielstrebig wie nach dem Unfall war ich noch nie. So viel trainiert habe ich noch nie. So motiviert war ich noch nie. Ich wollte zurück. Und ich bin zurück. (31.3.2019, aufgezeichnet und zugehört hat: Andreas Hagenauer)