Pro-Brexit-Demonstranten in London.

Foto: APA/AFP/TOLGA AKMEN

Das kompromisslose innerbritische Tauziehen um die Art und Weise, wie das Vereinigte Königreich aus der EU austreten soll, erinnert an William Shakespeares Königsdramen. Was inner- und außerhalb von Unterhaus und Regierung abgeht, hätte der geniale Dramatiker sicher gerne aufgegriffen, wenn er heute lebte.

Im Spiel um Macht, Geld und Einfluss wird attackiert, intrigiert, taktiert, falsch gespielt und gelogen, dass sich die Bühnenbretter biegen. Dabei müsste es um Wichtigeres gehen, sollte man meinen: die Trennung von der Gemeinschaft so zu gestalten, dass Bürger möglichst wenig Schaden nehmen. Aber um den Inhalt des fertigen Austrittsvertrags, der das vorsieht, geht es schon lange nicht mehr.

Im Theater schaut man solchem Treiben Shakespeare'scher Charaktere mit Faszination und Vergnügen zu. Im wirklichen Leben aber dürfte der großen Mehrheit der 507 Millionen EU-Bürger das Lachen längst vergangen sein. Von Tag zu Tag wird klarer, dass vom Chaos eines ungeordneten Brexits mehr oder weniger alle negativ betroffen wären – die Briten und die 27 EU-Partnerländer.

Es braucht also dringend eine geregelte Entscheidung. Wie finden? Nach der absurden jüngsten Abstimmung im Parlament, bei der sämtliche Varianten und Alternativen zum Brexit abgelehnt wurden, scheint es fast unmöglich.

Die Auseinandersetzung nimmt archaische Dimensionen an, die an die Azteken erinnern: Ein (politisches) Blutopfer wird verlangt. Allen Ernstes reden die regierenden Tories darüber, dass die Ultrabrexiteers dem Deal im Unterhaus doch zur Mehrheit verhelfen könnten, aber unter einer ultimativen Bedingung: wenn die Premierministerin abtritt.

Wille des Volkes

Niemand kann vernünftig erklären, was das an den EU-Austrittsbedingungen oder künftigen Beziehungen von Großbritannien zur EU ändern würde. Und schon gar nicht wäre damit die angeblich entscheidende Frage des "Backstop", einer Garantie für offene Grenzen in Irland, beantwortet.

Ähnliches gilt für die Opposition der Labour Party unter ihrem Chef Jeremy Corbyn. Auch er betont stets, dass er den Brexit als Willen des Volkes vollziehen will, aber erstens nicht mit May und zweitens nur dann, wenn die künftigen Beziehungen zur EU sehr eng bleiben, am besten durch Zollunion und (teilweisen) Verbleib im Binnenmarkt. Damit erscheint im letzten Akt ein Ende der Tragödie greifbar. Theresa May, die seit Amtsantritt viele innenpolitische Fehler gemacht hat, aber den Brexit mit den 27 EU-Partnern solide und seriös aushandelt, sollte die Chance ergreifen – und sich tatsächlich selbst "opfern".

Sie könnte auch im Labour-Lager aktiv dafür werben, im Unterhaus zuzustimmen und ihren Rücktritt als Premierministerin mit der Ausrufung von Neuwahlen verbinden. Macht als Lockmittel. Dann könnte der Austritt rechtzeitig vor den EU-Wahlen am 22. Mai stattfinden, die EU-27 hätten ab Sommer die Möglichkeit, sich selbst neu aufzustellen für die künftigen globalen Herausforderungen, für dringend nötige interne Reformen.

Wie das künftige Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU gestaltet wird, darüber darf dann Mays Nachfolger verhandeln. Dann können die Johnsons, Rees-Moggs oder Corbyns zeigen, was sie draufhaben. May hätte ihrem Land und der Europäischen Union einen großen Dienst erwiesen und den geordneten Brexit ermöglicht. Dafür müsste sie von den EU-27 einen hohen Orden bekommen. (Thomas Mayer, 28.3.2019)