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Von einer App herumgeschickt: Essenszusteller arbeiten teils unter widrigen Bedingungen.

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Sein eigener Chef sein können: Diese Möglichkeit stellen Lieferdienste ihren Fahrern in Aussicht. Tatsächlich arbeiten sie aber mit einem ausgefeilten digitalen Kontrollsystem, wie deutsche Forscherinnen nun herausgefunden haben. Für ihre Studie, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, haben sie Berliner Essenslieferanten, deren Vorgesetzte und Gewerkschaftsvertreter interviewt. Sie haben auch Arbeitsabläufe und Proteste beobachtet, E-Mails und Stellenbeschreibungen ausgewertet.

Der Arbeitsablauf ist bei den untersuchten Lieferdiensten Foodora und Deliveroo ähnlich: Die Fahrradkuriere bekommen über das Smartphone einen Auftrag, holen das Essen vom Restaurant ab, bringen die Bestellung zu den Kunden. Sie müssen jeden Schritt mit einem Klick bestätigen. Die App sei also der Chef, schreiben die Autorinnen der Studie.

Die Kontrolle funktioniere zum einen über automatische Benachrichtigungen, heißt es. Die Fahrer werden mittels GPS-Ortung überwacht, ihre Klicks ausgewertet. Sobald das Programm eine Unregelmäßigkeit wie lange Wartezeiten feststellt, poppt beim Fahrer eine Nachricht auf. Ein Vorgesetzter aus Fleisch und Blut greift nur ein, wenn Anweisungen nicht befolgt werden. Dazu kommt es aber selten, denn: Viele der Befragten finden Anweisungen eines Algorithmus offenbar weniger störend als jene eines Menschen.

Wie bewertet wird

Die Daten, die bei der digitalen Überwachung der Fahrer anfallen, werden laut Studie dafür genutzt, internen Wettbewerb zu erzeugen. Dabei dient die Schichtplanung als Druckmittel: Diejenigen, deren Leistungen von einem Algorithmus als am höchsten eingestuft werden, können sich ihre Schichten zuerst einteilen. Das heißt: Wer bei der Leistungsbewertung schlecht abschneidet, der hat kaum noch Auswahl. Wer die besseren Dienste habe, verdiene schlussendlich vielleicht auch mehr, so Eva Kocher, eine der Studienautorinnen. "Ein Sonntagabend während eines Fußballspiels läuft wahrscheinlich besser als ein banaler Freitagmittag" , sagt die Rechtswissenschafterin.

Die Fahrer hätten nur wenig Einblick, wie die Bewertung tatsächlich erfolgt, kritisiert Kocher. "Diese Intransparenz ist wirklich ein großes Problem für die Fahrer, wie wir festgestellt haben."

Situation in Österreich

Mjam Plus, eine Fusion aus Foodora und Mjam, hat in Österreich mit 770 Fahrern die größte Radkurierflotte. Die Methoden der Kontrolle seien hierzulande ähnlich wie in der deutschen Studie beschrieben, sagt Veronika Bohrn Mena, Gewerkschafterin und Buchautorin: "Das Unternehmen weiß alles." Einen Austausch zwischen den Kurieren vermeiden die Lieferdienste, sagt Bohrn Mena, es gebe keine Räumlichkeiten, wo sie aufeinandertreffen. "Bekomme ich schlechtere Aufträge, weil ich öfter eine Pause mache?" Es sei kaum möglich, Fragen wie diese zu klären. Die Gewerkschafterin fordert, dass Lieferdienste Möglichkeiten zum Austausch schaffen und ihre Algorithmen offenlegen.

Die Fahrerinnen und Fahrer müssten auch besser ausgestattet werden – derzeit nutzen sie ihre eigenen Smartphones und Fahrräder. "Die nutzen sich mit der Zeit natürlich auch ab." Schließlich sollten sie fix angestellt werden. Aktuell seien sie als freie Dienstnehmer sozial schlecht abgesichert, "haben aber nicht die Vorteile der freien Tätigkeit, können ihre Dienste nicht selbst bestimmen und ihr Honorar nicht verhandeln".

"Besseres Service"

Die Ergebnisse der deutschen Studie könnten für Österreich nicht gelten, sagt wiederum Arthur Schreiber, Chef von Mjam Plus. "Wir nutzen die Schichtplanung nicht als Druckmittel", betont er gegenüber dem STANDARD. "Jeder hat die gleichen Rechte und Chancen." Den Kurieren Nachrichten zu schicken sei auch kein Kontrollinstrument – eher diene es dazu, ihnen zu helfen. "Manchmal finden sie zum Beispiel nicht zu den Kunden, weil jemand die Adresse nicht korrekt angegeben hat. Wir rufen dann dort an." Das sei ganz im Interesse der Fahrer, "denn sie wollen ja möglichst viele Bestellungen abwickeln."

Zum GPS-Tracking sagt Schreiber: "Ja, die Fahrer werden getrackt, aber es geht uns dabei nur um besseres Service, denn die Kunden wollen ja wissen, wann ihr Essen ankommt." Er zieht den Vergleich zu anderen Branchen: "Jedes Bahnunternehmen weiß, wo jede Bahn ist. Das ist auch gut so, für den Fall, dass ein Problem auftaucht." Für die Fahrer sei der Umstand, dass sie unter digitaler Beobachtung stehen "kein großes Thema".

Möglichkeiten zum Austausch gebe es sehr wohl. "Alle Fahrer über What's-App-Gruppen organisiert". Außerdem sei zu gewissen Zeiten das Büro für die Fahrer geöffnet, so Schreiber. Zumindest vier Mal pro Jahr veranstalte das Unternehmen zudem sogenannte "Ryder Partys". (Lisa Breit, 2.4.2019)