Lange galt sie als einfallslose Nichtfarbe, die von Rentnern selbstverständlich mit Spazierstock oder Rollator kombiniert wurde. Und als müder Nachhall aus den 1970er-Jahren, jener Zeit, in der die Badfliesen noch in Braun und Ocker getaucht waren. Doch der Wind hat sich gedreht. Die Farbe Beige (dem Französischen entliehen, hierzulande gesprochen: Beesch) ist ü-ber-all. Dass sie ausgerechnet von den modischen Superindividualisten adoptiert wurde, ist erst einmal erstaunlich. Und wieder nicht.

Das rasante Comeback der als Tarnfarbe für Senioren verschrienen Farbe hat nämlich nur noch wenig mit den modischen Vorlieben älterer Herrschaften zu tun. Die beanspruchen das "Beesch" schon länger nicht mehr für sich. Im Gegenteil: Seit die Rentnergeneration ihre leichten Überziehjacken und orthopädischen Schuhe abgelegt hat, erlebt der helle Braunton, farblich irgendwo zwischen Recyclingpapier, Gottschalks herbstblonden Locken und hautfarbenen Damenstrumpfhosen angesiedelt, einen zweiten Frühling. Während die Generation 60 plus in bunten Steppjacken, Sneakern und gebleachten Zähnen auflebt (und vielleicht wie Moderator Thomas Gottschalk eine neue Liebe erlebt), hüllen sich die Jungen in cooles Schimanski-Beige.

Jacke und Unterwäsche sind von Christian Dior, die Schuhe von Salvatore Ferragamo.
Foto: Yasmina Haddad

Neue Farblosigkeit

Der legendäre Tatort-Kommissar schlägerte sich in seiner schmuddeligen Feldjacke der Firma Alpha Industries jahrelang durchs Sonntagabend-Programm. Die Millennials hingegen tun ihre Begeisterung für die neue Farblosigkeit in den sozialen Netzwerken friedfertig kund – und das 24 Stunden sieben Tage die Woche: Allein auf Instagram wurden über zwei Millionen Beiträge unter dem Hashtag #Beige abgelegt.

Zu sehen sind da Tigerkatzen, beigefarbene Röcke, auf Leinenbettwäsche angerichtete Cookies und Streetstylestars in nudefarbenen Hosenanzügen. Vielleicht sind an der Beige-Mania aber auch die unzähligen Porridge-Schüsseln, die von hippen Gesundheitsaposteln mit dem gesunden, schleimig-hellen Haferbrei befüllt in den sozialen Netzwerken die Runde drehen, mit verantwortlich für das omnipräsente Beige in der Mode.

Nicht zu unterschätzen: der modische Einfluss von Kanye West. Seit Jahr und Tag gibt er den Botschafter der Farbe Beige. 2015 zog er während seiner ersten Yeezy-Präsentation am New Yorker Madison Square Garden den Models hautfarbene Strumpfhosen über und stopfte ihnen erdfarbene Sweater in den Bund. Diese Kombination, von der Künstlerin Vanessa Beecroft in Szene gesetzt, wiederholte er Saison für Saison. Und Ehefrau Kim Kardashian machte selbstverständlich mit. Sie bekannte sich als passionierte Spanx-Trägerin, posierte vor Kameras und Smartphones in beigefarbenen Jersey-Kollektionen zu sandfarbenen Overknee-Stiefeln.

AUC Premier

Das Brainwashing-Programm von Kanye und Kim zeigte Wirkung. Als Justin Bieber in diesem Jahr seine Kollektion "Drew House" herausbrachte, setzte er auf beigefarbene Jogginghosen, Hoodies und Cordhosen und verzierte sie mit einem dottergelben Smiley. Bieber schien genau richtig zu liegen mit der Annahme, dass die Farbe bei den Millennials hoch im Kurs ist: Im Webshop sind die beigefarbenen Schlabbersachen ausverkauft.

Beige Brigaden

Auch die Modehäuser machen mit. Der Designer Riccardo Tisci, der bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Givenchy 1.000 Nuancen Schwarz durchdekliniert hat, hat bei seinem Antritt bei der Londoner Marke Burberry eine klassische beige Brigade auflaufen lassen. Seine erste Show in London eröffnete er vergangenen September mit einem Burberry-Trenchcoat, es folgten Bundfaltenhosen, Faltenröcke, Cardigans in Beige, Caramel, Camel. Rund ein Drittel der Entwürfe waren im Signature-Farbton des Hauses gehalten. Tisci ist nicht allein auf weiter Flur. Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri steckte die Models in eng anliegende, nudefarbene Unterwäsche, Tops und Tänzerinnenoutfits (siehe Shooting Seite 18). Und auch das italienische Unternehmen Max Mara hält wohlweislich dem legendären camelfarbenen Mantel mit der Produktionsnummer 101801 die Treue.

Dass die beigen und braunen Mäntel der Marke gerade so gut bei den Millennials und Influencern, die die 1970er-Jahre nur aus den gelbstichigen Fotoalben ihrer Eltern und Großeltern kennen, ankommt, ist wenig verwunderlich. Beige tut niemandem weh, im Gegenteil: Der Farbton hat etwas Nostalgisches. Er erinnert an prädigitale Zeiten, denn er verströmt jene Behaglichkeit, Wohligkeit und Wärme, die in den sozialen Netzwerken, auf Instagram und Facebook, möglicherweise zu kurz kommt. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 19.4.2019)

Yasmina Haddad hat Anna Maya in einem Top von Acne Studios via mytheresa.com und in einer Hose von Dries Van Noten fotografiert.
Foto: Yasmina Haddad
Top, Rock und Sandalen sind von Jil Sander, die Decke von Wiener Times.
Foto: Yasmina Haddad
Hose und Sandalen von Hermès, Decke von Wiener Times.
Foto: Yasmina Haddad
Oberteil, Shorts, Sandalen – alles von Prada.
Foto: Yasmina Haddad
Das Top ist von Dries Van Noten, die Bluse darunter von Arthur Arbesser.
Foto: Yasmina Haddad
Top und Hose von Federico Protto, darunter ein Bodysuit von Christian Dior, Schuhe von Longchamp.
Foto: Yasmina Haddad
Das Kleid ist von Jaquemus, die Schlapfen sind von Rosa Mosa.
Foto: Yasmina Haddad
Das Kleid ist von Emporio Armani, der Badeanzug darunter von Pelican Avenue.
Foto: Yasmina Haddad