In seiner Biografie erzählt Schauspieler und Enfant terrible Helmut Berger von den 1960er-Jahren an der Seite seines damaligen Lebensgefährten, des Regisseurs Luchino Visconti. Die beiden waren in Rom shoppen. Bei Louis Vuitton kaufte Visconti mehrere Koffer für sich und seinen Freund.

Ein Jahr später kehrte Berger in das Geschäft zurück, um sich selbst einen Koffer zu besorgen – diesmal aber mit seinen eigenen Initialen HB darauf. Denn LV, dachte er, stehe für Luchino Visconti. Von den verblüfften Verkäufern über das Missverständnis aufgeklärt, brachte Berger gerade noch ein "scusi" heraus und verließ peinlich berührt das Geschäft.

Es ist zwar noch immer nicht möglich, das LV-Monogramm gegen die eigenen Initialen auszutauschen, seit 2008 kann man sie aber auf die jeweiligen Stücke aufmalen lassen. "Mon Monogram" nennt sich der Service. Kein Wunder, dass sich die Kunden nach Individualität sehnen. Das ikonische Design ist so beliebt, dass es mittlerweile omnipräsent ist – im Original ebenso wie als mehr oder weniger gut gemachte Fälschung.

Ein Koffer für den Fifa-Pokal für die WM 2018.
Foto: Louis Vuitton

Eine Louis-Vuitton-Tasche ist so etwas wie das Einsteigermodell in die Welt der Luxusgüter. Richtig exklusiv wird es aber erst bei den Schrankkoffern. Sie stellen den Ursprung der französischen Marke dar und sind ab ca. 20.000 Euro zu haben. Nach oben gibt es kaum Grenzen, vor allem wenn es sich um individuelle Spezialanfertigungen handelt, die in diesem Geschäftsfeld von Louis Vuitton gang und gäbe sind.

Jährlich werden maximal 350 solcher Custom-Made genannten Einzelaufträge angenommen. Hergestellt werden die teilweise skurrilen Einzelstücke für gut betuchte Kunden in Asnières, im Nordwesten des Pariser Ballungsraumes.

Maßarbeit

Hinter der unscheinbaren beigen Fassade in einem Wohngebiet befindet sich ein kleiner überdachter Hof, über den Besucher zu einem Backsteinhäuschen gelangen. Dessen Einrichtung ist ein Musterbeispiel der Art Nouveau: organisch geschwungene Holzmöbel, zarte Blüten auf den bleiverglasten Fensterscheiben und blassgrüne florale Stuckelemente an den Wänden.

Hier wohnte die Familie Vuitton bis 1964. Louis und seine Frau Émile ließen das Haus in den 1870er-Jahren errichten, um möglichst nahe am kurz zuvor erbauten Atelier zu leben. Dieses ist nur ein paar Schritte entfernt.

Links wurde einmal gewohnt, rechts wird noch immer gearbeitet – der Louis-Vuitton-Standort in Asnières.
Foto: Louis Vuitton, Malletier Patrick Galabert

Im Inneren des Ateliers lärmt eine Schleifmaschine, es riecht nach Leim und Holz. Die Mitarbeiter blicken nur für ein kurzes "Bonjour" auf und arbeiten konzentriert weiter. Denn die Einzelteile der Koffer müssen auf den Millimeter genau angefertigt werden, damit Laden und Fächer nicht klemmen und sich die Kofferdeckel schließen lassen.

Genau das funktionierte bei der Sonderanfertigung des Koffers für den Fifa-Pokal nicht. Am Tag des Finales der Fußball-WM 2018 sollte die Trophäe in das eigentlich maßgefertigte Louis-Vuitton-Schränkchen verpackt werden, doch die Türen ließen sich partout nicht schließen. Hatten die Handwerker in Asnières gepfuscht? Einen verzweifelten Anruf bei Louis Vuitton später war der Fall klar.

Bei der Herstellung des Spezialkoffers wurde die leicht schräge Horizontalachse des Pokals mitbedacht. Dieser muss also in die richtige Position gebracht werden, damit er in die Maßanfertigung passt. Die Trophäe leicht gedreht, und siehe da, der Koffer ließ sich schließen. Die Krise war abgewendet.

Bett aus dem Koffer.
Foto: Louis Vuitton

Fifa ist nicht der einzige prominente Name in der Kundenkartei von Louis Vuitton. Karl Lagerfeld ließ für seine Katze Choupette eine Tragetasche maßanfertigen, und über Kim Kardashian kursiert das Gerücht, sie besitze einen Louis-Vuitton-Koffer speziell für ihre Sexspielzeuge. Dass sie ein Fan der Marke ist, beweist der Realitystar regelmäßig auf Instagram und Co.

So posierte sie etwa vor ihren mit dem LV-Monogram besprayten Mülltonnen. Bei Letzteren handelt es sich sicherlich um kein Custom-Made-Stück aus Asnières. Und ob es wirklich einen Auftrag zum Sextoykoffer gab, bleibt offen. Die Privatsphäre der Kundschaft geht vor. Prinzipiell hätte man aber kein Problem so etwas herzustellen, heißt es.

Spezialanfertigungen damals und heute: Für Ernest Hemingway hat Louis Vuitton eine Reisebibliothek kreiert.
Foto: Louis Vuitton, Malletier Patrick Galabert

Maßanfertigungen für VIPs gab es bei Louis Vuitton aber schon immer. Auch Ernest Hemingway war Kunde der Luxusmarke. Die für ihn hergestellte Spezialanfertigung könnte man als den Vorgänger des Kindle bezeichnen. Der Schriftsteller ließ sich nämlich eine Reisebibliothek anfertigen. Neben Platz für Bücher verfügte sie auch über ein Fach für eine Schreibmaschine. So konnte er unterwegs an seinen Werken arbeiten und jene anderer lesen.

Für eine Afrikaexpedition Anfang des 20. Jahrhunderts ließ sich der französische Marineoffizier Pierre Savorgnan de Brazza von Louis Vuitton einen Reiseschreibtisch mit Geheimfach anfertigen. Darin versteckte er einen Bericht über Gräueltaten der Franzosen gegen die lokale Bevölkerung.

De Brazza starb auf der Rückreise nach Paris, die französische Regierung wusste von dem Bericht im Geheimfach und wollte seiner habhaft werden. Man schaffte es aber nicht, den komplizierten Mechanismus zu bedienen. So wurde Georges Vuitton vorgeladen, um das Geheimfach zu öffnen.

Sonderwünsche

Beim Rundgang in Asnières lernen wir Monsieur Eric kennen. Er arbeitet schon seit 30 Jahren hier. Lange, graumelierte Haare, Lederketten mit Edelstahlanhängern um den Hals und die Arme voller Tattoos – wer an Louis Vuitton denkt, hat wohl nicht gerade Monsieur Eric im Kopf. Trotzdem kennt er das Luxusunternehmen und seine Kunden bestens. In einer Mappe sammelt er Fotos von allen Sonderanfertigungen, die er in 30 Jahren hergestellt hat. Stolz zeigt er einige der skurrilen Highlights.

Eine gutbetuchte Kundin wollte die Milchzähne ihrer Kinder standesgemäß aufbewahren. Zu diesem Zweck gab sie eine entsprechende Sonderanfertigung in Auftrag: eine kleine quadratische Box im LV-Monogram-Design mit zwei Fächern. Das eine in zartem Rosa ausstaffiert, das gegenüberliegende in blassem Blau. Ein Foto von Sohn bzw. Tochter zeigt, wessen Milchzähne hier aufbewahrt werden.

Für einen asiatischen Kunden einen Koffer mit ganzem Büroinhalt.
Foto: Louis Vuitton

Der Schrankkoffer eines Kunden aus Asien beherbergt gleich ein ganzes Büro: diverse Fächer, ein Klapptisch für den Laptop, eine Kaffeemaschine inklusive Service für vier Personen, Platz für DVDs und ein Player dazu. Ein Solarpanel sichert die Stromversorgung unterwegs.

Dass die Mitarbeiter bei Louis Vuitton auch selbst einen Hang zu skurrilen Ideen haben, zeigte ein unternehmensinterner Wettbewerb 2004 zum 150. Jubiläum von Louis Vuitton. Vier Projekte wurden prämiert und umgesetzt. Darunter auch ein Schrankkoffer, der eine portable Dusche beinhaltet.

Die Dusche aus dem Koffer.
Foto: Louis Vuitton

Es sieht so aus, als wären der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Doch ganz stimmt das nicht. Selbst mit allem Geld der Welt kann man sich nicht jeden Wunsch erfüllen. So wurde der Custom-Made-Auftrag für einen Louis-Vuitton-Sarg abgelehnt. Man stelle nur Reisegüter her, lautet die Begründung. Die letzte Reise des Menschen zählt anscheinend nicht dazu.(Michael Steingruber, RONDO exklusiv, 20.8.2019)