Brandstätter: "Es geht darum, Prozesse zu initiieren, zu begleiten, zu reflektieren, möglicherweise verdeckte Prozesse aufzuzeigen, um im wörtlichen Sinn eine Entwicklung aus einer Verstrickung zu erhalten. Das kann dann mittelfristig helfen, das Team als Einheit am Platz zu formen. Es geht aber nicht darum, nach dem Motto 'Geh zum Psycho, leg dich auf die Couch' defizitorientiert über Probleme zu reden."

Foto: www.csaky.at

"Im Bereich der Sportpsychologie können wir unterstützen, den Reflexionsprozess zu fördern, um herauszuarbeiten, wer tut was wie wann, und was löst das bei den anderen aus – liefert dieses Verhalten dem Team in diesen prekären Situationen Energie oder nicht?"

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STANDARD: Die blamable Niederlage des österreichischen Fußballnationalteams in Israel ist nun schon wieder einige Tage her. Die Aufarbeitung wird aber wohl noch länger dauern. Wie haben Sie als Sportpsychologe das 2:4 in Haifa wahrgenommen?

Brandstätter: Ich habe es im Fernsehen mitverfolgt. Meine persönliche Meinung als Fan ist, sie liefen, sie kämpften, sie rackerten, kreierten Torchancen, schossen aber das zweite Tor nicht. Der Tormann Israels hielt zwei- oder dreimal großartig. Es ist aber nicht meine Aufgabe als Sportpsychologe, eine Beurteilung über die gezeigte Leistung abzugeben und zu kommentieren, warum Österreich verloren hat. Erstens war ich via TV sehr weit weg, bekomme nicht mit, wie Interaktionen am Gesamtfeld innerhalb der Mannschaft sowie zwischen Trainern und Mannschaft stattfinden. Zudem bin ich bei den Besprechungen nicht dabei, weiß nicht, was für eine Stimmung und was für ein Klima in der Mannschaft herrscht.

STANDARD: Was bewirkt Sportpsychologie? Worum geht es?

Brandstätter: Es wird immer wieder dann nachgefragt, wenn es nicht läuft, wenn etwas passiert, das schlecht ist. Das ist sehr spannend. Wenn wir 3:0 gewonnen hätten, hätten Sie nicht angerufen. Oder?

STANDARD: Ich fürchte, da haben Sie recht. Also, worum geht es?

Brandstätter: Die Zusammenarbeit im gesamten Team ist das Entscheidende. Und die Sportpsychologie ist dabei ein Bereich von mehreren. Man kann nicht sagen, mach diese oder jene sportpsychologische Intervention, und das hat dann eine eindeutige Auswirkung im nächsten Augenblick. Es geht immer um ein prozesshaftes Lernen mit- und voneinander. Sportpsychologie unterstützt die Reflexionsfähigkeit im Team, es geht um das Hinschauen auf Kommunikationsprozesse und Verhaltensmuster, im "Coach the Coach" mit dem Teamchef und dem Betreuerstab wird reflektiert, mit welcher Haltung und Methodik Führungspersonen auf das Team einwirken. Und ob sie damit die von ihnen erwarteten Wirkungen erzielen.

STANDARD: Kritische Stimmen attestierten dem Team eine gewisse Lässigkeit und Überheblichkeit nach dem Führungstor. Zustimmung?

Brandstätter: Was ich von außen beobachten konnte, ist, dass eine engagierte, gut spielende, kompakte, homogene, technisch und taktisch überlegene österreichische Mannschaft rund 30 Minuten lang am Platz war und ich das Gefühl hatte, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein weiterer Treffer gelingt. Relevant für mich als Sportpsychologen ist: Schafft es die Mannschaft, diese Performance vom Start weg zu zeigen, und was passiert innerhalb der Mannschaft, wenn das Spiel mehr und mehr auf die Seite der Israelis kippt?

STANDARD: Worauf genau ist zu achten?

Brandstätter: Im Fußball passieren doch ständig Fehler, es gibt Situationen wie verlorene Zweikämpfe, vergebene Chancen. Was war ausschlaggebend, dass der Spielfluss verloren ging? Beginnen Spieler über Situationen, Schiedsrichterentscheidungen, Kollegen, eventuell das Match und den Verlauf nachzudenken? Da unterstützt die Sportpsychologie, diese Prozesse am Platz sichtbar zu machen und mit dem Team zu analysieren. Wichtig ist herauszuarbeiten, was jeder braucht, um sich bestmöglich weiter zu fokussieren, im Sinne von Achtsamkeit und Aufmerksamkeit um im Hier und Jetzt zu bleiben.

STANDARD: Teamchef Foda kritisierte im Interview danach die Mentalität und das Zweikampfverhalten. Ihr Eindruck?

Brandstätter: Ich tue mir schwer, was genau mit "Mentalität" gemeint ist, bin aber überzeugt, dass innerhalb des Teams klar ist, was der Teamchef dabei fordert. Meine Wahrnehmung als fußballbegeisterter Österreich-Fan ist, dass sie bis zum Schluss nicht aufgegeben haben, sondern immer wieder probiert haben, Angriffe zu starten, den Abschluss zu suchen. Die Leichtigkeit, das spielerische Miteinander ist verlorengegangen. Und dann wird Fußball schwierig.

STANDARD: Marko Arnautovic hat sich nach wenigen Spielminuten in einer Angriffssituation gestikulierend beschwert, den Ball nicht wie gewünscht serviert bekommen zu haben. Durch Zuspiel von Peter Zulj gelang dann aber doch der Führungstreffer. Könnte die Reaktion von Arnautovic als Indiz für eine nicht ideale psychologische Vorbereitung gewertet werden?

Brandstätter: Nein, weil Arnautovic seit Jahren so spielt. Und teilweise noch viel auffälliger, wenn man das so definieren möchte. Und er hat es geschafft, in die beste Liga der Welt zu kommen. Er ist ein gefragter Spieler in England und generell im Fußball. Wenn die Resultate einer Mannschaft nicht stimmen werden grundsätzlich die Beziehung und die Stimmung untereinander infrage gestellt. Als Sportpsychologe geht es mir immer um Kommunikation und damit um Verhalten. Wie kommunizieren sie sprachlich, vor allem aber mit dem Körper und tonlagenmäßig ("Der Ton macht die Musik"), damit die Energie des Teams bestmöglich am Platz bleibt, sie miteinander respektvoll und wertschätzend umgehen. Ziel ist, dass man sich nicht durch Diskussionen, diverse Untertöne und körpersprachliche Signale in Konflikte begibt und man nicht zum Nachdenken und somit weg vom Fokus auf die aktuelle Spielsituation im Match gebracht wird.

STANDARD: Es geht also viel um das richtige Verhalten auf dem Platz?

Brandstätter: Wichtig ist, mit den Spielern, aber auch mit dem Trainer- und Betreuerstab transparent sowie bewusst zu machen, welche Signale sie senden, wenn sie am Platz stehen, wie diese verstanden werden und welche Auswirkungen sie auf das gesamte Team haben. Diese Signale beeinflussen sich gegenseitig. Man kann nicht sagen, ich habe nichts damit zu tun, weil ich eh nichts gesagt habe. Mit Körpersprache wird mehr ausgedrückt, als verbal gesagt wird. Wenn ich als Spieler konsequent in einen Zweikampf gehe, dann ist das ein Zeichen an alle, ich bin da, ich bin präsent, ich bleibe dran. Tue ich das aber nicht, dann bekommt auch der Gegner das mit und ergreift automatisch die Chance, seinerseits mehr vom Spiel zu bekommen. Verhalten auf dem Platz ist systemisch gesteuert. Eines beeinflusst das der anderen und umgekehrt.

STANDARD: Bei der EM 2016 in Frankreich soll es internen, offiziell aber nicht bestätigten Wickel gegeben haben. Gruppenbildung und Kommunikationsprobleme können nicht ausgeschlossen werden. Das Team hat sich seither nicht mehr wirklich erfangen. Könnte es sein, dass diese Baustelle noch nicht abgeschlossen ist, die Probleme nicht gänzlich gelöst wurden?

Brandstätter: Ich habe außer Vermutungen nichts mitbekommen. Im besten Fall hat man eine sehr gut aufeinander abgestimmte, eingeschworene Mannschaft, die sich versteht und mag, zumindest aber sich respektierende Kollegen im Team. Es gibt auch Teams, deren Spieler privat wenig bis nichts miteinander unternehmen, aber wissen, dass zum Beispiel der Spieler X das Tor macht, wenn er den Ball im richtigen Moment auf den richtigen Fuß kriegt.

STANDARD: Angenommen, es läuft nicht rund und es wird mehr diskutiert als agiert. Spiegelt sich nicht gerade in solch prekären Situationen auf dem Platz wider, wie gut sich die Spieler wirklich verstehen?

Brandstätter: Für mich zählt dabei die Qualität der Diskussion als eine Option, mit Stresssituationen umzugehen. Im Match gegen Israel konnte ich von außen nicht erkennen, ob irgendwer mit irgendwem nicht kann. Interpretationen meinerseits hinsichtlich mancher Gesten von Spielern lehne ich ab. Im Bereich der Sportpsychologie können wir unterstützen, den Reflexionsprozess zu fördern, um herauszuarbeiten, wer tut was wie wann, und was löst das bei den anderen aus – liefert dieses Verhalten dem Team in diesen prekären Situationen Energie oder nicht? In einem Team sind sehr viele unterschiedliche Charaktere. Je besser man sich kennt und akzeptieren kann, was ein Spieler tut, umso leichter hält man es aus, wenn es zu Spannungen kommt, man mal angeschnauzt wird. Man schätzt ihn als Spieler dennoch und respektiert ihn, weil man weiß, dass er wichtig für das Team ist. Die Frage ist, was sie bräuchten, damit die Energie, mit der sie starten und mit der sie eine optimale Performance zeigen, längstmöglich am Platz vorhanden bleibt.

STANDARD: Das ist vermutlich viel Kopfsache und ließe sich bestimmt durch psychologische Schulungen verbessern ...

Brandstätter: Ja, das wäre das Prozesshafte. Das fällt in den Bereich Aufmerksamkeit/Fokussieren und Achtsamkeit. Aber auch wenn das jemand sehr gut kann, heißt das nicht, dass er das am Platz in jeder Situation optimal umsetzen kann. Sportpsychologische Methoden und mentales Training müssen geübt werden, um sie im Wettkampf bestmöglich einsetzen zu können. Es geht darum, Prozesse zu initiieren, zu begleiten, zu reflektieren, möglicherweise verdeckte Prozesse aufzuzeigen, um im wörtlichen Sinn eine Entwicklung aus einer Verstrickung zu erhalten. Das kann dann mittelfristig helfen, das Team als Einheit am Platz zu formen. Voraussetzung dafür ist immer die Bereitschaft aller Beteiligten mitzutun. Das ist nämlich ein intensiver Prozess, und dieser kann helfen, die Leistung zu optimieren. Es geht aber nicht darum, nach dem Motto "Geh zum Psycho, leg dich auf die Couch" defizitorientiert über Probleme zu reden.

STANDARD: Sondern?

Brandstätter: Ich arbeite mit Profis, die nicht sagen "Mein Leben ist im Chaos". Sie sagen "Ich bin gut drauf, aber ich möchte die Leistung konstant halten, möchte lernen, was meine Leistung konstant hält". Es geht darum, Fehler zu machen, um daraus zu lernen und diese dann zu minimieren. Welche Gestik, welche Mimik macht man am Platz, damit sich die Mannschaftskollegen bestmöglich auf das Spiel fokussieren können, und auch in großen Stresssituationen eine gute Leistung und ein gutes Ergebnis abzuliefern. Grundsätzlich geht es viel um Beziehungsgestaltung, Sicherheit und Vertrauen. Das sind drei ganz wichtige Punkte, diese sind die Basis, dass Spieler Leistung bringen. Die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein, steigt, wenn Sportler ihre mentalen Fähigkeiten stärken, steuern und damit umgehen können.

STANDARD: Haben Sie einen Rat an Franco Foda, wo er jetzt die Hebel ansetzen soll?

Brandstätter: Es wäre extrem respektlos und falsch, einem erfahrenen Trainer zu sagen, mach das oder das, und dann wird es funktionieren. Das ist nicht mein Stil und auch nicht der Stil von Sportpsychologinnen und Sportpsychologen in Österreich. (Thomas Hirner, 29.3.2019)