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Heroin und andere, vor allem synthetische Opiate sind in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft angekommen.

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Nico Walker wird dank seines im Vorjahr in den USA erschienenen Debütromans Cherry und seiner harten und wuchtigen Beschreibungen des US-amerikanischen Alltags jenseits von Familienidyllen aus den glücklichen Vorstädten diverser Vorabendserien im Fernsehen gern mit einem seiner literarischen Vorbilder, dem Autor Denis Johnson, verglichen. Letzterer veröffentlichte bereits 1992, rechtzeitig zum Höhepunkt der von harten Drogen nicht gerade verschont gebliebenen Grunge-Szene um Kurt Cobain, die gefeierte Kurzgeschichtensammlung Jesus' Son.

Der Buchtitel stammt von einem der ersten realistisch erzählten Drogensongs der Geschichte, Heroin von The Velvet Underground von 1967: "When I'm rushing on my run, I feel just like Jesus' son ..." Der Band stellt ein frühes Dokument der einst mit dem Vietnamkrieg und seinen traumatisierten Heimkehrern aufkommenden Opiatkrise in den USA dar, an der heute jährlich zehntausende Menschen nicht nur an Heroin elendiglich zugrunde gehen. Vor allem auch allzu fahrlässig verschriebene und teilweise 50-mal stärker als Heroin wirkenden Schmerzmittel wie etwa die synthetischen Opiate Oxycontin oder Fentanyl tragen die Schuld an dieser Tragödie. Fentanyl gelangte zuletzt in die internationalen Schlagzeilen wegen der tödlichen Überdosen des kaum zu kontrollierenden Medikaments der Popstars Prince und Tom Petty.

Kräftiger und knapper Schreibstil

Aber nun zu Nico Walker und Cherry: Wenn der junge Mann nicht vorzeitig begnadigt wird, darf er das Bundesgefängnis in Ashland, Kentucky, 2023 verlassen. Nachdem er elf Banken überfallen hatte, wurde er schließlich geschnappt und zu elf Jahren Haft verurteilt. Den in den USA hymnisch abgefeierten Roman Cherry verfasste Jungautor Nico Walker in seiner Zelle. Im Gegensatz zu den albtraumhaften Beschreibungen Denis Johnsons handelt es sich bei Walkers gern auch mit Ernest Hemingways kräftigem und knappem Schreibstil verglichenen Aufzeichnungen allerdings um eine Autobiografie, zu der möglicherweise nur wenig dazuerfunden werden musste, um sie interessant zu gestalten.

Behütet aufgewachsen im amerikanischen Suburbia von Cleveland, meldet sich Nico Walker während seines Studiums mehr aus Langeweile zum Militärdienst und dient zwischen 2005 und 2006 elf Monate als Sanitäter im Irak. Die Kapitel im Buch, die diesen Lebensabschnitt behandeln, erzählen nicht nur vom üblichen Stumpfsinn eines Lebens in Uniform. Nach seiner Rückkehr in die Heimat hat Walker auch einschlägige Erfahrungen mit Drogen aller Art gemacht und leidet aufgrund schrecklicher Erlebnisse während seiner Einsätze an einer überdurchschnittlich starken posttraumatischen Belastungsstörung. Sie führt ihn gemeinsam mit seiner Frau Emily, die er während des Studiums kennenlernte, zum Heroin und einer Karriere als nicht besonders talentierter, allerdings höflicher Bankräuber, weil das Geld als Vortagender an einer Uni irgendwann nicht mehr für zwei Leute reichte.

Drastische Szenen

Das Setting und die oft recht drastisch geschilderten Szenen zwischen Kriegsgräueln und Drogenelend fallen dabei null sentimental oder selbstgerecht aus. Allerdings ist es bei am Markt spätestens auch seit Jörg Fausers autobiografischem Roman Rohstoff oder den Schriften von William S. Burroughs nicht gerade spärlich gesäten Junkiebiografien geradezu zwingend, das man auch hier manchmal als Leser tief im Klischee herumdümpelt. Als erstaunlich bei Cherry allerdings erweist sich die Tatsache, wie weit mittlerweile die Droge in die Mitte der US-Gesellschaft vorgerückt ist. (Christian Schachinger, 2.4.2019)