Medwedews Leute geraten in letzter Zeit häufig ins Visier der Sicherheitsorgane in Russland.

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Die russischen Geheimdienste sind dieser Tage gut beschäftigt: Am Donnerstag führte das Ermittlungskomitee, eine Art russisches FBI-Pendant, Ex-Minister Viktor Ischajew zum Verhör. Bereits einen Tag später hat ihn das berühmt-berüchtigte Moskauer Bezirksgericht Basmanny (wo unter anderem die Prozesse gegen Michail Chodorkowski oder den Bürgerrechtler Ildar Dadin abgehalten wurden) wegen Betrugsverdacht unter Hausarrest gestellt.

Ischajew ist durchaus ein "Schwergewicht" in der russischen Politik: Der 70-Jährige war nicht nur von 1991 bis 2009 Gouverneur der Fernostregion Chabarowsk. Anschließend wurde er vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew zum Generalgouverneur für den gesamten Fernen Osten gemacht und hatte bis 2013 auch das Ministeramt für die Entwicklung Fernostrusslands inne. Nach massiven Schwierigkeiten bei der Beseitigung des Amur-Hochwassers löste Nachfolger Wladimir Putin den Beamten von seinem Posten ab.

Damals allerdings wurde Ischajew ein ehrenvoller Abgang gewährt, und er durfte immerhin noch bis zum vergangenen Jahr als Vizepräsident des Staatskonzerns Rosneft eine üppige Altersversorgung aufbauen. Ausgerechnet mit Rosneft sind nun freilich die Vorwürfe gegen ihn verbunden. Er soll die Konzernführung getäuscht haben, indem er für Rosneft eine Immobilie zu überhöhten Preisen angemietet hatte. Der Schaden wurde zunächst auf fünf Millionen Rubel (umgerechnet knapp 70.000 Euro) taxiert, was Ischajew selbst bei der Anhörung als "absurd" kommentierte. Solch eine Summe sei nur ein Bruchteil seiner Bezahlung.

Illegale China-Geschäfte

Doch auf Ischajew warten wohl noch schwerere Anklagepunkte. So soll er seine Hände beim illegalen Geschäft mit dem Verschachern riesiger Holzbestände nach China im Spiel haben. In der Gebietsverwaltung von Chabarowsk hat der Geheimdienst FSB bereits entsprechende Durchsuchungen durchgeführt. Tatsächlich ist der illegale Holzhandel ein großes Problem im Fernen Osten, der Moskau mehr und mehr enerviert.

Der Grund für das Vorgehen gegen Ischajew ist laut politischen Beobachtern aber ein anderer: Im Herbst hatte sich der Politiker, der in der Region immer noch großen Einfluss hat, inoffiziell gegen den Bewerber des Kreml auf die Seite des LDPR-Kandidaten Sergej Furgal gestellt. Und dieser hatte gewonnen – eine herbe Ohrfeige für die politische Führung in Moskau. Die Ermittlungen gegen Ischajew sind wohl die Retourkutsche und auch ein Signal, dass der Kreml es nicht duldet, wenn die Eliten gegen ihn spielen.

Dollarmilliardär unter Druck

Der zweite Ex-Minister, den es erwischte, stammt ebenfalls aus dem Umkreis von Medwedew: Michail Abysow ist ein 46-jähriger Geschäftsmann, der es sogar auf die "Forbes"-Liste der Dollarmilliardäre schaffte. Dem Kabinett Medwedews gehörte er von 2013 bis 2018 an. Die Veruntreuungs- und Betrugsvorwürfe gegen Abysow über umgerechnet 55 Millionen Euro stammen zwar aus der Zeit davor. Er soll damals Teile seiner Energieholding zu einem überhöhten Preis an einen Staatskonzern verkauft haben. Aber der Schlag richtet sich eindeutig auch gegen Medwedew selbst, der immer noch als ein möglicher Nachfolger Putins gilt, sollte dieser 2024 tatsächlich abtreten.

Der Premier sah sich daher gezwungen, am Freitag Stellung zum Thema zu beziehen. Dabei versuchte er sich weitestgehend abzugrenzen von dem in Ungnade gefallenen Unternehmer mit Politvergangenheit. Er wisse nichts von dessen kommerzieller Tätigkeit, habe nur gehört, dass es um irgendwelche Kredite gehe, seine Arbeit als Minister habe er einwandfrei erledigt, sagte Medwedew.

Im Visier der Geheimdienste

Es ist nicht das erste Mal, dass Medwedews Leute ins Visier der Silowiki, wie die Sicherheitsorgane in Russland genannt werden, rücken: Schon der Prozess gegen Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, der im Dezember 2017 zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, weil er angeblich Rosneft-Präsident Igor Setschin, dem wohl zweitmächtigsten Mann Russlands, eine Bestechungssumme über zwei Millionen Dollar abpressen wollte, hatte sich gegen den sogenannten liberalen Flügel in der Regierung gerichtet.

Mit den aktuellen Festnahmen verstärkt die Fraktion der Silowiki ihren Druck. Abysow nützte es daher wenig, dass sich der einstige Chefprivatisierer Russlands, Anatoli Tschubais (inzwischen Chef der Staatsholding Rosnano), und Ex-Vizepremier Arkadi Dworkowitsch (inzwischen Präsident des Weltschachverbands FIDE) bei der ersten Anhörung für ihn einsetzten. Er muss – im Gegensatz zu Ischajew – in Untersuchungshaft. Im härtesten Fall drohen ihm 20 Jahre.

Vergleiche zum Stalinismus

Welche Konsequenzen dieser neue Machtkampf für das komplizierte Gleichgewicht im System Putin hat, bleibt hingegen unklar: Der Soziologe Kirill Rogow sieht in der "neuen repressiven Aktivität", in die er auch den Fall des amerikanischen Großinvestors Michael Calvey vom Investmentfonds Baring Vostok einbezieht, das "Vorspiel" zu einer neuen politischen Phase des Regimes und zieht Vergleiche zum Stalinismus, der auch zu immer neuen Säuberungen innerhalb der Nomenklatura führte.

Tatsächlich treffen die Einschläge bei weitem nicht nur sogenannte Liberale: Senator Rauf Araschukow, der vor zwei Monaten direkt bei einer Parlamentssitzung unter anderem wegen Mordvorwürfen festgenommen wurde, gehört beispielsweise eher zu den kaukasischen Oligarchenclans und soll beste Beziehungen zu Ramsan Kadyrow haben.

Der Publizist Dmitri Milin prognostiziert daher, dass "die Stärkung der Silowiki und die beginnenden Festnahmen innerhalb der Elite" am Ende sogar zu einer Schwächung des Regimes führe. Denn nun würden die übrigen Teile der Eliten ihre Gegensätze untereinander vergessen und sich gegen die Angriffe der Silowiki miteinander verbinden. Das führe letztendlich auch zur Schwächung Putins, der bisher stets als Garant für das Gleichgewicht gegolten habe. Selbst eine "Palastrevolution" sei auf diese Art nicht auszuschließen, meint Milin.

Der kleiner werdende Kuchen

Bis zu einer "Palastrevolution" ist es noch weit. Allerdings werden die zunehmenden Verteilungskämpfe um den kleiner werdenden Kuchen innerhalb der russischen Führungsschicht immer deutlicher sichtbar – zumal auch die Silowiki beileibe nicht die einheitliche Fraktion sind, als die sie häufig wahrgenommen werden. Innerhalb der Sicherheitsorgane toben ebenfalls seit geraumer Zeit Machtkämpfe.

Massives Kompetenzgerangel gibt es zwischen dem Ermittlungskomitee, geleitet von Putins Ex-Kommilitonen Alexander Bastrykin, und der Generalstaatsanwaltschaft. FSB, Innenministerium und Armeegeheimdienst GRU liefern sich ebenfalls hinter den Kulissen handfeste Auseinandersetzungen, die nur von Zeit zu Zeit durch skandalträchtige Verhaftungen hochrangiger Beamter der jeweils konkurrierenden Struktur ans Tageslicht gelangen.

Zur Ruhe kommen wird die russische Elite damit in den nächsten Jahren nicht. Die Konflikte werden bis 2024 nur noch zunehmen, da es dann auch um die Positionierung der eigenen Fraktion bei der Nachfolgefrage geht. (André Ballin aus Moskau, 29.3.2019)