"Die Vorwürfe gehen zurück auf die Anzeige der Schweizer Privatbank, aber dass dann die Staatsanwaltschaft in Deutschland nicht davor zurückschreckt, gegen mich zu ermitteln – wo doch Deutschland selbst geschädigt wurde –, ist absurd", sagt "Correctiv"-Chefredakteur Oliver Schröm.

Foto: NDR/Andreas Rehmann

Seit 2018 wird gegen Oliver Schröm, "Correctiv"-Chefredakteur und Aufdecker des Cum-Ex-Skandals, wegen Wirtschaftsspionage und Verletzung des Geschäftsgeheimnisses ermittelt. Beim Journalismusfestival in Perugia (3. bis 7. April 2019) berichtet der Investigativjournalist über seine Recherche zu den Cum-Ex-Files. Ein Vorabgespräch über Pressefreiheit und die Kriminalisierung von Journalisten.

Geschäftsgeheimnis Steuertrick

Allein in Österreich beträgt der Schaden rund 183 Millionen Euro. In ganz Europa sind es sogar 55 Milliarden Euro. Bei Cum-Ex-Geschäften wird einmal gezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach rückgefordert. Der Mann, der maßgeblich an der Aufdeckung des Skandals beteiligt war, ist nun aber selbst mit Ermittlungen gegen seine Person konfrontiert: "Correctiv"-Chefredakteur Oliver Schröm wird Wirtschaftsspionage und Verletzung des Geschäftsgeheimnisses vorgeworfen.

Das Recherchezentrum "Correctiv" hatte gemeinsam mit 18 Medien aus zwölf Ländern die illegalen Geschäfte und ihr Ausmaß in Europa aufgedeckt. Schröm beschäftigt sich bereits seit 2013 mit dem Dividenden-Steuertrick. Als er den Anruf eines Informanten erhielt, arbeitete er gerade für den "Stern". "Im Gespräch kam der deutsche Investor Carsten Maschmeyer vor, das hat mich stutzig gemacht. Erst später in der Recherche hat sich herausgestellt, dass es ein systematisches Problem ist", sagt Schröm.

Investigativer Journalismus als Straftat

Aufgrund seiner Recherchen wurde Oliver Schröm von der Schweizer Privatbank Sarasin wegen Wirtschaftsspionage angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg übernahm das Strafverfahren im Mai 2018 und ermittelt nun wegen des Verdachts auf "Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen". Es ist das erste Mal, dass ein Paragraf aus dem Wettbewerbsrecht auf einen Journalisten angewendet wird.

Der deutsche Journalistenverband ist über die laufenden Ermittlungen empört. Auch Schröm kann nicht nachvollziehen, warum der Fall von Deutschland übernommen wurde. "Die Vorwürfe gehen zurück auf die Anzeige der Schweizer Privatbank, aber dass dann die Staatsanwaltschaft in Deutschland nicht davor zurückschreckt, gegen mich zu ermitteln – wo doch Deutschland selbst geschädigt wurde –, ist absurd." Als Journalist sei er kein Mitbewerber, und es handle sich um kein Geschäftsgeheimnis, sondern um einen Missstand. "Es ist, als würde ein Polizist angeklagt werden, weil er einen Bankräuber verfolgt hat. Ich habe nur meinen Job gemacht", sagt Schröm.

Spürbare Verunsicherung

Durch die laufenden Ermittlungen ist Oliver Schröm nun in seiner Arbeit eingeschränkt: Die Verunsicherung bei Gesprächspartnern sei spürbar, zudem muss er mehr Aufwand betreiben, um seine Informanten zu schützen. Im Zuge der Ermittlungen könnten auch seine Telefonate abgehört oder Hausdurchsuchungen durchgeführt werden. Sollte Schröm verurteilt werden, drohen ihm im schlimmsten Fall bis zu vier Jahre Gefängnis.

Immer neue Instrumente gegen Journalismus

Schröm kritisiert, dass immer wieder neue Hebel gesucht werden, um Journalisten bei ihrer Arbeit zu behindern. So gebe es immer wieder Versuche, Journalisten wegen des sogenannten Geheimnisverrats zu kriminalisieren.

Stefan Melichar, Investigativjournalist bei Dietrich Mateschitz' Rechercheplattform "Addendum", schätzt die Lage in Österreich entspannter ein. "Der gesetzliche Schutz für die Arbeit von Investigativjournalisten in Österreich ist gut. Das Redaktionsgeheimnis wird von den Behörden respektiert." Einige Punkte seien trotzdem verbesserungswürdig, so zum Beispiel das Verbot der Veröffentlichung mancher Akteninhalte aus Steuerverfahren. "Laut Paragraf 252 Finanzstrafgesetz darf man bestimmte Informationen unter Strafandrohung nicht veröffentlichen." Was wiederum das Thema Geschäftsgeheimnisse betrifft, sieht Melichar in Bezug auf Cum-Ex – etwa bei involvierten Banken – keine schützenswerten Interessen.

"Systematisches Problem aufzeigen"

Oliver Schröm lässt sich trotz der Ermittlungen gegen ihn nicht entmutigen. "Ich muss Missstände aufdecken, es geht nicht darum, eine Schlagzeile zu haben oder das Verbrechen Einzelner an den Pranger zu stellen, es geht darum, ein systematisches Problem aufzuzeigen", sagt Schröm. Um gut arbeiten zu können, müssten Journalisten aber rechtlich abgesichert sein.

Viele Medien seien durch ein mögliches presserechtliches Verfahren eingeschüchtert und daher nicht bereit, heikle Themen zu bearbeiten, sagt Schröm. "Presserechtlich gegen jemanden vorzugehen kostet wahnsinnig viel Geld, und die Zeche zahlt der Verlierer. Da kann eine stattliche fünfstellige Summe zusammenkommen. Das können sich viele Medien nicht leisten." Man müsse bei presserechtlichen Verfahren daher die Prozesskosten deckeln, so Schröm.

Stefan Melichar, der bereits von Beginn an Teil des internationalen Rechercheteams zu Cum-Ex war, sieht die Herausforderungen für Investigativjournalismus in Österreich in einem anderen Bereich. "Es werden Stellen abgebaut, die Arbeitsbelastung für jeden steigt, und das geht zulasten der Recherche."

Besserer Schutz durch neue EU-Richtlinie

Eine positive Tendenz ist bei der Umsetzung des Geschäftsgeheimnisgesetzes spürbar. Der deutsche Gesetzesentwurf der EU-Richtlinie wurde von Interessenverbänden und Sachverständigen zuvor monatelang kritisiert. Journalisten und Whistleblower seien in dieser Variante nicht ausreichend geschützt und könnten leichter verklagt werden. Auch Schröm sah den Entwurf kritisch. Er sieht in seinem Fall ein Beispiel dafür, dass Journalisten im Strafrecht nicht ausreichend geschützt sind. "Es geht bei mir darum, dass ich gegen Wettbewerbsrecht verstoßen haben soll, aber ich bin als Journalist kein Mitbewerber, und es handelte sich auch um kein Geschäftsgeheimnis. Wenn Missstände als Geschäftsgeheimnisse deklariert werden, ist das grotesk."

Zuletzt beschloss der Bundestag ein Gesetz, in dem die Kritik von Journalisten berücksichtigt wurde. Dem geänderten Gesetzesentwurf zufolge können Journalisten nicht mehr strafrechtlich wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen verfolgt werden, wenn sie aus internen Firmenunterlagen zitieren. Eine Ermittlung wie die bei "Correctiv"-Chefredakteur Schröm sollte in Zukunft also nicht mehr möglich sein.

Wie funktioniert Cum-Ex?

Durch seine Recherchen deckte Oliver Schröm auf, dass sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragssteuer (KESt) mindestens zweimal rückerstatten ließen. Das kann man sich so vorstellen: Mehrere Investoren kaufen rund um den Tag, an dem ein Konzern eine Dividende ausschüttet, eine Aktie. Damit sind Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch im Umlauf. Außerdem wird mit Leerverkäufen gearbeitet. Die Aktien werden nun zwischen den Beteiligten hin- und hergeschoben. Am Tag nach der Ausschüttung der Dividende fällt für den Besitzer der Aktien eine KESt (in Österreich 27,5 Prozent) an, die aber unter bestimmten Umständen wieder zurückgefordert werden kann.

Durch das Verschieben der Aktien zwischen den Beteiligten fällt es den Behörden schwer, den eigentlichen Aktienbesitzer zum Zeitpunkt der Dividendenausschüttung festzustellen. Die nur einmal bezahlte Kapitalertragssteuer kann nun mehrmals zurückgefordert werden. Die Investoren bereichern sich also am Geld, das Steuerzahler zuvor eingezahlt haben.

Während die Ermittlung gegen Oliver Schröm noch laufen, gerät die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals nach Recherchen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" jedoch ins Stocken. Die Ermittler kämpfen gegen die Zeit, weil Insidern zufolge viele Fälle verjähren könnten. Es wird kritisiert, dass zu wenige Ermittler eingesetzt werden und es den Steuerfahndern außerdem am nötigen Expertenwissen fehle, um dem Umfang und der Komplexität der Cum-Ex-Fälle gerecht zu werden. (Annemarie Andre, Anja Maria Dax, 4.4.2019)