Am Freitag haben mehr als 20.000 Jugendliche in Berlin für mehr Klimaschutz protestiert.

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Berlin – Wenn die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Wechsel in ihrer Politik vollzieht, kündigt sie das oft zunächst in Nebenbemerkungen an. Als sie vor kurzem mit Bürgern in Bremerhaven diskutierte, deutete sie etwa ein ziemlich radikales Umdenken in der Klimaschutzpolitik an. Deutschland stehe vor "harten Entscheidungen" und müsse mehr tun, um seine Klimaschutzziele zu erreichen, mahnte sie.

Seit einigen Tagen erwähnt auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer plötzlich in fast jeder Rede, dass man über eine generelle "Bepreisung" von Kohlendioxid-Emissionen nachdenken müsse. Ausgerechnet der Wirtschaftsflügel der Union prescht nun vor und beschloss am Samstag ein Konzept für die radikale Ausweitung des Emissionshandels für Verschmutzungsrechte auch auf Verkehr und Wärmeerzeugung. Der Wandel hat drei Gründe: Sorgen um das Klima, um das deutsche Budget, aber auch um das künftige Abschneiden von CDU und CSU bei Wahlen.

Milliardenkosten kommen auf Deutschland zu

Die internationalen Vereinbarungen, die Deutschland beim Klimaschutz eingegangen ist, sorgen nun für Druck: Deutschland muss seine Ziele zur Reduktion seiner Emissionen erreichen, sonst wird es teuer. Im Bundeshaushalt ist für 2020 erstmals ein dreistelliger Millionenbetrag für den Ankauf von CO2-Emissionsrechten eingeplant. Sollte Deutschland seinen CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren nicht substanziell senken können, rollen auf das Budget Belastungen in Milliardenhöhe zu, warnte Umweltminister Svenja Schulze (SPD) bereits. Das will nicht nur Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vermeiden. Dies erklärt auch, warum die Regierung und auch die Kanzlerin nun entschlossener an die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes heuer gehen.

Deshalb unterstützt Merkel auch Umweltministerin Schulze gegenüber Unions-Kritikern bei den Bemühungen, verbindliche Einsparziele für alle Sektoren festzulegen. Die Einrichtung des Klimakabinetts ist ein Signal, dass das Thema CO2-Einsparungen notgedrungen Chefsache wird. Auch die Republik Österreich hat mit Kosten in Milliardenhöhe aufgrund von Klimazielverfehlungen zu rechnen, wie der STANDARD berichtete.

Klimaschutz betrifft alle

Aber sowohl Merkel als auch Kramp-Karrenbauer mahnen, dass man mehr Klimaschutz nur mit einer größeren Akzeptanz auch zu unpopulären Maßnahmen erreichen könne – gerade bei den Unions-Anhängern. "Wir müssen in aller Ehrlichkeit ganz deutlich den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Es gibt keinen Klimaschutz, von dem niemand irgendwie betroffen ist", warnte deshalb Kramp-Karrenbauer vorsorglich etwa am Donnerstag bei einem Treffen der mittelständischen Immobilienwirtschaft. "Klimaschutz wird sich bemerkbar machen, möglicherweise in Form von höheren Energiepreisen" oder anderen Anforderungen an Mobilität oder Bauen. Das müsse offen angesprochen werden. Ansonsten drohten Proteste wie die der "Gelbwesten" in Frankreich.

Nun springt sogar die deutsche Mittelstandsvereinigung (MIT) der Union auf den Zug auf. "Der Klimaschutz ist eben auf der politischen Agenda, davor können wir die Augen nicht verschließen", sagt der CSU-Wirtschaftspolitiker Hans Michelbach zu Reuters. Denn gerade der umstrittene Kohleausstieg bis 2038 hat dem Unions-Wirtschaftsflügel gezeigt, wie ernst die Lage ist. "Unsere Aufgabe ist es, das Schlimmste zu verhindern – und eine markwirtschaftliche Lösung vorzuschlagen, um weitere staatliche Regulierung zu verhindern", sagt der MIT-Vize. Also schlägt die MIT nun vor, dass künftig Treibhausgas-Verschmutzungsrechte nicht nur für die Energieerzeugung, sondern auch den Verkehrssektor und den Baubereich gekauft werden müssen. Das Ziel: Über steigende Preise für Verschmutzungsrechte einen Anreiz zu setzen, den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu reduzieren.

Gebote und Verbote

Ins selbe Horn bläst nun auch die CDU-Chefin. "Die Klimaschutzdebatte kreist vor allem um Gebote und Verbote", kritisierte Kramp-Karrenbauer. Es sei Aufgabe der CDU, marktwirtschaftliche Lösungen zur CO2-Minderung voranzutreiben – etwa den Ausbau des Emissionshandelssystems.

Dahinter steckt auch eine klare parteipolitische Überlegung. Schon 2018 hatten CDU und CSU bei den Wähleranalysen erkennen müssen, dass sie nicht nur Wähler an die rechtspopulistische AfD verlieren, sondern in gleichem Umfang an die Grünen. Jeden Freitag protestieren nun Schüler für mehr Umweltschutz – und die Union droht die kommenden Wählergeneration zu verlieren. "Wir haben das Thema Ökologie in den letzten Jahren vernachlässigt", räumt Kramp-Karrenbauer ein – und sieht Versäumnisse weit in der Vergangenheit. "In den Jahren nach 1994 haben wir auf der Strecke irgendwann den Anspruch hinten angestellt, eine eigene originäre Antwort zu geben", sagte sie. Das klingt wie eine Kritik an Merkel, die immerhin 18 Jahre lang CDU-Chefin gewesen war – und von 1994 bis 1998 Umweltministerin.

Und fast jede neue Umfrage erhöht den Eindruck in der Unions-Spitze zu handeln: Im neuen ZDF-Politbarometer ist Grünen-Chef Robert Habeck erstmals der beliebteste Politiker noch vor Merkel. Sogar in Sachsen liegt die Ökopartei mittlerweile laut Umfragen bei 16 Prozent. (APA, Reuters, 31.3.2019)