Ob May bei ihrem sonntäglichen Kirschenbesuch um göttlichen Beistand im Brexit-Chaos gebeten hat, ist nicht überliefert.

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London – In Großbritannien unternimmt Premierministerin Theresa May in den kommenden Tagen einen neuen Anlauf, um einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse zu finden. Dann entscheidet sich womöglich auch, ob es Neuwahlen geben wird. Am Montag berät das Parlament abermals über einen Alternativplan zu dem von May mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag, den die Abgeordneten am Freitag zum dritten Mal abgelehnt hatten. Medienberichten zufolge könnte es dann am Dienstag zu einer Stichwahl zwischen den beiden Vorschlägen kommen.

May hatte kurz vor der Abstimmung ihren Rücktritt angeboten, um Kritiker auf ihre Seite zu ziehen. Doch der Vorstoß scheiterte. Nun hat sie weniger als zwei Wochen Zeit, um die anderen 27 EU-Staaten davon zu überzeugen, dass sie die Blockade noch lösen kann. Andernfalls muss die Regierungschefin eine weitere – diesmal deutliche – Verschiebung des Austrittstermins beantragen oder ihr Land am 12. April ohne Abkommen aus der Europäischen Union führen. Vor einem solchen ungeregelten Brexit fürchtet sich insbesondere die Wirtschaft, weil dadurch eine erhebliche Beeinträchtigung der Konjunktur sowohl in Großbritannien als auch in der EU droht.

Über das Wochenende blieb unklar, mit welcher neuen Strategie May sich nun um eine Mehrheit für ihren Deal bemühen wird. Der Generalsekretär ihrer Konservativen Partei, Brandon Lewis, sagte BBC-Radio, alle Optionen seien zu prüfen. Der Zeitung "Sunday Times" zufolge droht May ein Auseinanderbrechen ihrer Regierung, sollte sie ihren Deal nicht doch noch durchs Parlament bringen. Entscheide sie sich für einen Austritt ohne Vertrag, würden mindestens sechs pro-europäische Minister ihre Ämter aufgeben. Lasse die Premierministerin sich dagegen auf eine Zollunion mit der EU ein oder eine lange Verschiebung des Austritts, drohe der Rücktritt von mehreren Brexit-Anhängern in der Regierung.

Zollunion als Option

Unter den diskutierten Alternativen zu Mays Deal ist der Vorschlag, mit der EU nach dem Austritt eine Zollunion einzugehen, einer der beliebtesten im Parlament. Er wird insbesondere auch von Abgeordneten der oppositionellen Labour Party unterstützt und gilt als bevorzugte Variante vieler Wirtschaftsbosse. Brexit-Unterstützer sind jedoch dagegen, weil Großbritannien damit die Möglichkeit genommen würde, eigene Handelsvereinbarungen zu schließen. Der Zeitung "Sun" zufolge haben 170 der 314 konservativen Abgeordneten May einen Brief geschrieben, in dem sie auf einen EU-Austritt in den kommenden Monaten drängen – selbst wenn das einen harten Brexit bedeuten würde.

Vergangene Woche hatte eine Unterhaus-Debatte über diverse Alternativ-Vorschläge keine Mehrheit ergeben. Am Montag machen die Abgeordneten einen neuen Anlauf. Der Plan, der die meisten Stimmen erhält, könnte dem Parlament am Dienstag in einer Stichwahl gegen Mays Abkommen vorgelegt werden, berichtete die Zeitung "Mail on Sunday". Gegebenenfalls könnten dann bereits am Mittwoch Neuwahlen anberaumt werden, hieß es ohne Quellenangabe. Diesem Vorgehen müssten zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. Mays Berater seien jedoch uneins, ob die Regierungschefin diesen Schritt gehen soll, berichtete das Blatt. Eine Meinungsumfrage im Auftrag der Zeitung ergab, dass Labour fünf Prozentpunkte Vorsprung vor den Konservativen hat. Presseberichten zufolge sind führende Tories gegen Neuwahlen, weil sie eine krachende Niederlage fürchten.

Europas Sozialdemokraten für Teilnahme Großbritanniens an EU-Wahl

Weiter umstritten ist auch eine andere Wahl, nämlich die potenzielle Teilnahme Großbritanniens an den EU-Wahlen, sollte es zu einer längeren Verschiebung des Brexits kommen. Die europäischen Sozialdemokraten zeigen sich nämlich offen für eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl Ende Mai. "Wenn das Vereinigte Königreich keinen Ausweg mehr über sein blockiertes Parlament findet, muss man das Volk fragen", sagte Fraktionschef Udo Bullmann am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.

"Dessen unveräußerliches Recht ist es aber auch, an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen", sagte der deutsche Sozialdemokrat. Solange Großbritannien EU-Mitglied sei, "gibt es nach Recht und Gesetz dazu keine Alternative".

Bullmann widersprach damit dem Fraktionschef und Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Der deutsche Christlichsoziale hatte am Samstag eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl angesichts der Brexit-Querelen strikt abgelehnt. "Wenn ein Land die EU verlassen will, dann darf es keinen Einfluss mehr auf die Gestaltung der Union haben", sagte Weber in Nürnberg. Bis zur Europawahl müsse Klarheit herrschen.

Eine Teilnahme Großbritanniens könnte das Rennen um den ersten Platz bei der Europawahl spannend machen, weil die EVP dort nicht antritt, während die europäischen Sozialdemokraten (S&D) auf zahlreiche zusätzliche Mandate durch die Labour Party hoffen dürfen. Im Jänner zeigte eine Prognose des Wiener Projekts "Poll of Polls" für die APA, dass die Sozialdemokraten ihren Rückstand auf die EVP bei einer Teilnahme Großbritanniens von 50 auf 22 Mandate mehr als halbieren würden. Einer informellen Übereinkunft von EVP und S&D zufolge soll diejenige Parteienfamilie den künftigen EU-Kommissionspräsidenten stellen, die im neuen Europaparlament die größte Fraktion ist.

Großbritannien müsste sich nach britischem Recht bis 12. April festlegen, ob es Europawahlen organisieren will. Die übrigen 27 EU-Länder hatten deshalb zunächst nur einer Verschiebung des Brexits vom 29. März bis zu diesem Datum zugestimmt. Da London vorige Woche keine Lösung für den EU-Austritt fand, soll ein EU-Sondergipfel am 10. April neu beraten. (APA. 31.3.2019)