Geschlechterstereotyp trifft auf Klassikerhuldigung trifft auf Pop:Steffi Kautz als Blanche (hinten), Katharina Klar als Stella und Jan Thümer als Stanley.

APA/Herbert Neubauer

Ein Stiegenhaus wie in einem Herrenhaus. Eingerahmt von kitschig bunter Blumenpracht. Ein Luster, viel Stuck. Normalerweise tänzeln über eine solche Treppe Showgirls. Im Wiener Volkstheater sind es vier Herren auf Stöckelschuhen. Der eine trägt seine Haare amadeushaft blau, der andere britneyhaft blond. Mehr Zeit als im Gym haben sie vor dem Spiegel verbracht. (Bühne: Aleksandra Pavlovivić)

Das Stück, das an diesem Abend im Haus am Weghuberpark gegeben wird, heißt Endstation Sehnsucht und wurde wegen seiner sexuell aufgeladenen Atmosphäre berühmt. Der Mann als Alphatier, die Frau wahlweise als ihm ergebenes, ihn erregendes Liebchen oder als neurotische Fantastin, die sich ihre eigene Welt erschafft. Ersterer ging in Gestalt des schweißnassen, muskelbepackten Marlon Brandon im Ruderleibchen in die Populärgeschichte ein, letztere in jener der ihre Kleider in derselben Geschwindigkeit wie Männer wechselnden Vivien Leigh. Elia Kazan verfilmte 1951 das Bühnenstück von Tennessee Williams.

An den Geschlechterrollen des schwülen Südstaatenstoffes haben sich Generationen von Theater- und Filmstudenten abgearbeitet. Heute sind diese nicht mehr von dieser Welt. Oder vielleicht doch? Im Wiener Volkstheater ist man sich dessen nicht so sicher. Hier überlagern sich die Bilder genauso wie die Zeiten. Williams Text aus dem Jahre 1947 wird mit nur wenigen Strichen und Umstellungen auf die neongrelle Bühne gewuchtet. Er trifft auf eine Welt, in der sich der Designer Philipp Plein genauso wohl fühlen würde wie Siegfried & Roy.

Gefühlsklassiker trifft auf Plastik

Oder anders gesagt: Ein Gefühlsklassiker trifft auf Plastik, eine Machowelt auf queeren 90er-Jahre Pop. Das kann nicht gut gehen. Geht es auch nicht. Aber die Funken, die Regisseurin Pinar Karabulut aus diesem Crash schlägt, erleuchten die 70 Jahre, die zwischen uns und diesem Sehnsuchtsstück liegen, mehr als es manch buchstabengetreue Inszenierung täte. "Ich will keinen Realismus", heißt es im berühmtesten Zitat des Stück: "Ich will Magie."

Gesprochen wird es von Blanche DuBois, einer einstigen Schönheit aus einer einst wohlhabenden Südstaatenfamilie, die bei ihrer Schwester und deren grobschlächtigen polnischem Mann Stanley in New Orleans landet. Im Volkstheater spielt Steffi Krautz diese verzückte Träumerin. Sie ist eine deutliche Spur zu alt für die Rolle und auch sonst nicht unbedingt das, was man sich klischeehaft unter einer Südstaatenschönheit vorstellt. Blanches Feuer, ihr Aufbegehren gegen das Altern und jegliche Vulgarität, trägt sie aber in sich. Krautz steht im Mittelpunkt von Karabuluts Stückauslotung, die intensiveren Schauspielmomente gehören dieser tollen Schauspielerin. Ihr obliegt es, die Brücke zum Stücktext und zu den männlichen Paradiesvögeln zu schlagen, die sie an diesem Abend umschwirren.

Testoserongesteuerte Rüpel

Diese haben mit Williams testoserongesteuerten Rüpeln auf den ersten Blick nicht mehr viel zu tun. Sie zwängen sich in Schlangenlederhosen und Rüschenhemden und tragen blauen Kajal (Kostüme: Johanna Stenzel). Wagt es aber jemand seine Stimme gegen ihre Souveränität zu erheben, verwandelt sich die Truppe um Stanley (Jan Thümer) in eine Horde von Affen. Die alte, toxische Männlichkeit, sie lebt an diesem Abend in anderer Form fort. Ihre primitivsten Aspekte hat sie zwar abgelegt, statt plumper Brutalität huldigt sie elektronischem Pop, geht es aber darum, eine Frau aus dem Weg zu räumen, dann machen auch sie kurzen Prozess. Statt einer Vergewaltigung wie bei Williams steht bei Karabulut eine Lobotomie. Zuvor macht sich die Regisseurin aber noch einen Spaß und lässt die Bühne fluten.

Aus einer schwitzigen Männerfantasie wird ein riesiges Planschbecken. Aus einem feuchten Plastiktraum ein Trash-Szenario. Und aus einer Verrückten schließlich eine Heilige. Als leibhaftige Muttergottes mit einem von Schwertern durchbohrten Plüschherz und Halogen-Heiligenschein steht Blanche da, bevor Stanley das Messer zückt.

Geschlechterstereotypen treffen am Ende noch einmal auf Populärkultur und auf Klassikerhuldigung. Das knirscht zwar oft und reibt sich gewaltig, birgt aber auch einen frischen und ziemlich spaßigen Blick auf dieses Stück. (Stephan Hilpold, 31.3.2019)