Auch wenn bei der Stimmabgabe selbst alles glattläuft – in der EU sorgt man sich wegen etwaiger Angriffe auf die Wahl.

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"Es war so etwas wie ein Weckruf für die ganze EU", sagt Liisa Past über die russischen Einflussversuche bei der US-Wahl 2016. "Da hörten wir auf, naiv zu sein." Die ehemalige Chefverantwortliche jener estnischen Behörde, die im vergangenen Jahr zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen für die anstehenden EU-Wahlen vom 23. bis 26. Mai 2019 koordiniert hat, ist jetzt mit Blick auf das bevorstehende Votum alarmiert. Tatsächlich entwickelt sich in bestimmten Kreisen nur langsam ein Verständnis für die Möglichkeiten zur Wahlkampfbeeinflussung durch das Internet.

Um die Wahlen zu schützen, plant die EU zahlreiche Maßnahmen zu Datenschutz, Transparenz, Cybersecurity, Kooperation bis zu Sanktionen für Cyberattacken und unerlaubte Wahlbeeinflussungen. Allein: Ob diese umgesetzt werden, obliegt den Mitgliedstaaten. Grund dafür: der fehlende Wille zur Kooperation auf EU-Ebene.

Die EU-28 konnten sich weder dazu durchringen, das Wahlprozedere zu harmonisieren, noch dazu, nationale Kompetenzen an die EU abzutreten. Eine zentrale Attacke auf einheitliche EU-Wahlen wäre deutlich leichter zu erkennen und bedürfte eines weitaus größeren Mitteleinsatzes. Durch das Beharren auf nationale Souveränität erstreckt sich die Wahl nun über vier Tage. Nicht nur die Prozenthürden für den Einzug, auch das Mindestalter für Wähler und wählbare Abgeordnete unterscheidet sich. Online kann nur in Estland abgestimmt werden. Tatsächliches Hacking – wenngleich unwahrscheinlich – wäre neben dem estnischen i-Voting-System aber auch in jenen Staaten möglich, die ihre Stimmen mittels computergestützter Technik auszählen und so ihre Sitzverteilung den EU-Behörden bekanntgeben.

Geringe Wahlbeteiligung als Problem

Als weit größeres, weil realistischeres Problem gilt aber die Wahlbeeinflussung. Projekte der EU zur Aufklärung von Desinformationskampagnen wie die Factchecking-Website "EU versus Disinformation" seien zwar grundsätzlich eine gute Sache, "kratzen aber immer noch nur an der Oberfläche", sagt Thomas Lohninger von Epicenter Works. 3.800 aufgedeckte Fälle von Falschinformationen in 18 Sprachen seit 2017 zeigten außerdem den enormen Bedarf für solche Projekte.

Mit solch "spielerischen" Videos versucht die EU Bewusstsein für Desinformationskampagnen zu schaffen.
EU vs Disinformation

Die EU-Wahlen sind auch deshalb ein besonders interessantes und leichtes Ziel für Wahlbeeinflussungen, weil die oft schwache Beteiligung beim Urnengang es leichter macht, bestimmte Personenkreise zu beeinflussen und zur Wahl bestimmter Parteien zu drängen. 2014 wählten nur rund 14 Prozent der slowakischen Wahlberechtigten immerhin 14 EU-Abgeordnete. Eine Wahlbeeinflussung von signifikantem Ausmaß fällt da bei 89 Prozent Wahlbeteiligung, wie etwa in Belgien, weit schwerer.

In Österreich gingen rund 45 Prozent zur Wahl. Zwar werde in Österreich ausschließlich analog, also mit Stift und Papier, gewählt, dennoch habe man sich seitens des BMI gemeinsam mit dem BVT auf etwaiges Hacking vorbereitet, sagt Innenministeriumssprecher Christoph Pölzl dem STANDARD . Zu den "umfangreichen Maßnahmen" gehören etwa Schulungen von Gemeindemitarbeitern zum Thema Cybersicherheit. Ein im Bundeskanzleramt koordiniertes Netzwerk aus verschiedenen Ressorts soll gegen Desinformationskampagnen vorgehen. Man beschäftige sich aber nur mit strafrechtlich relevanten Desinformationen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, so Pölzl.

Transparenzmangel

Lohninger sieht etwas weniger als zwei Monate vor der Wahl aber nach wie vor ein "recht besorgniserregendes Bild". Zu viele Fragen seien offen. Zu sehr hake es noch an Transparenzfragen. Die Politik hinke immer noch hinterher und verabsäume es, notwendige Verbesserungen nicht nur anzusprechen, sondern diese von den Technikgiganten, die die sozialen Medien dominieren, konkret einzufordern. In einem Statement sprach Microsoft kürzlich davon, dass zunehmend politische Thinktanks und Non-Profit-Organisationen von Angriffen betroffen seien, um das Vertrauen in die Demokratie zu erschüttern. Man sollte Facebook, Google, Twitter und Co verpflichten, Zahlen, Auftraggeber und Zielgruppen zu Wahlwerbung zu veröffentlichen, um nachvollziehen zu können, wer welche Anzeigen schaltet. Damit einher gehe auch die Gefahr durch sogenannte "dark posts". Dabei handelt es sich um personalisierte Wahlwerbung für oder gegen bestimmte Parteien, die nur für einen ausgewählten Personenkreis sichtbar ist. Damit steigt die Gefahr von Schmutzkübelkampagnen, die nur solchen Personen angezeigt werden, die am ehesten darauf anspringen – egal wie hoch der Wahrheitsgehalt ist.

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Der Cambridge-Analytica-Whistleblower Christopher Whylie (rechts) nahm während eines öffentlichen EU-Hearings Stellung zur Nutzung von Facebook-Daten durch Cambridge Analytica und versuchte ein besseres Verständnis für Wahlbeeinflussungen zu geben.
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Inwieweit Wahlbeeinflussungsversuche Wahlausgänge wie das Brexit-Referendum in den vergangenen Jahren tatsächlich beeinflusst haben, ist nach wie vor nicht ausreichend, unabhängig und wissenschaftlich untersucht, sagt Lohninger. Netzaktivisten wünschen sich deshalb auch, dass die Internetgiganten den Wissenschaftern mehr Informationen zur Verfügung stellen, um diese Beeinflussungen besser zu verstehen und eventuell der Politik Handlungsempfehlungen geben zu können – auch bei nationalen Wahlkämpfen.

Mittel- und langfristig gehe es aber auch darum, eine umfassende Plattformregulierung auf den Weg zu bringen, die der Verantwortung der großen Onlineplattformen gerecht werde, ohne ihnen dabei noch mehr Entscheidungsgewalt über unsere Meinungsfreiheit zu geben, fordert Lohninger. (Fabian Sommavilla, 1.4.2019)