Es mag wie ein politischer Gemeinplatz klingen, was Zuzana Čaputová kurz nach ihrem Sieg bei der slowakischen Präsidentschaftswahl zu sagen hatte: Es sei gelungen, die Gräben zwischen dem liberalen und dem konservativen Lager zu überbrücken – Lager, die eigentlich als unversöhnlich gegolten hätten.

Bei genauem Hinsehen ist dieser Befund weit mehr als eine Floskel, die man den Wählerinnen und Wählern eben schuldet, wenn man gerade zum Staatsoberhaupt gekürt wurde. Die liberale Juristin und Bürgerrechtlerin könnte in der Tat eine Wegmarke gesetzt haben in einer unübersichtlichen Parteienlandschaft, die sich – wie in anderen mittel- und osteuropäischen Ländern – seit der Wende des Jahres 1989 immer wieder neu sortiert.

Liberale Positionen

Ein Jahr nach dem Mord an dem jungen Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak konnte Čaputová viele ansprechen, die angewidert waren vom Filz aus Politik und Geschäftemacherei, über den Kuciak geschrieben hatte – und der nach seinem Tod erst recht ans Licht der Öffentlichkeit kam. Liberal zu sein bedeutet für die 45-Jährige zudem nicht die Beschränkung auf eine "Marktwirtschaft ohne Adjektive", in der sich etwa Tschechiens EU-feindlicher Expräsident Václav Klaus gefiel. Im Gegenteil: Liberalismus geht für Čaputová weit ins Gesellschaftliche hinein, bis hin zur Befürwortung des Adoptionsrechts für homosexuelle Paare. Eine mutige Position in der stark katholisch geprägten Slowakei.

Ihr Gegenkandidat Maroš Šefcovič hingegen setzte vor der Stichwahl auf die konservative Karte. Čaputovás "superliberale Agenda" sei nicht vereinbar mit den Ideen des Christentums, sagte er am Morgen nach dem ersten Wahlgang – um auch im Lager derer zu fischen, die dort rechtsextremen und EU-feindlichen Kandidaten ihre Stimme gegeben hatten. Aus dem Mund eines erfahrenen Europapolitikers und EU-Kommissars, der von der sozialdemokratischen Regierungspartei Smer ins Rennen geschickt worden war, klang das nicht gerade nach Bereitschaft, Gräben zuzuschütten und sich für staatspolitische Verantwortung zu qualifizieren.

Unfaires Osteuropa-Bashing

Dass seine Rechnung nicht aufging, ist zwei Monate vor der Wahl zum Europäischen Parlament eine gute Nachricht für die EU. Einmal mehr zeigt sich, wie wenig das weitverbreitete Bild von den angeblich nationalistischen Ländern Osteuropas der Realität entspricht. Während die Briten im Brexit-Streit längst jede vernünftige Kommunikationsbasis mit den EU-27 verloren haben, während Italiens Regierung sich in Flüchtlings- und Budgetfragen immer wieder mit Brüssel anlegt und während in Frankreich Rechtsextremisten seit Jahren die Politik vor sich hertreiben, haben es die EU-Feinde in der Slowakei nicht einmal in die Stichwahl geschafft. Und es gibt noch andere Beispiele. Im vielgescholtenen Polen etwa haben jüngst liberale, proeuropäische Kräfte, die der rechtspopulistischen Regierungspartei PiS Paroli bieten, bei den Kommunalwahlen große Erfolge erzielt.

Die Wahl Čaputovás ist eine machtvolle Bestätigung für alle, die die Slowakei als liberalen Staat im Herzen Europas sehen. Der Wermutstropfen: Die Wahlbeteiligung in der Stichwahl lag bei nur 42 Prozent. Das nationale Lager hat sich nicht in Luft aufgelöst. Viele EU-Feinde fühlten sich nicht mehr angesprochen und blieben lieber zu Hause. Bei den Europawahlen im Mai werden sie wieder ein Faktor sein. So wie auch in Polen. Und so wie in Italien, Frankreich oder Österreich. (Gerald Schubert, 31.3.2019)