Die neue Billigkonkurrenz in Österreich bringt auch die AUA unter Druck. Die KV-Verhandlungen im Vorjahr liefen nicht ohne Getöse ab.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die Grafik zeigt die Entwicklung der KV-Abdeckung vom Jahr 2008 bis zum Jahr 2013 in verschiedenen Staaten weltweit. Der EU-Durchschnitt (nicht in der Grafik enthalten) liegt bei 62 Prozent.

Grafik: Ilo

Niki Lauda wollte den Flugbegleitern der Laudamotion ursprünglich 959,20 Euro brutto zahlen. Die Beschäftigten sollten über eine Leiharbeitsfirma angestellt werden. Das brachte nicht nur Gewerkschafter in Rage. Die Zeiten sind jedoch vorbei: Nach zähen Verhandlungen im vergangenen Herbst einigte man sich bei Laudamotion auf einen betrieblichen Kollektivvertrag (KV). Gleiches gilt für die Lufthansa-Tochter Eurowings. Die Hoffnungen der Gewerkschaft Vida auf einen KV bei der spanischen Billigairline Level haben sich bisher nicht erfüllt. Die Gespräche wurden jüngst erfolglos abgebrochen.

Weniger Einkommenssicherheit

Knackpunkte sind, dass weniger Dienste während der Nebensaison eingeteilt werden. Außerdem klagen Mitarbeiter über geringere Gehälter bei unfreiwilligen Ruhezeiten aufgrund von Verspätungen. Das verhindert Einkommenssicherheit für die Beschäftigten, kritisieren die Gewerkschafter. Bisher können Angestellte, die bei einem Fluganbieter ohne KV wie Level arbeiten, diese Sicherheit nur in individuellen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber erreichen. Gefordert wird dabei auch ein Mindestgehalt, auf das sich Angestellte in jedem Fall verlassen können.

Ziel der Gewerkschaft ist schon länger, einen Branchenkollektivvertrag bei Fluglinien zu erwirken, um einheitliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das lehnte die Wirtschaftskammer bisher mit dem Verweis auf eine Verringerung der internationalen Standortattraktivität ab. Schuld sei die spezifische Struktur der Luftfahrt, sagt Manfred Handerek von der WKÖ. Kleinere Airlines würden keine Standorte in Österreich mehr eröffnen, wenn die Personalkosten zu hoch sind. Der Markt könne vor dem internationalen Wettbewerb eben nicht abgeschottet werden.

Heterogene Gruppe

Nicht nur im Flugsektor sind Arbeitnehmer ohne KV beschäftigt. Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft GPA-djp, geht davon aus, dass etwa 70.000 Beschäftigte österreichweit in verschiedensten Branchen ohne KV arbeiten. Diese Arbeitnehmer sind unter anderem in der Werbe- und Kommunikationsbranche, in Privatradios und -sendern oder bei Zeitungszustellungsdiensten tätig. Genaue Zahlen, wer ohne KV arbeitet, gibt es nicht. Arbeitnehmer ohne KV seien eine sehr heterogene Gruppe, sagt Sepp Zuckerstätter von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien.

Ohne KV zu arbeiten heißt nicht automatisch, schlechte Arbeitsbedingungen ertragen zu müssen. Eine einheitliche Gehaltsordnung bringe aber einige Vereinfachungen für Beschäftigte, sagt Gewerkschafter Dürtscher. Durch öffentlich einsehbare Tabellen können Arbeitnehmer ihre Einkommen überprüfen. Zudem regeln KVs die Entlohnung bei Dienstausfällen, das 13. und 14. Gehalt sowie Überstundenzuschläge. Bei Arbeitsverträgen ohne kollektivvertragliche Bindung gelten ausschließlich die gesetzlichen MindestStandards. Über alles Weitere müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln. Gesetzlich werden beispielsweise Überstunden mit 50 Prozent Gehaltszuschlag vergütet – in KVs sind es oft 100 Prozent.

KVs sichern zudem die Einhaltung von Arbeitsbedingungen besser ab. Betriebsräte, die unter Kündigungsschutz stehen, hätten hier eine wichtige Funktion, sagt Zuckerstätter. Aktuell sind österreichweit etwa 500 betriebliche oder branchenweite KVs in Anwendung. 98 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten arbeiten mit KV-Bindung. Der Vorteil für Arbeitgeber: Mehr Transparenz und klare Regeln verhindern Lohndumping.

Deutschland ist anders

Ein anderes Bild zeigt sich in Deutschland. Hier arbeiten etwa 56 Prozent der Arbeitnehmer mit Tarifbindung, Tendenz fallend: Zur Jahrtausendwende waren es noch 66 Prozent. Seit über drei Jahrzehnten ist die Zahl rückläufig. Das zeigt sich etwa im Einzelhandel. Vor 20 Jahren gab es dort einen Flächentarifvertrag, vergleichbar mit einem Branchenkollektivvertrag. Dieser wurde von Arbeitgeberseite aufgekündigt. Aktuell hat nur noch ein Drittel der Arbeitnehmer im Einzelhandel einen Tarifvertrag.

Viele Unternehmen seien in Deutschland aus den Arbeitgeberverbänden ausgetreten, um den Flächentarifverträgen zu entkommen, sagt Autor und Gewerkschafter Stefan Dietl. Er beschäftigt sich mit der erodierenden Tariflandschaft in Deutschland. Die Verbände ermöglichten es mittlerweile, dass Arbeitgeber beitreten können, ohne dass sie die geltenden Tarife übernehmen müssen. Die zunehmende Fragmentierung und die große Zahl von Einzelvereinbarungen sowie Tarifen auf Betriebsebene machten Arbeitsbedingungen weniger vergleichbar. Das führe zu massivem Lohndumping, so Dietl.

Interessant ist im Vergleich die österreichische Debatte um die Pflichtmitgliedschaft der Kammern, die im Zuge der türkis-blauen Koalitionsverhandlungen wieder aufgewärmt wurde. Die Verpflichtung von Arbeitgebern, geltende KVs umzusetzen, mache es hierzulande deutlich schwerer, kollektivvertraglichen Vereinbarungen zu entfliehen, sagt Zuckerstätter. Dietl sieht die Möglichkeit, an einem Arbeitgeberverband teilzuhaben, ohne verhandelte Tarife übernehmen zu müssen, als ein massives Problem in der Verhandlung von ArbeitsStandards.

Globale Diskussion

Die Debatte ist – wie die Verhandlungen bei den Billigfluglinien zeigen – global. Nationalstaatliche Wirtschaftsstandorte stehen in Konkurrenz zueinander, niedrige Lohnnebenkosten sind ein Wettbewerbsvorteil. Viele Gewerkschaften fordern daher als ersten Schritt eine neue Kursausrichtung der EU. Sie schlagen ein "soziales Europa" vor, wobei MindestStandards von Arbeitsverhältnissen verbindlich festgeschrieben werden sollen. Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen EU-Staaten sind Kollektivverträge auf dem Rückzug. (Julian Giera, 1.4.2019)