In Ankara feiern Anhänger der Oppositionspartei CHP.

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Anhängern von Erdoğans AKP ist in Istanbul nicht zum Feiern zumute.

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"Tesekürler, Istanbul!" – danke Istanbul: Die Schilder hingen am Sonntagabend bereits in der Istanbuler U-Bahn. Doch so, wie es aussieht, hat sich Binali Yıldırım, Spitzenkandidat der AKP in der größten Stadt der Türkei, zu früh gefreut.

Kurz darauf erklärte sich nämlich auch der Oppositionskandidat Ekrem İImamogğlu zum Sieger der Bürgermeisterwahl. Nur wenige tausend Stimmen trennten die beiden Kontrahenten. Gegen Mitternacht stoppte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu plötzlich die Übertragung ihrer Stimmenauszählung.

Doch Montagmittag färbte sich schließlich auch dort der Balken rot. Nach den vorläufigen Endergebnissen hat die Opposition auch in der 16-Millionen-Metropole Istanbul gesiegt. Der Vorsprung ist denkbar knapp. Am Sonntagnachmittag betrug er gegenüber Yıldırım, der der letzte Ministerpräsident der Türkei gewesen war, bevor das Amt durch die Verfassungsänderung abgeschafft wurde, gerade einmal 18.000 Stimmen.

Ekrem İmamoğlu ist in Istanbul vorn dabei.
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In der Hauptstadt Ankara ist es bereits klar: Nach 20 Jahren AKP-Regierung wechselt das Bürgermeisteramt zur größten Oppositionspartei CHP. Auch in Antalya, Mersin und Adana kommt es zu einem Regierungswechsel.

Symbolischer Sieg

Es ist zunächst ein symbolischer Sieg der Opposition und auch der türkischen Demokratie. Denn an den Machtverhältnissen auf nationaler Ebene ändert sich zunächst kaum etwas. Insgesamt hat die Regierungspartei AKP ihren Stimmenanteil weitgehend verteidigen können und kam auf 47 Prozent. Die Opposition verbesserte sich von 26 auf 30 Prozent, was vor allem daran lag, dass die prokurdische HDP darauf verzichtet hatte, im Westen des Landes eigenen Kandidaten aufzustellen.

Und doch kommt etwas in Bewegung. Große Veränderungen gehen von den wirtschaftsstarken Metropolen des Landes, Istanbul und Ankara, aus. Allein in Istanbul wird ein Drittel des türkischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.

Währungsverfall führt zu Unmut

Und es war vor allem die wirtschaftliche Lage, die für die Wechselstimmung im Land verantwortlich ist. Millionen von Türken ist in den vergangenen Jahren der Aufstieg von Armut in die Mittelschicht geglückt. Dafür waren sie der AKP dankbar.

Spätestens seit vergangenem Sommer aber bröckelt dieser Erfolgsgarant Erdoğans. Nach einem rasanten Verfall der Währung im August stiegen die Importkosten. Diese heizten die Inflation an – vor allem die Lebensmittelpreise waren davon stark betroffen. Die Teuerungsrate liegt derzeit bei knapp 20 Prozent – so hoch wie seit dem Regierungsbeginn der AKP nicht mehr. Auch die Arbeitslosigkeit ist mit 13,5 Prozent auf einem Rekordhoch.

Die AKP ist sich dessen bewusst, setzte im Wahlkampf aber trotzdem – oder gerade deswegen – auf eine aggressive Rhetorik. Mehrmals ließ Erdoğan auf Wahlkampfveranstaltungen das Video des Attentäters von Christchurch vorführen und beschuldigte westliche Medien, die Gräueltat totzuschweigen. Um die Stimmen der ultrareligiösen Wählerklientel zu sichern, versprach er – wieder einmal –, aus der Hagia Sophia wieder eine Moschee zu machen. Das Bauwerk war 1934 von Staatsgründer Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt worden.

Gegen den Bürgermeisterkandidaten von Ankara, Mansur Yavaş, lägen zudem belastende Dokumente im Finanzministerium vor. Das Ministerium wird von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak geführt. Auch entsprach die Sendezeit der Opposition in den staatlichen Fernsehsendern einem Bruchteil von jener Regierungspartei.

Wahlkrimi geht weiter

Beide Parteien hatten Wahlbündnisse geschmiedet. Die AKP trat gemeinsam mit der ultranationalistischen MHP an, die CHP hat sich mit der ebenfalls nationalistischen İyi-Partei verbündet. Zur Wahl waren rund 50 Millionen Türken aufgerufen.

Der Wahlkrimi in Istanbul ist noch nicht zu Ende. Am Vormittag sah die Hohe Wahlkommission die CHP vorn. Die staatliche Nachrichtenagentur meldete, bis zu 1,4 Millionen Stimmen könnten ungültig sein. Die große Niederlage für Erdoğan ist dies nicht. Aber es könnte ein Anfang sein. "Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei." Das hatte Erdoğan selbst einmal in den Neunzigern gesagt – da war er noch Bürgermeister der Stadt. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 1.4.2019)