CHP-Fans feiern in Istanbul.

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Mansur Yavaş gewinnt in Ankara.

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Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu.

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Die CHP ist so etwas wie der Unglücksrabe der türkischen Politik – wobei Unglück nicht ganz der treffende Begriff ist, handelt es sich doch größtenteils um Selbstverschulden, weshalb die Partei mit stolzer Vergangenheit seit bald 20 Jahren Wahl für Wahl gegen Tayyip Erdoğan verliert. Die große republikanische Volkspartei sieht sich als Bewahrerin des Erbes von Kemal Atatürk, sprich Laizismus, Säkularismus und Nationalismus. Vor allem was die letzte Säule betrifft, ist die Partei in der Vergangenheit verhaftet. Während es Erdoğan und der AKP zumindest zeitweise gelungen ist, über Religion und Wirtschaftswachstum die kurdische Minderheit in den politischen Prozess einzubinden, hat die CHP nie eine Antwort auf die kurdische Frage gefunden.

Vielen jungen, säkularen Türken ist die Partei zu altbacken. "Am ehesten fühle ich mich von der HDP repräsentiert", sagt Ayşe Bektaş (Name geändert), eine junge Türkin im liberalen Stadtteil Kadıköy in Istanbul – eine der traditionellen Hochburgen der Partei. "Die CHP ist die Partei meiner Eltern und Großeltern. Die verehren Atatürk noch immer wie einen Heiligen."

Schwache Gegner

Ihren aktuellen Wahlerfolg dürfte die Partei nicht nur der wirtschaftlichen Misere der vergangenen Monate und der Unzufriedenheit vieler Türken verdanken, sondern auch der Tatsache, dass die HDP auf eigene Kandidaten in den großen Metropolen im westlichen Landesteil verzichtet hat. Eine Öffnung der Partei hin zur jungen, urbanen Mittelschicht hat die CHP nie wirklich hinbekommen. Zu groß ist die Angst, man könnte den nationalistischen Teil der eigenen Wählerklientel verschrecken. Dafür steht auch die Tatsache, dass sie ein Wahlbündnis mit der nationalistischen İyi-Partei eingegangen ist. Deren Vorsitzende Meral Akşener drohte immer wieder damit, sofort alle syrischen Flüchtlinge des Landes zu verweisen.

Auch Mansur Yavaş, Sieger in Ankara, war 2009 und 2014 für die ultranationalistische MHP in den Wahlkampf gezogen. Der ehemalige Militärstaatsanwalt hatte sich bereits als Bürgermeister des Stadtteils Beypazarı einen Namen gemacht und sich insbesondere um das architektonische Erbe gekümmert. Etwas mehr frischen Wind könnte dagegen er Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu bringen. Der 48-jährige stammt aus Trabzon und arbeitete zunächst in der Baufirma seiner Eltern, bevor er 2014 Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Beylikdüzü wurde. Beobachter trauen ihm auch die Rolle des Parteivorsitzenden zu.

Starre Strukturen

Dass die Partei ihr verkrustetes Image nicht loswird, liegt an den internen Machtstrukturen. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr lieferte der Spitzenkandidat Muharrem İnce einen beeindruckenden Wahlkampf. Chef der Partei blieb trotzdem Kemal Kılıçdaroğlu. Der wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeit zum indischen Friedensführer auch Kemal Gandhi genannte Oppositionsführer klebt seit 2009 trotz zahlreicher Niederlagen an seinem Stuhl. Dass es der Partei nun gelungen ist, nach 20 Jahren die Großstädte Istanbul und Ankara zurückzuerobern, ist trotzdem ein Hoffnungszeichen für die CHP – und für die türkische Demokratie. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 1.4.2019)