Politisch bekennt sich Selenski zur europäischen Ausrichtung der Ukraine.

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Ist die Politik nun ganz zur Show verkommen? In der Ukraine gewinnt der Komiker Wladimir Selenski die erste Runde der Präsidentenwahl und hat beste Chancen bei der Stichwahl in drei Wochen. Seine Gegner beschimpfen ihn als Populisten. Doch diese These ist zu kurz gegriffen, um den Erfolg des 41-Jährigen zu erklären.

Geboren in der südukrainischen, vorwiegend russischsprachigen Industriestadt Kriwyj Rih, wurde Selenski bereits als Student über den in der Ex-Sowjetunion populären Comedy-Wettstreit KWN bekannt. Nach Erfolgen auf der Bühne mit seinem Comedy-Team "95. Stadtviertel" konnte er sich auch als Schauspieler – vor allem für das komische Fach – etablieren; nicht nur in der Ukraine, auch in Russland. Seine wichtigste Rolle aber spielt er in der ukrainischen TV-Serie Diener des Volkes, in der er einen integren und intelligenten Geschichtslehrer verkörpert, der eher zufällig zum Präsidenten gewählt wird und versucht, in diesem Amt gegen den Filz aus Bürokratie, Korruption und politischen Intrigen vorzugehen.

Es ist eine Rolle, die die tiefsten Sehnsüchte der Menschen in der Ukraine nach einem gerechteren und sozialeren Staat widerspiegelt. Ob Selenski schon zu Beginn der Serie 2015 darauf spekuliert hat, in der Realität zum neuen "Diener des Volkes" aufzusteigen, ist ungewiss. Seine Kandidatur hat er nämlich erst just zur Jahreswende 2019 verkündet. Und innerhalb weniger Monate ist er mit seinem Image zum Favoriten aufgestiegen, der nun auch die erste Wahlrunde für sich entscheiden konnte.

Widersacher muss Saubermann-Image ankratzen

Ob es seinem Widersacher Petro Poroschenko gelingt, das Saubermann-Image des zweifachen Familienvaters anzukratzen, ist fraglich, denn bisher haben dessen PR-Manager vergeblich nach der "Leiche im Keller" gesucht. Der Versuch, Selenski als Marionette des verhassten Oligarchen Ihor Kolomojski darzustellen, ist zumindest nicht aufgegangen.

Politisch bekennt sich Selenski zur europäischen Ausrichtung der Ukraine. Er hat den Maidan und auch die ukrainische Armee im Kampf gegen die Separatisten unterstützt. Zugleich verweigert er sich aber einem dumpfen russophoben Nationalismus und hat sich für Verhandlungen mit Moskau ausgesprochen. Ein klares Konzept für die wirtschaftliche Gesundung des Landes oder die politische Lösung des Donbass-Konflikts konnte aber auch Selenski bisher nicht präsentieren. (André Ballin aus Moskau, 1.4.2019)