"Mutig war ich schon immer, und immer schon hatte ich einen Plan, wie Reformen sein müssen": Evelyn Kölldorfer-Leitgeb.

Foto: Katsey

Ganz oben ankommen: Wer zu Evelyn Kölldorfer-Leitgeb in die Generaldirektion im sechsten Stock des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) will, wird im Vorzimmer von einem Sekretär begrüßt. Er fragt, ob man Kaffee will, die Frau Generaldirektorin sei gleich so weit.

Es ist einer der ersten sonnigen Tage im Februar, und Evelyn Kölldorfer-Leitgebs Büro ist lichtdurchflutet. Vom sechsten Stock der KAV-Zentrale im dritten Bezirk unweit der Schlachthausgasse hat sie einen prachtvollen Blick. Sie weiß, in welchen Himmelsrichtungen die zehn Spitäler, die acht Pflegewohnhäuser und die zwei Geriatriezentren liegen, die von hier aus verwaltet werden.

"Nach 30 Jahren Erfahrung im Spital bin ich nun für die Organisationsentwicklung in sämtlichen Häusern des Krankenanstaltenverbunds verantwortlich", sagt sie und sieht es als Herausforderung, für die sie bestens gerüstet scheint. "Das Gute ist", sagt sie, "dass ich das System KAV seit 30 Jahren kenne, weil ich in ihm groß geworden bin." Jedes Haus habe seine eigene Kultur, seine eigenen Besonderheiten, darauf sei unbedingt Rücksicht zu nehmen, betont sie.

Reformen, Umstellungen, Neuausrichtungen

Ihr aktueller Auftrag im KAV ist, die große Spitalsreform umzusetzen. Krankenhäuser schließen, neue eröffnen, Abteilungen zusammenlegen, Zuständigkeiten umschlichten: Im 21. Jahrhundert und infolge der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin gehe es eben darum, Schwerpunkte zu setzen, nicht jedes Spital soll alles anbieten. Damit zwangsläufig verbunden: Reformen, Umstellungen, Neuausrichtungen.

Wien wird gesundheitsversorgungstechnisch in drei Regionen mit zwei Partnerspitälern aufgeteilt. Die Leistungen der einzelnen Krankenhäuser werden besser als bisher aufeinander abgestimmt sein. Evelyn Kölldorfer-Leitgeb weiß um ihre Verantwortung, für 30.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus 70 Nationen ein gutes Arbeitsumfeld schaffen zu müssen, damit kranke Menschen in Wien gut versorgt werden. Rund 400.000 stationäre und fast 1,5 Millionen ambulante Patienten und Patientinnen pro Jahr.

Besser machen

"Mutig bin ich schon immer", sagt sie und meint damit, dass sie Konflikte anspricht, wenn sie auftauchen, "und ich habe immer einen Plan, wie eine Reformumsetzung gehen könnte." Eine Idee haben, Menschen ins Boot holen, Workshops machen, Projekte umsetzen, den Output evaluieren und dann das Wissen in Schulungen weitergeben: Mit dieser Strategie ist sie seit Jahrzehnten erfolgreich. Deshalb hat sie Wiens neuer Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im September letzten Jahres auch zur Nachfolgerin von Udo Janßen gemacht.

Geboren wurde Evelyn Kölldorfer-Leitgeb in Graz. Sie wuchs als Jüngste mit zwei Geschwistern auf. Ihr Vater war im Baugewerbe beschäftigt, ihre Mutter Schneiderin und Hausfrau, als die Kinder aus dem Haus waren, wieder berufstätig.

"Wahrscheinlich habe ich in einer Familie mit einem recht strengen Vater und zwei älteren Geschwistern gelernt, mich durchzusetzen", sagt sie, obwohl sie darüber eigentlich noch nicht viel nachgedacht hat. Als sie ein Kind war, übersiedelte die Familie nach Wien, später nach Hamburg und dann wieder zurück.

Ziele und Visionen haben

Im Nachhinein habe sie durch diese Ortswechsel immer etwas Neues kennengelernt, erinnert sie sich. Mit 17 Jahren entschied sie sich für eine Ausbildung an der Krankenpflegeschule im Wiener Wilhelminenspital und begann 1987 im selben Haus zu arbeiten. "Ich kenne alle Höhen und Tiefen in der Pflege und weiß, wie ein Krankenhaus und die Menschen, die dort zusammenarbeiten, funktionieren", sagt sie.

Ihr Prinzip, Alltagsabläufe zu verbessern, hat sie auf der Onkologie bei Heinz Ludwig gelernt. Mit ihm zusammen konnte sie dort interdisziplinäre Strukturen schaffen, auch ein gemeinsamer Teamgeist auf der Station sei damals etwas Neues gewesen. Ludwig hat ihre Arbeit als Stationsleiterin und später Oberschwester geprägt. Ziele zu haben und an einer Vision zu arbeiten ist bis heute ihr berufliches Credo geblieben.

Mit 22 Jahren bekam Evelyn Kölldorfer-Leitgeb ihren ersten Sohn, acht Jahre später ihren zweiten. Über viele Jahre hatte sie allabendlich immer die gleiche Routine. Tagsüber arbeitete sie, betreute dann die Kinder. Um 21 Uhr waren sie im Bett, "dann hatte ich endlich Zeit zu lernen. Das habe ich niemals als Mühe empfunden, im Gegenteil, ich habe mich sogar brennend für Statistik interessiert", erinnert sie sich. Auf diese Weise studierte sie "nebenbei", wie sie es nennt, Gesundheitswissenschaften, hängte eine Ausbildung zum akademischen Health Care Manager an der WU an.

Entlastung schaffen

Ihr Interesse an Organisationsentwicklung wuchs mit ihrer Ausbildung. So erkannte sie im Wilhelminenspital, dass Patienten und Patientinnen ohne Angehörige immer wieder ins Spital zurückkamen, weil sie zu Hause nicht zurechtkamen. Kölldorfer-Leitgeb führte das Entlassungsmanagement ein, also Personen, die sich bereits dann, wenn Menschen im Spital aufgenommen werden, darum kümmern, wer sie betreut, wenn sie wieder nach Hause entlassen werden.

Damit öffnete sich das Spital auch nach außen für andere Institutionen, plötzlich kooperierte man mit sozialen Einrichtungen wie etwa dem Fonds Soziales Wien oder der Caritas. Als sie sich 2007 für die Stelle der Pflegedirektorin im Kaiser-Franz-Josef-Spital (KFJ) bewarb, hatte sie gemeinsam mit der Generaldirektion im KAV insgesamt 70 Entlassungsmanagerinnen etabliert.

Mit den Leuten reden

"Immer, wenn ich in einem Haus neu war, war mir das Wichtigste, mit den Leuten vor Ort zu reden", sagt Kölldorfer-Leitgeb rückblickend. So erkannte sie, dass Unzufriedenheit im KFJ vor allem durch die vielen Arbeitsunterbrechungen entstand. Sie analysierte deshalb Arbeitsprozesse, erkannte die administrative Last, die sowohl Ärzten als auch dem Pflegepersonal durch die aufwendigen Dokumentationspflichten zu schaffen machte.

Kölldorfer-Leitgebs Lösung: die Einführung von Stationssekretärinnen, die diese Arbeiten erledigten. Was einfach klingt, wurde in der Umsetzung ein Langzeitprojekt, die größte Hürde, sagt sie, sei es, bürokratische Hürden zu überwinden.

"Immer, wenn ich in einem Haus neu war, war mir das Wichtigste, mit den Leuten vor Ort zu reden", sagt Kölldorfer-Leitgeb rückblickend.
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Diese Erfolge im System waren es auch, die sie 2015 zur Vorstandsdirektorin des KAV machten. Ihre aktuellen Projekte: Bis 2020 wird der KAV eine Anstalt öffentlichen Rechts sein, jedes Krankenhaus wird für sich viel autonomer werden, und das wird so gut wie alle Prozesse einfacher und schneller machen.

"Ich mag Rituale"

Diese Transformation wird Kölldorfer-Leitgeb umsetzen, das entsprechende Gesetz dazu wird im Juli 2019 beschlossen werden und soll dann Anfang 2020 in Kraft treten. So will es auch Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, den Evelyn Kölldorfer-Leitgeb schon aus Zeiten kennt, als dieser noch für den Fonds Soziales Wien verantwortlich war. "Wir sind im besten Einvernehmen", sagt sie.

Was sie macht, wenn sie sich nicht mit ihrem Lieblingsthema KAV beschäftigt? "Ich lese, sehe kaum fern", sagt sie, vor allem Biografien mag sie, aktuell beschäftigt sie sich mit Hannah Arendt. Auch Bewegung ist in ihrem Leben wichtig, "wir haben uns für zu Hause ein Lauf- und ein Rudergerät angeschafft, weil ich sonst zu gar nichts mehr kommen würde".

Und ja, ein Familienmensch ist sie auch. Evelyn Kölldorfer-Leitgeb ist zum zweiten Mal verheiratet, ihr Mann hat drei erwachsene Kinder, "insofern bin ich auch schon Stiefomi", lacht sie. Sie kocht immer wieder für ihre Patchworkfamilie und die erwachsenen Kinder, gerne indisch, weil sie Vegetarierin ist. Was sie noch über sich verrät: "Ich mag Rituale", sagt sie. Ein Beispiel? Weihnachten würde sie zum Beispiel niemals in der Südsee verbringen wollen. (Karin Pollack, CURE, 8.7.2019)