Christoph Hofinger bei der Analyse der Umfragedaten.

Foto: Hofinger

Wien – "Das war eine wichtige demokratische Übung für die Ukraine", sagt Christoph Hofinger vom Sora-Institut, der bis Montag noch in Kiew war. Gemeinsam mit dem lokalen Social Monitoring Center hat Sora am Sonntag, dem Tag der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in der Ukraine, sogenannte Exit Polls, also Nachwahlbefragungen durchgeführt. Eingeleitet hatten das die zusammengehörenden privaten Fernsehsender "News One" und "112 Ukrajina". Hofinger, der mit zwei Kollegen vor Ort war, berichtet, wie wichtig die erfolgreichen Umfragen für das Vertrauen der Ukrainer in demokratische Wahlen sind und welche Unterschiede es zur Meinungsforschung in Österreich gibt.

Dabei sei ein direkter Vergleich mit ähnlichen Umfragen schwierig, da es hierzulande bereits seit mehreren Jahren keine Exit Polls mehr gibt. Vergleichen kann Hofinger seine Erfahrungen jedoch mit Nachwahlbefragungen in Deutschland, die Sora etwa 2013 gemeinsam mit dem Forsa-Institut durchgeführt hat. In der Ukraine war der Zugang zu einigen Gebieten der flächenmäßig größten Demokratie Europas eine Herausforderung. In Teilen des Landes herrschen weiterhin bürgerkriegsähnliche Zustände.

Besser als in Österreich

Positiv bewertet Hofinger jedoch den Zugang zu statistischen Daten. So gibt es in der Ukraine ein 30.000 Wahlbezirke umfassendes Wahlsprengelverzeichnis, aus dem das Institut eine Stichprobe von 500 Wahllokalen ziehen konnte, die das Land mit all seinen lokalen Unterschieden repräsentieren soll. In Österreich wäre diese Möglichkeit ebenfalls wünschenswert, sagt Hofinger.

Für die Feldarbeit, also das Sammeln der Daten, war das ukrainische Social Monitoring Center zuständig. Vor der einen Hälfte der Wahllokale wurden die Teilnehmenden gebeten, nach ihrem Wahlgang erneut geheim einen Wahlzettel auszufüllen, der anschließend ausgewertet wurde. Vor der anderen Hälfte der Wahllokale führten die Forscher nach der Wahl Interviews auf Ukrainisch oder Russisch. Neben der Wahlentscheidung fragten sie auch nach soziodemografischen Daten wie dem Alter oder dem Geschlecht. Sora führte die Daten anschließend zusammen und wertete sie aus.

Erleichterung für Ukrainer

Spannend wurde es dann, als um 20 Uhr die Ergebnisse veröffentlicht wurden. "Die Prognose war sehr nah am Wahlergebnis", sagt Hofinger. Gemeinsam mit drei weiteren Exit Polls zeichnete sie dasselbe "Big Picture": Wladimir Selenski würde mit etwa 30 Prozent der Stimmen der Wahlsieger sein.

"Alle Exit Polls haben Poroschenkos Ergebnis etwas überschätzt", so Hofinger, der zunächst einen "Krieg" der Exit Polls befürchtet hat. Der sei jedoch glücklicherweise ausgeblieben. Alle Umfragen zeigten dieselbe Reihung der vier erfolgreichsten Kandidaten – laut Hofinger eine große Erleichterung für die ukrainische Öffentlichkeit, die bei abweichenden Ergebnissen schnell an der Fairness der Wahl gezweifelt hätte. Lediglich in einer Umfrage des Kampagnenteams von Julia Timoschenko sei das angeblich anders gewesen. Doch die Umfrage habe keine große Beachtung gefunden. Hofinger wertet das kohärente Bild der anderen Umfragen als wichtiges Zeichen für die ukrainische Demokratie.

Misstrauen in Politik

Denn das Vertrauen in die Sozialforschung, inbesondere in die westliche, sei offenbar sehr hoch. "Im Vergleich zu den Umfragen in Deutschland war die Teilnahmebereitschaft viel höher", sagt Hofinger. "Unsere Aufgabe war es, das Vertrauen in unsere Methoden zu stärken", sagt er, und das sei dank der sehr guten Stichprobe sowie der richtigen Interpretation der Ergebnisse aufgegangen. Bei vergangenen Wahlen habe es häufig empörte Anrufe bei den Fernsehsendern gegeben. Anrufer hätten behauptetet, die Ergebnisse könnten nicht stimmen. "Das ist diesmal ausgeblieben", sagt Hofinger, der die Methoden von Sora nach der Veröffentlichung der Ergebnisse im ukrainischen Fernsehen verteidigen konnte.

Das Vertrauen der Ukrainer in das politische System dagegen ist nach der aktuellen "Gallup World Poll" das niedrigste der Welt. Aktuell sei viel im Umbruch, sagt Hofinger. Das Wahlverhalten zeige wenige Loyalitäten. Die größte Herausforderung sei nun, die ukrainische Politik aus der Hand der Oligarchen zu befreien. Ob das Sora-Institut auch bei der Stichwahl am 21. April und eventuell bei der Parlamentswahl im Oktober dabei sein wird, stellt sich in den kommenden Tagen heraus. (Milena Pieper, 3.4.2019)