Mit einer Körperlänge von über 20 Zentimetern zählen sie zu den größten bekannten Insekten der Erde: Auf der ostafrikanischen Insel Madagaskar haben Forscher von der Zoologischen Staatssammlung München und der Universität Göttingen zwei neue Stabschrecken-Spezies identifiziert. Die meisten Angehörigen dieser Ordnung pflanzenfressender Insekten, wissenschaftlich Phasmiden genannt, tarnen sich gut als Blätter oder Äste und sind im grünen Laubwerk oft nur schwer auszumachen.

Rätsel für die Evolutionsforscher

Die Männchen der beiden neuen Arten bilden da jedoch eine augenfällige Ausnahme, denn sie präsentieren sich in üppiger Farbenpracht. Warum sich die Männchen diese Extravaganz leisten können, bleibt vorerst ein Rätsel für die Evolutionsforschung. Die Entdeckung wurden nun im Fachjournal "Frontiers in Ecology and Evolution" veröffentlicht.

Ein Männchen von Achrioptera manga kombiniert Blau mit Orange.
Foto: Frank Glaw (SNSB-ZSM)

Die Tiere sind schon seit rund 15 Jahren von ihrem Aussehen her bekannt, jedoch wurde erst jetzt über genetische Tests nachgewiesen, dass es sich um eigene Arten handelt. Achrioptera manga ist ein echtes Juwel unter den Stabschrecken, riesengroß und mit knallbunten Männchen. Die wichtigste Überlebensregel für Stabschrecken ist eigentlich, sich für Fressfeinde unsichtbar zu machen, aber die farbenprächtigen Achrioptera-Männchen haben sich offensichtlich darüber hinweggesetzt – und trotzdem überlebt. Wofür diese bunte Zeichnung nützlich ist und warum die auffälligen Männchen nicht schnell von Vögeln und anderen Tieren gefressen werden, ist unklar.

Buntheit als Warnhinweis?

"Möglicherweise nehmen sie mit ihrer Blätternahrung Pflanzengifte auf, die sie in ihrem Körper einlagern und mit ihrer Farbenpracht signalisieren, dass sie nicht genießbar sind" sagt Frank Glaw, Kurator an der Zoologischen Staatssammlung München. Für die Weibchen könnte die Tarnung trotzdem vorteilhafter sein als die Abschreckung von Fressfeinden. "Wenn im Tierreich besonders bunte Männchen auftreten, dann liegt das oft daran, dass die Weibchen solche Männchen für die Paarung bevorzugen, aber ob diese Erklärung bei den hauptsächlich nachtaktiven Tieren zutrifft, wissen wir nicht." ergänzt sein Kollege Oliver Hawlitschek.

Auffällig ist jedenfalls, dass die Männchen ihre Buntheit erst entwickeln, nachdem sie erwachsen geworden sind. Bis zu ihrer letzten Larvenhäutung sehen sie aus wie braune Zweige und sind tagsüber fast unsichtbar. Erst danach erfolgt innerhalb weniger Tage die erstaunliche Umfärbung.

Im Unterschied zu ihren männlichen Artgenossen bevorzugen die Weibchen von Achrioptera manga (linkes Exemplar) Tarnfarben.
Illustr.: SNSB-ZSM/Barbara Ruppel

Weibchen bleiben lieber getarnt

Die Weibchen bleiben hingegen wie die meisten Stab- und Gespenstschrecken zeitlebens gut getarnt. "Mit dieser Strategie hat die Insektenordnung der Phasmiden seit Jahrmillionen überlebt, mehr als 3.000 moderne Arten hervorgebracht und alle wärmeren Regionen der Erde besiedelt." erklärt Sven Bradler, Stabschreckenforscher an der Universität Göttingen. Die Daten lassen vermuten, dass es noch viele weitere neue und äußerlich ähnliche Arten gibt, die sich erst mit Hilfe der Genetik zuverlässig identifizieren lassen, meinen die Forscher.

Bisher wurde A. manga der äußerlich sehr ähnlichen Art Achrioptera fallax zugeordnet, die schon vor fast 160 Jahren beschrieben wurde. Aber erst vor ein paar Jahren entdeckten Forscher der Zoologischen Staatssammlung München grüne Stabschrecken, die der Erstbeschreibung von A. fallax genau entsprechen. Zusammen mit Kollegen der Universität Göttingen verglichen sie nun die grüne und blaue Form und fanden unter anderem deutliche genetische Unterschiede, die ihre artliche Verschiedenheit belegen.

Das Männchen von Achrioptera maroloko zeigt eine gelb-schwarze Färbung. Möglicherweise dienen die grellen Farbtöne als Warnung für Fressfeinde.
Foto: Frank Glaw (SNSB-ZSM)

Bis zu 24 Zentimeter lang

Ähnlich verlief auch die Entdeckung der zweiten neuen Riesenstabschrecke Achrioptera maroloko, die bis zu 24 Zentimeter Körperlänge erreicht und bisher für A. spinosissima gehalten wurde. Beide Arten zeigen jedoch ebenfalls deutliche Unterschiede in der Männchenfärbung (Gelb versus Blau) und der Genetik. (red, 2.4.2019)