Wo sie auftauchen, füllen sie die Säle: AnnenMayKantereit spielen diese Wochen in Graz und Innsbruck, im Mai drei Mal in Wien. Alle Konzerte sind ausverkauft.

Foto: Martin Lamberty

Der Name verströmt einen zart erbschleicherischen Unterton: AnnenMayKantereit – das klingt nach einem geschlechtsneutral in Prenzlauer Berg erzogenen Kind, das mit den zweiten Vornamen aller potenziellen Erbtanten auf den Lebensweg geschickt wurde. Doch das stimmt natürlich nicht.

Basisdemokratisch, wie man es beim Musizieren in der Fuzo lernt, schnitzten die Hauptdarsteller der deutschen Band aus ihren Nachnamen diesen seltsam anmutenden Nom de Guerre. Kampfname – das würden Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit so natürlich nicht gelten lassen, denn natürlich kommen sie in Frieden. AnnenMayKantereit, gnädig verkürzt auf AMK, ist eine der zurzeit erfolgreichsten Bands Deutschlands – und das mittlerweile zu viert.

Diese Woche gastieren sie in ausverkauften Häusern in Graz (zwei Mal List-Halle) und einmal in Innsbruck. Im Mai gastieren sie in Wien, wo sie drei Mal hintereinander in der Arena Open-Air-Konzerte geben werden – alle Shows sind bereits ausverkauft.

Penetrant passiv

Der Erfolg von AMK ist so groß wie die Verwunderung darüber. Zumal die drei aus Köln stammenden Musiker eine Art "Triumph des Durchschnitts" repräsentieren. Das macht sie angeblich zu Aushängeschildern der "Generation Y".

In den Liedern der seit ihrer Schulzeit befreundeten Musiker geht es auffällig um die unauffälligen Dinge des Lebens. Und zwar derart penetrant, dass sich die Band gefallen lassen musste, dem Neo-Biedermeier zugerechnet zu werden. Zu intensiv lasch wurde da das Zuhausebleiben zelebriert, der Wunsch nach Sicherheit, nach Konstanten im Leben, die jeder Sachbearbeiter mit Bausparvertrag und beigem Auto vor den Tujen ebenfalls gutheißen würde.

Bloß nicht festlegen: Vielleicht, vielleicht.
AnnenMayKantereit

Alles nichts Konkretes hieß ihr Album von 2016 und war eine Art Definitely Maybe auf Deutsch. Befindlichkeit in Gassenhauer gegossen, das Publikum lief ihnen in Scharen zu. Der Titel schien gleichzeitig ihre Gattung zu beschreiben. Lieder heißen Es geht mir gut, Bitte bleib oder Neues Zimmer. Niederschwelliger ist nur noch das Flache. In den Texten zeigt sich ein Konservativismus, dessen Liberalität in der Antriebslosigkeit wurzelt. Das wird AMK seitens der Kritik mit großem Vergnügen um die Ohren gehaut.

Besser als sterbende Hosen

Andererseits muss man sagen, dass einem das doch sympathischer ist als die Stammelreime deutscher Rapper auf Auschwitz, Blut-Und-Boden-Rechtsrock oder die Musik von Rockbeamten, die ihrem Namen seit Jahren zu viel der Ehre erweisen und tatsächlich nach verstorbener Hose klingen.

Ob man Henning May in ein paar Jahren noch aushalten wird, steht in den Sternen. Zurzeit verströmt die Gruppe trotz aller Vorbehalte die Aura des Frischen. Sie schreiben eingängige Songs, selbst wenn die Texte dabei oft jene Formelhaftigkeit besitzen, mit der Frau Helga ihre Horoskope zusammenstellt. Doch May kann singen.

Weltreise nach Griechenland

Das ist wahrscheinlich der halbe Erfolg der Band. Seine Stimme klingt mitgenommen und stark zugleich. Damit verleiht er selbst Banalitäten wie Ich geh heut nicht mehr tanzen einen Mehrwert, an dem der Song sonst nur bedingt leidet. So heißt ein Lied ihres Ende letzten Jahres erschienenen Albums Schlagschatten.

Wenn er müde ist und nicht mehr tanzen geht, singt Christopher Annen ein Lied darüber. Und raucht Pflanzen.
AnnenMayKantereit

Damit befreiten sie sich ein Stück weit von dem Vorwurf, knieweiche und positionslose Musik zu schreiben. Zwar sehen sie immer noch aus wie vier Freunde auf großer Lonely-Planet-Weltreise nach Griechenland, ganz so nichtssagend sind die Texte aber eben nicht.

Gleichzeitig versagen sich AMK der Oberlehrerhaftigkeit, was im Zweifelsfall auch eher Sympathien generiert. Dass manche Lieder nur nach höheren Schlagern klingen – wohl war –, aber das lässt sich auch über viele der ergreifendsten Soulsongs sagen. Also wird es für viele im Publikum wohl so sein, wie Max Goldt (oder war es Wiglaf Droste?) einmal gesagt hat: Es gefällt mir nicht, aber ich finde es gut. (Karl Fluch, 3.4.2019)