Bart Somers ist unter Bürgermeistern eine Berühmtheit. 2016 wählte die Weltvereinigung aller Kommunalchefs den Politiker aus der Kleinstadt Mechelen in Belgien zum "weltbesten Bürgermeister". Somers regierte die multikulturell geprägte Stadt von Beginn an mit einer Mischung aus Toleranz und Offenheit auf der einen, strikten Regeln und Nulltoleranzpolitik bei Verbrechen auf der anderen Seite.

Mechelen investierte in das Bildungssystem, in Jugendarbeit, Gebietsbetreuung und in die Straßenreinigung. Die Kriminalität sank, Mittelklasse-Eltern gaben ihre Kinder wieder in öffentliche Schulen. Das Engagement zahlte sich für den bürgerlich-liberalen Politiker Somers auch politisch aus: Der rechtsradikale Vlaams Blok, der vor seiner Amtszeit in Mechelen fast 32 Prozent bei Wahlen erreicht hatte, rangiert nunmehr bei neun Prozent. Somers regiert unangefochten.

Auf Einladung der vom Ex-Raiffeisen-General Christian Konrad gegründeten NGO "Menschenwürde Österreich" war Somers Anfang März in Wien und hielt einen Vortrag zum Thema Integration. Mit dem STANDARD sprach er im Rahmen der Veranstaltung.

Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht nur der historische Stadtteil von Mechelen ist ein sauber wirkendes Schmuckkästchen, auch in den Außenbezirken herrscht Ordnung – ein wichtiger Teil von Somers' Politik.
Foto: Getty Images / Erlend Robaye - Erroba

STANDARD: Wie definieren Sie selbst Ihre Politik für Mechelen?

Bart Somers: In einer globalisierten Stadt braucht man starke gemeinsame Regeln. Diese müssen ganz klar sein, und sie müssen vor allem uns alle, mit unseren kulturellen Unterschieden und unterschiedlichem Background, verbinden. Wenn es das nicht gibt, regiert das Gesetz des Dschungels. Und wer sind die Opfer? Menschen der Mittelklasse, vor allem jene, die in gefährdeten, schwierigen Gegenden der Stadt wohnen. Die werden dann Opfer von Gangs, Vandalismus auf der Straße, mangelndem Respekt in ihrer Nachbarschaft. Hier müssen wir auch an der Prävention arbeiten. Ich glaube nicht daran, dass die Polizei alles lösen kann.

STANDARD: Was meinen Sie mit Prävention?

Somers: Jugendarbeit, Nachbarschaftsprojekte, Menschen unterschiedlicher Ethnien zusammenzubringen. Und ich habe klar gemacht, dass wir nur eine sichere Stadt haben werden, wenn alle zusammenhelfen – Eltern, Nachbarn, Schulen. Wir haben Eigeninitiative unterstützt. Was auch wichtig ist: Ich habe es vermieden, Sicherheitspolitik dafür zu benützen, bestimmte Gruppen von Menschen zu stigmatisieren. Anfangs war es ganz schön schwierig zu vermitteln, dass ich, obwohl ich für eine starke Sicherheitspolitik eintrete, keine extrem rechte Politik verfolge. Die Menschen haben automatisch geglaubt, ich sei ein rechter Politiker.

Bart Somers: "Man muss die Bürger verbinden, nicht trennen."
Foto: Imago / HATIM KAGHAT

STANDARD: Wie kamen die Menschen dar auf?

Somers: Es gibt diesen Automatismus: Jemand, der Verbrechen bekämpft und darüber redet, ist gleichzeitig auch gegen Migration. Es hat viel Überzeugungsarbeit gebraucht, dass das bei mir nicht so ist – dass ich aber gleichzeitig auch nicht für einen Multikulti-Ansatz stehe.

STANDARD: Sondern?

Somers: Ich bin gegen Segregation. Einer der großen Fehler der Linken und der Rechten ist, dass sie Menschen auf bloß eine Identität reduzieren. Sie labeln uns, packen uns in eine Kiste, und dort sind wir dann: Muslime, Christen, gute Belgier, böse Belgier und so weiter. Ins Weltbild der Linken passt nur, dass die Zuwanderer arme Opfer sind.

Im Weltbild der Rechten sind sie Verbrecher und Schmarotzer, die unser Sozialsystem ausnützen. Und die Anführer in den sogenannten Communitys haben ihr eigenes Interesse an diesen Sichtweisen. Denn nur wenn sie ihre Gruppe von der anderer segregieren, können sie auch eigenmächtig bestimmen, was "ihre" Gruppe will und braucht. Die betroffenen Gruppen macht das wiederum zu Opfern und zu Ausgegrenzten.

Bart Somers teilt seine Erfahrungen mit dem Europäischen Komitee der Regionen.
European Committee of the Regions

STANDARD: Identität hat doch sehr wohl etwas mit Herkunft zu tun?

Somers: Ja, aber nicht nur. Jeder von uns hat viele Identitäten. Ich bin Flame, Belgier, Europäer, Liberaler, Vater, Bürgermeister – und all diese Identitäten machen es möglich, dass ich mich mit anderen verbinde. Wenn ich den einen darauf reduziere, dass er Muslim, und den anderen darauf, dass er Atheist ist, haben die plötzlich nichts mehr gemeinsam. Wenn ich in ihnen aber den Vater, den Nachbar, den Bürger sehe, gibt es Anknüpfungspunkte – und die Unterschiede zwischen ihnen sind keine Bedrohung mehr, sondern interessant.

STANDARD: Wie haben Sie die Spaltung der Bevölkerung bekämpft?

Somers: Wir haben viel investiert: in gemischte Schulen, gemischte Wohnviertel, Sportklubs. Viele Menschen sprechen davon, wie wichtig Diversität ist. In Wahrheit leben wir aber auf monokulturellen Inseln. Wenn man Menschen auf eine Gruppenzuge hörigkeit reduziert, was passiert dann?

STANDARD: Was passiert dann?

Somers: Die Menschen in diesen Gruppen reden einander ein oder lassen sich einreden, dass die anderen sie nicht mögen. Dann stehen einige auf und sagen: "Aber wir sorgen für euch, wir verteidigen euch." Das öffnet Mafia-Organisationen und extremistischen Ideologien Tür und Tor. Diese Spaltung zu bekämpfen, Ghettobildung zu verhindern ist der wichtigste Punkt in einer inklusiven Stadt. Dass uns das gelungen ist, zeigt mir zum Beispiel, dass niemand aus meiner Stadt nach Syrien gegangen ist, um dort aufseiten des IS zu kämpfen. In Antwerpen, das nur wenige Kilometer entfernt ist, waren es 100 Menschen, in Brüssel 200. Dabei sind wir die multi kulturellste Stadt im Umkreis.

STANDARD: Wie haben Sie Mittelklasse-Eltern überzeugt, ihre Kinder in gemischte Schulen zu geben?

Somers: Indem ich mit ihnen geredet habe und sie mit anderen Eltern, den Lehrern und Betreuern zusammengebracht habe. Wir haben sie alle an einen Tisch gebracht und ihnen klargemacht, dass sie dasselbe wollen: dass ihr Kind nicht "alleine" in der Klasse, unter lauter "Fremden", ist – und dass die Qualität der Bildung gut sein muss.

STANDARD: Die Wiener Stadt regierung hat beschlossen, dass "Wiener zuerst" kommen müssen. Das bedeutet eine Bevorzugung von Menschen, die schon lange in der Stadt wohnen, gegenüber neu Zugezogenen. Was halten Sie davon?

Somers: Ich möchte keine Kommentare zu anderen Städten und Ländern abgeben, weil ich die nicht gut genug kenne. Ich kann nur sagen: Mechelen besteht ausschließlich aus Bürgern von Mechelen. Alle Menschen, die hier wohnen, sind Bürger dieser Stadt. Europas Politiker beschäftigen sich viel mit den sogenannten Neuankömmlingen. Keine Frage, die müssen die jeweilige Landessprache lernen und die Werte unserer Demokratie anerkennen. Das ist eine Herausforderung. Aber die größere Herausforderung ist die zweite, dritte, vierte Generation an Zugezogenen. (Petra Stuiber, 3.4.2019)