Ein mythologisches Paralleluniversum als Vorgriff auf das Glück der Sesshaftigkeit: "Trap Town" von Wim Vandekeybus vereint Tanz, Schauspiel und Video.

Foto: Danny Willems

Wer ganz in sich selbst zu Hause ist, kann sein Leben überall verbringen. Das ist nicht sehr verwunderlich, war doch die Spezies Homo sapiens einmal insgesamt nomadisch. Als Heimat genügte die durchstreifte Landschaft. Heute gibt es um das Heimat-Wort, wenn's drauf ankommt, heftige Debatten, die meist wenig über den Begriff, aber viel über Weltanschauungen zutage fördern. Vielleicht ist es ganz gut, die Waffen einmal sinken zu lassen und zu schauen, welche Spuren die Diskussion in den Künsten hinterlässt.

Das jedenfalls hat sich das diesjährige Osterfestival Tirol vorgenommen. Unter dem Motto heimat.welt gibt es in Innsbruck und Hall zwei Wochen lang Musik, Tanz und Filme, die dem Heimatthema eventuell ein paar biedere Stereotype entziehen könnten.

Den Auftakt macht das belgische Het Collectief (Leitung: Reinbert de Leeuw) mit einem Musikabend unter dem Titel Heimatsuche – Emigrationen im Salzlager Hall. Die Gruppe spielt seit 1998 Kammermusik vom Feinsten und bringt jetzt, am Samstag, dem 6. April, zusammen mit der Sopranistin Katrien Baerts Stücke etwa von Alexander Zemlinsky, Alban Berg, Arnold Schönberg oder Anton Webern.

Paralleles Universum

Eine tanz- und wortgewandte Performance des Brüsseler Choreografiestars Wim Vandekeybus präsentiert das Festival dann tags darauf mit Go Figure Out Yourself, einer Weltenreise für frei flottierendes Publikum. Und am 16. April gibt's noch eine zweite Vandekeybus-Arbeit zu sehen, Trap Town mit Tanz, Schauspiel und Video für die große Bühne in der Innbrucker Dogana: Heimat, verstanden als mythologisches Paralleluniversum.

Am Montag startet das wie immer kleine, aber erlesene Filmprogramm im Innsbrucker Leokino, mit Michael Hanekes Dorf-Anti-Idyll Das weiße Band (2009). Im Kontrast dazu stehen Sudabeh Mortezais Macondo (2014) und Pier Paolo Pasolinis Heilsgeschichte Das 1. Evangelium – Matthäus von 1964. Von den verschiedensten Kulturen der Welt inspiriert ist die Musik des Freiburger Ensemble Recherche.

Religiös und gespenstisch

Als "Fliegende Leere" lässt es unter anderem Werke der südkoreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan (73) hören, die sich stark auf Eigenarten ihres Heimatlandes bezieht. Und dass auch Religion als "Heimat" beflügeln kann, ist in der Karfreitagsliturgie oder der Trauermette der Cantori Gregoriani Milano zu spüren.

Nomadisch wird es in der Performance Panorama der italienischen Gruppe Motus und eng – als Konfrontation mit einer totalitären Macht – in dem Erstlingswerk I put a spell on you des iranischen Choreografen Ehsan Hamet.

Zum Finale schließlich beschwört die Französin Maud Le Pladec Twenty-seven perspectives, gespenstisch zu Schuberts Symphonie in h-Moll, der Unvollendeten, mit Körpern, die ganz im Tanz zu Hause sind. (Helmut Ploebst, 3.4.2019)