Rathauskunst in Köln (links) und Wien (rechts).

APA/dpa

Rathauskunst von Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl aus dem Jahr 2019.

APA

Rathauskunst von einem Kölner Meister aus dem Jahr 1410.

APA/dpa

Ist der Lüstling gar als Kommentar zum obenauf thronenden Kölner Erzbischof zu verstehen?

APA/dpa

Die Sanierung des Wiener Rathauses beschert der Stadt bald ein gut 70 Meter hohes Kunstwerk. Aufgedruckt auf ein Baustellennetz, das den neogotischen Turm verhüllt, werden ab Mitte April zwei übereinandergestapelte Morphsuitträger in Rot zu sehen sein. Gestaltet wird das Werk im Auftrag der Stadt von dem queeren Künstlerduo Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl, die sich darin selbst als Huckepack-Trägerinnen porträtieren – ein Bild, das sich nach Wunsch von Auftraggeber und -nehmer in die Feierlichkeiten zu "100 Jahre Rotes Wien" einfügt.

Von den beiden Ironikern, die sonst gerne mit erotisch aufgeladenen Sujets spielen, hätten sich manche allerdings mehr erwartet. Zu brav, könnte man unken: So herrschte zunächst Unklarheit darüber, ob die tragende Figur nicht vielleicht mit dem Gesicht zum Geschlechtsteil der oberen abgebildet sein könnte – eine Liebesstellung, für die einschlägige Filmregisseure sicherlich einen Fachbegriff kennen.

Dezidiert ausschließen kann das aber, wer erkennt, dass die untere Figur Badeschlapfen trägt und ihre Zehen nach dem gegenüberliegenden Burgtheater streckt. Für die Künstlerin Knebl sind die Schlapfen ein "Link auf die Arbeiter" und ein Konnex zum eigenen "Working Class Background". "Dass der eine den anderen trägt, ist die Vision einer Gemeinschaft", lobte wiederum die Wiener Kulturstadträtin.

Mittelalterliche Provokationslust

So einig wie heute waren sich Rathäusler und Künstlerschaft in der Geschichte aber nicht immer. Das beweist etwa ein Bild, das dieser Tage im Internet Furore macht. Das Kölner Rathaus ziert eine Steinfigur, die von der Provokationslust früherer Jahrhunderte zeugt. Besagtes Männchen streckt dem Betrachter nicht nur recht offen sein Hinterteil entgegen, es lutscht auch noch genüsslich am eigenen Gestänge, nimmt sich also wahrlich kein Blatt vor den Mund.

Wie das Kunstmagazin "Monopol" in Erfahrung gebracht hat, handelt es sich bei dem Autofellatio-Artisten um die nach 1945 rekonstruierte Version eines Originals aus dem Jahr 1410 (!). Im Mittelalter waren derartige Abbildungen nicht ungewöhnlich, sie verwiesen – je nach Sichtweise – spöttisch auf die Obrigkeit oder, heiliger, auf die Todsünde der Wollust. Man will sich den Sturm der Entrüstung nicht vorstellen, hätte die Wiener Rathausverhüllung anlässlich "100 Jahre Rotes Wien" gar das Motiv der Onanie in den Mittelpunkt gerückt.

In einem Punkt aber hat die moderne Kunst gegenüber den mittelalterlichen Provokateuren einen Sieg davongetragen: Sie darf heute ohne Verschämtheiten monströs groß präsentiert werden. Den Kölner Rathauschlingel hingegen musste man dereinst auf der Fassade etwas verstecken. Den Blick auf ihn trübt die triumphierende Darstellung des Erzbischofs Konrad von Hochstaden. Er war womöglich nicht ganz so heilig. (Stefan Weiss, 3.4.2019)