Archivbilder aus dem slowakischen AKW Michivce. Das Bauprojekt Mochovce 3 sorgt momentan für Besorgnis. Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) habe ihrem slowakischen Amtskollegen bereits vor Wochen ihre Bedenken mitgeteilt.

Foto: APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK

Mehrere ehemalige Arbeiter und Ingenieure hatten sich an eine österreichische Umweltschutzorganisation mit Fotos gewandt, die "gravierende Mängel" zeigen.

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Wien – Nach Berichten über grobe Bau- und Sicherheitsmängel bei den neuen Reaktoren des slowakischen Atomkraftwerks Mochovce hat es am Mittwoch in Österreich massive Kritik am Nachbarland gegeben. SPÖ, FPÖ, Liste Jetzt und Grüne forderten einen sofortigen Baustopp. Kritik gab es auch an Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Das bereits seit geraumer Zeit als Sicherheitsrisiko geltende slowakische Atomkraftwerk Mochovce liegt rund 130 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Nun berichten Ingenieure, die an der Errichtung der beiden neuen Reaktoren mitgearbeitet haben, von groben Bau- und Sicherheitsmängeln. Auch in Österreich gibt es massive Bedenken gegen die Inbetriebnahme.
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Global 2000 in Kontakt mit Ingenieuren

Global 2000 forderte erneut einen Stopp des AKW-Projekts. Mehrere ehemalige Arbeiter und Ingenieure hatten sich an die Organisation gewandt und Fotos von Mängeln bereitgestellt. Die Aussagen und Fotos sollen belegen, dass die Sicherheitshülle des Reaktors durch Bohrungen beschädigt wurde und im Fall eines Erdbebens oder einer Explosion im Zuge eines schweren Unfalls versagen könnte.

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Tausende Löcher seien in die Wände des Reaktorgebäudes und der hermetischen Kammern gebohrt worden, um Halterungen für Kabel, Rohre und Dampferzeuger zu befestigen. Diese Bohrungen seien "einfach im Blindflug" erfolgt, sagt Reinhard Uhrig, Atomsprecher von Global 2000.

Die Organisation hat außerdem einen Maschinenbauingenieur mit langjähriger Erfahrung im Bau und Betrieb von Atomkraftwerken, der in Mochovce für die Installation von Notstrom-Dieselgeneratoren verantwortlich war, nach Wien geladen. Er bezeuge die "absolut unzureichende" Koordination der Bauausführung zwischen den verschiedenen beteiligten Firmen. "Aufgrund dieser uns anvertrauten Informationen müssen wir davon ausgehen, dass die Statik des Reaktorgebäudes geschwächt und die hermetischen Kammern, die im Falle eines schweren Unfalls den Austritt von radioaktiven Stoffen aufhalten sollten, beschädigt sind", sagt Uhrig.

Anfrage an Köstinger

Die SPÖ richtete unterdessen eine parlamentarische Anfrage an Köstinger. Trotz zahlreicher Berichte über grobe Mängel und massive Unzulänglichkeiten sollen die neuen Reaktorblöcke 3 und 4 in Mochovce in den kommenden Monaten in Betrieb gehen, Reaktor 3 bereits diesen Sommer, sagte der SPÖ-Abgeordnete Erwin Preiner am Dienstag.

Er will von Köstinger wissen, welche sofortigen und konsequenten Schritte sie als Ministerin setzen werde, um die Inbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 zu verhindern. Weiters fragt er, warum Köstinger nicht bereits während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft entsprechende Schritte gesetzt habe und ob bereits eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung vorliege. "Das Kernkraftwerk Mochovce liegt nur rund 130 Kilometer von der österreichischen und burgenländischen Grenze entfernt", warnt er. "Der Schrottreaktor ist eine tickende Zeitbombe."

Auch Köstinger besorgt

Köstinger sprach am Mittwoch von "sehr besorgniserregenden Berichten" bezüglich der Sicherheit des Bauprojekts. Bereits zuletzt habe die Bundesregierung gedrängt, dass alle Sicherheitsbedenken ausgeräumt werden müssten, andernfalls wäre eine Inbetriebnahme "inakzeptabel".

Gegenüber ihrem slowakischen Amtskollegen habe sie schon vor einigen Wochen ihre Bedenken formuliert, so die Ministerin. Weiterhin gehe man jedem Zeugenbericht und jedem Vorfall nach. "Für uns ist Atomenergie keine Technologie der Zukunft", so Köstinger, auch als Maßnahme gegen den Klimawandel sei sie der falsche Weg.

Schieder sieht "brandgefährlichen Schrotthaufen"

SPÖ-EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder erklärte: "Fotos von Rissen im Meiler und Berichte eines ehemaligen AKW-Ingenieurs über schwerwiegende technische Mängel und fehlende Aufsicht beim Bau belegen, dass das AKW Mochovce schon vor der Inbetriebnahme ein brandgefährlicher nuklearer Schrotthaufen ist, von dem unvorstellbare Gefahren für die Bevölkerung in Österreich ausgehen. Deshalb darf diese Atomanlage niemals ans Netz gehen."

Von Köstinger verlangt er, bei der EU-Kommission "einen sofortigen Baustopp und das Verbot der Inbetriebnahme" zu erwirken, um "uns und unsere Kinder vor einer europäischen Katastrophe zu bewahren". Er wirft der Ministerin vor, "beim Bau des AKW Mochovce tatenlos zugesehen" zu haben.

Bei Sima schrillen die Alarmglocken

Die Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) zeigte sich entsetzt über die Schilderungen des Ingenieurs, den sie selbst getroffen hatte. "Da schrillen alle Alarmglocken, seine Ausführungen zu den Zuständen in Mochovce machen wirklich Angst", sagte Sima. Es müssten alle Sicherheitsmängel aufgelistet werden, "eine Inbetriebnahme ist völlig inakzeptabel".

Auch Vilimsky will Inbetriebnahme verhindern

Auch FPÖ-EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky forderte: "Die Inbetriebnahme der neuen Reaktorblöcke 3 und 4 im slowakischen Atomkraftwerk Mochovce muss verhindert werden." Was hier an Einzelheiten zutage trete, "deutet auf ganz gravierende Sicherheitsmängel hin". Er fordert von der EU, sich stärker einzubringen, um entsprechenden Druck auf die Slowakei zu machen.

Kogler sieht Kurz am Zug

Ähnliche Forderungen stellte auch der grüne EU-Spitzenkandidat Werner Kogler. "Kanzler Kurz soll endlich Initiative ergreifen und sich Verbündete suchen, um die slowakische Regierung dazu zu bringen, den weiteren Ausbau von Mochovce zu stoppen und eine unabhängige externe Untersuchung des AKW zuzulassen. Das ist eine europäische Angelegenheit, daher sollte man in Absprache mit gleichgesinnten EU-Ländern und der EU-Kommission auftreten", hieß es in einer Aussendung der Grünen.

Anschober sieht "Alarmruf für ganz Europa"

Der oberösterreichische Umweltlandesrat Rudi Anschober (Grüne) sieht in den Enthüllungen einen "Alarmruf für ganz Europa und einen Weckruf für die nicht mehr vorhandene Antiatompolitik der Bundesregierung". Oberösterreich wolle sich daher an die slowakische Regierung, an die österreichische Bundesregierung und an die EU-Kommission wenden mit dem direkten Appell einer Initiative für einen Baustopp und eine unabhängige externe Überprüfung. Zusätzlich werde sich das Bundesland an andere Regionen in ganz Europa wenden, um Widerstand zu organisieren. "Wer jetzt nicht handelt, macht sich mitschuldig", so Anschober.

Liste Jetzt will Baustopp

Die Liste Jetzt spricht von einer "tickende Zeitbombe" und verlangt einen koordinierten europaweiten Atomausstieg. "Bei einem GAU würden die Bundeshauptstadt, Niederösterreich, das Burgenland und Teile Oberösterreichs schwer verstrahlt, ja vielleicht sogar unbewohnbar", sagt Jetzt-Gesundheitssprecherin Daniela Holzinger. Sie fordert einen sofortigen Baustopp oder ein Verbot, den "Schrottreaktor" in Betrieb zu nehmen. "Am besten wäre es, wenn es eine koordinierte europaweite Ausstiegspolitik gäbe." (APA, red, 3.4.2019)