Familientreffen der besonderen Art: Edmund de Waals Vorfahren aus 170 Jahren in Linz.

Foto: Reinhard Winkler

Netsuke sind feine japanische Schnitzereien aus Elfenbein, Walrosszahn oder Holz. Als Gewichte, um einen Beutel an einem Kimono zu befestigen, hatten sie einst praktische Bedeutung. Im 19. Jahrhundert wurde Europa aus Kunstgründen verrückt nach den Preziosen.

Als Kinderspielzeug und Erinnerungsstücke hat der japanophile britische Keramiker und Autor Edmund de Waal sie 2010 ins Zentrum seines Romanerfolgs Der Hase mit den Bernsteinaugen gerückt. Er basiert auf de Waals Familiengeschichte. 264 Netsuke-Figuren waren im Besitz von de Waals Vorfahren, der jüdischen Geschäftsleute Ephrussi, als sie vor den Nazis aus ihrem Palais an der Wiener Ringstraße fliehen mussten. Bis dahin waren die Ephrussis eine der reichsten Familien Europas.

Auftragswerk

Im Linzer Schauspielhaus feiert am Samstag das Musical zum Bestseller Premiere. Das Landestheater ging damit das Wagnis eines Auftragswerks ein. Lokalmatador Henry Mason hat aus de Waals Buch die Texte kondensiert. Zweieinhalb Jahre lang verschränkte er die Zeitebenen und reduzierte das Personal auf 170 Figuren, die in Linz 20 Darsteller beanspruchen. Als Regisseur trägt Mason auch für den finalen Schliff Sorge.

Die Handlung zieht binnen drei Stunden von Odessa über Paris und Wien bis weiter nach Tokio und deckt obendrein 170 Jahre ab. Diese verschiedenen musikalischen Einflüsse aus Regionen und Epochen nutzt Komponist Thomas Zaufke zum Spiel mit Stilen von russisch-jüdischen über impressionistische bis zu swingenden Klängen. Jan Meier bedient sich für die Kostüme aus einem ebenso prallen historischen Fundus.

Die Familie erhielt die Netsuke nach dem Krieg zurück. Was de Waals Roman nicht mehr erzählt: Der Hase und 169 weitere Netsuke sind seit 2018 als Leihgabe im Jüdischen Museum Wien beheimatet. (wurm, 3.4.2019)