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Zerrissen zwischen Underground-Ethos und der Bürde des Weltruhms nahm sich der drogenkranke Kurt Cobain von Nirvana vor 25 Jahren das Leben.

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Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit – und doch hat es nicht gepasst. Er war ein Posterboy, der keiner sein wollte. Der "Sprecher der Generation X", dem angesichts dieser Zuschreibung die Worte fehlten. Eine Stilikone aus der Altkleidersammlung, zwischen Underground-Ethos und Mainstreamerfolg zerrissen wie seine Jeans, ein von Familiengründung und Weltruhm Überforderter.

Die Symptome dieses chronischen Ausnahmezustands im Rampenlicht behandelte er denkfaul mit Heroin – bis er beschloss, sich einen anderen Schuss zu setzen. Am 5. April 1994 nahm der 27-jährige Kurt Cobain ein Gewehr, richtete es gegen sich und drückte ab. Den obszönen Gesetzen des Showbusiness entsprechend starb an dem Tag der Mensch Kurt Cobain – und die Legende war geboren. 25 Jahre ist das her.

Beschränkter Radar

Was heute als Alternative Music Teil des Mainstreams ist, wurde Anfang der 1990er-Jahre von der Band Nirvana dorthin überführt. Nirvana wurde 1988 in Aberdeen, Washington gegründet und kam auf dem im nahen Seattle beheimateten Label Sub Pop über die Welt.

Die Stadt Aberdeen begrüßt heute mit dem Titel eines Nirvana-Songs seine Gäste.

Sie markierten mit ihrem 1991 erschienenen Erfolgsalbum Nevermind den Endpunkt einer Entwicklung, die in den 1980er-Jahren begonnen hatte. Aus dem Do-it-Yourself-Geist des Punk schufen Independent-Labels wie SST, Touch & Go und andere mit ihren Acts ein über die USA verteiltes Netzwerk aus Clubs, Radiostationen und Unterstützern. Gegenkultur in Full Force.

Bands lebten im Tourbus oder schliefen am Boden von Fans und Freunden. Jahrelang ging das so, bis daraus eine Subkultur wurde, die lange unterhalb des beschränkten Radars der Musikindustrie blieb. Doch die Szene wuchs. Kam zu Beginn nur eine Handvoll Besucher zu den Shows, waren es wenige Jahre später hunderte und tausende. Erste Gruppen wie Hüsker Dü gingen zu Major-Labels, und gegen Ende der 1980er zeichnete sich ab, dass nur noch die geeignete Identifikationsfigur auftauchen musste, um den Deckel hochgehen zu lassen. Kurt Cobain schien die Traumbesetzung für den Job zu sein – bis er daran zugrunde ging.

Gedeihen und erblühen

Die Herkunft aus Seattle, links oben im Regen der USA, galt damals noch als Standortnachteil. Andererseits waren es diese wenig beachteten Szenen, in denen ein Pflänzchen wie Nirvana gedeihen und zur Blüte kommen konnte. Heute erscheint das unmöglich. Bei der leisesten Regung eines Underground-Phänomens stehen die Majors schon bereit. Nicht Ende der 1980er. Underground Musik galt damals als Fach für Eingeweihte und Freaks. Es war ein Minderheitenprogramm, die wenigen Informationen darüber ein Geheimwissen, nicht selten gespickt mit Irrglauben. Als Informationsträger fungierten kopierte Fanzines, um auf Konzerte hinzuweisen, entstand die Flyerkultur.

Nirvana bei ihrem zweiten und letzten Wienkonzert im November 1991 in der Arena. Im Vorprogramm spielten Skin Yard und Urge Overkill.
MCRA NIRVANA

Wollte man aus dem Inseldasein einer Szene ausbrechen, galt es in den Tourbus zu steigen und sich auf Ochsentour zu begeben. Jedoch zeichnete sich bereits eine Diversifizierung ab, die in jene große Gleichzeitigkeit der Stile mündete, die lange schon Status quo ist. In Detroit und Chicago kochten seit einiger Zeit Techno und House in den Clubs, an der Ost- und Westküste wummerte der Hip-Hop.

Anti-Star-Haltung

Doch erst wer sich in den jeweiligen Szenen einen Namen gemacht hatte, konnte damit rechnen, seine lokale Credibility auch anderswo gegen ein paar Zuschauer einzulösen. Begleitet waren diese Kulturen von einer Haltung, die diese Kunst nicht aus karrieristischen Antrieben betrieb; dazu gab es schlicht keine Vorbilder. Die Underdog- und Anti-Star-Haltung prägte das Milieu – man begegnete sich auf Augenhöhe. Wer heute als Fan vor der Bühne stand, konnte morgen in denselben abgerockten Klamotten schon oben stehen: So begann etwa die Karriere des Henry Rollins.

Wahrheit ist Arbeit

Es gab kein Youtube, mit dem man die Attraktivität seiner Kunst aus dem Safe Space des eigenen Zimmers testen konnte, kein Facebook, um sich mit der globalen Neigungsgruppe zu vernetzen. Galt es einen Weg zu gehen, musste man die Schuhe anziehen. "Wahrheit ist Arbeit" lautete ein Slogan in der Kunst und beschrieb damit perfekt die Bedingungen.

Neben Hüsker Dü, den Replacements oder Sonic Youth gab es kaum Gruppen, die aus dem Underground zu Majors gegangen waren. Und selbst die galten lange nur als bessere steuerliche Abschreibposten für die großen Verlage. Als Nirvana für ihr zweites Album zu Geffen wechselten, erhoffte man sich dort Verkaufszahlen, wie sie Sonic Youth mit ihrem Album Goo erzielt hatten: 250.000 Stück. Doch es kam anders. Die Absätze von Nevermind gingen in die Millionen, allein die Single Smells Like Teen Spirit knackte schon diese Grenze.

NirvanaVEVO

Heute gelten diese Formate trotz einer gewissen Renaissance als mehr oder weniger obsolet. Die CD riecht und siecht, Streaming beherrscht den Musikmarkt, und kaum eine Disziplin ist ästhetisch nicht irgendwie im Mainstream vertreten. Nirvana waren die Letzten, die im Rock eine Grenze niederreißen konnten.

Die Tür eingetreten, und die Wand gleich mit

Die Ignoranz der großen Labels ermöglichte damals den Überraschungseffekt. Daraus haben sie gelernt. Heute wird jeder vermeintlich neue Trend sofort auf seine kommerzielle Verwertbarkeit überprüft – nur dass die Erträge durch die neuen Marktgesetze nicht mehr in jene Dimensionen vorstoßen, die Nirvana erreicht haben.

Sie haben die Tür eingetreten – und die Wand gleich mit. Etwas weniger spektakulär, weil weniger traditionell orientiert, sickerte in den Jahren darauf Techno in den Mainstream ein, für den Hip-Hop machten The Fugees 1996 die Sache endgültig klar. Die seit damals stattfindenden Differenzierungen, Trends und Revivals haben alle ihre Stars und Fans hervorgebracht. Doch niemand vermochte alles über den Haufen zu werden, wie Nirvana es getan haben. Und wie so oft hat der Revoluzzer die Revolution nicht überlebt. (Karl Fluch, 4.4.2019)