Passend eingekleidet beim Drehtermin in der Obersteiermark: Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma.

Eigentlich bestehe das Projekt aus zwei eigenständigen Arbeiten, sagen Kelly Copper und Pavol Liska, die Gründer des Nature Theater of Oklahoma, über Die Kinder der Toten. Das eine war die Umsetzung des Films im Mürzer Oberland, bei der sich die ansässige Bevölkerung mit Begeisterung als lebende Tote ins Zeug geworfen hat. Auf Einladung des Steirischen Herbstes hatte das US-Duo Elfriede Jelineks sprachgewaltigen Roman über Wiedergängertum und Todeswahn auf 666 Super-8-Filmrollen gebannt – ohne Ton. Der fertige Film, mit einem großartig Score von Wolfgang Mitterer versehen, ist das "Nebenprodukt" dieser Kunstaktion: ein Anti-Heimat-Zombie-Stummfilm der derb-lustvollen Art, wie ihn das heimische Kino noch nicht gesehen hat. Wir trafen das Duo auf einen Frühstückstermin bei der Grazer Diagonale.

STANDARD: Elfriede Jelinek schreibt über das Nature Theater of Oklahoma, dass Sie sich aufs Falten großer Dinge verstehen. Wie kommt man auf das verwegene Konzept, ein Buch wie "Die Kinder der Toten" am Originalschauplatz mit Amateuren umzusetzen?

Liska: Wir wollten schon länger raus aus dem Theater – und nicht für, sondern mit einem Publikum arbeiten. Da kam die Einladung des Steirischen Herbstes, in der Region etwas umzusetzen, sehr gelegen. Ich habe früher im Metropolitan Museum of Art als Sicherheitswärter gearbeitet. Obwohl ich als Maler vollkommen untalentiert bin, zwang ich mich dort, Gemälde zu kopieren. Jetzt wollten wir auch das Setting umkehren. Die Kamera sollte zum Publikum werden, dieses involviert werden.

Copper: Wir waren so viel auf Tour, dass wir nur noch ein oberflächliches Verhältnis zu den Leuten und Orten hatten. Diesmal wollten wir tiefer graben, die Leute kennenlernen.

STANDARD: Das hat so gut funktioniert, dass es fast wie die Erfüllung eines Traums aus den 1970er-Jahren wirkt: ein Theater der Kollaboration mit aufklärerischen Ideen.

Liska: Wir hatten allerdings nichts zu lehren! Das Ganze ist ein erzieherisches Projekt für uns selbst. Wir nähern uns nicht als Wissende, sondern als Unwissende, aus der Perspektive des Aliens. Speziell in einem fremden Land ist das so, obwohl wir uns nirgendwo besonders heimisch fühlen.

STANDARD: Um ein Alien zu bleiben, darf man kein Experte sein. Sie haben den Roman gar nicht gelesen, weil er noch nicht übersetzt ist. Befreit das beim Zugang?

Liska: Wir haben immer mit bekannten Genres gearbeitet, weil das Erwartungen beim Publikum erzeugt. Das lässt uns mit ihnen "kämpfen". Wir entscheiden, wie viel wir ihnen geben wollen.

Copper: Wir haben von einem Zombiefilm gesprochen, und es gab Leute, die nur aus diesem Grund mitgemacht haben. Claus Philipp, der Dramaturg, hat uns immer korrigiert, dass es Untote heißt. Aber Zombie ist low, Fernsehen, B-Movie.

Stadtkino Filmverleih

STANDARD: Das löst mehr Assoziationen aus.

Copper: Ja, der Begriff Untote half uns nicht weiter, es gibt keine Untoten-Filme.

Liska: Die Leute wissen sofort, dass man die Hände heben und auf eine bestimmte Art laufen muss. Ich sage: "Nehmt Zombie-Make-up" – und alle wissen, was zu tun ist.

STANDARD: In ihrem Roman schreibt Jelinek u. a. von der Fixierung auf den Tod, der aber auch ein soziales Miteinander formt. Konnten Sie mit dieser österreichischen Eigenart auf Anhieb viel anfangen?

Liska: Oh ja! Was wir in Österreich über die Jahre hinweg entdeckt haben, ist ein hoher Grad an Selbstwahrnehmung. Österreich präsentiert sich gegenüber der Welt als zivilisiertes Land – mit Mozart, dem Burgtheater, den Salzburger Festspielen. Kunst und Kultur werden mit großem Selbstbewusstsein dargeboten, zugleich gibt es jedoch den ganzen Mist darunter. Österreich wäre das ideale Projekt für David Lynch. Eine supersaubere Fassade, die den weißen Zäunen der Vorgärten amerikanischer Häuser gleicht. Darunter aber lauern Perversionen, Pädophilie und Mord – das Land ist am ganzen Spektrum menschlicher Erfahrungen angeschlossen.

STANDARD: Das heißt, die so_genannten "Nestbeschmutzer" wie Jelinek sehen eigentlich das ganze Bild?

Liska: Die Nestbeschmutzer sind die Nationalidole. Sie sind die Helden, die das ganze Spektrum nach außen kehren – das gibt es in anderen Ländern nicht in dieser Intensität, was wohl auch an Freud, Musil und Doderer liegt – jedenfalls nicht in Amerika. Während wir das Drehbuch schrieben, dachten wir auch an all die Grausamkeiten, die man Native Americans oder Schwarzen angetan hatten. Es gab einen Holocaust in Amerika, den niemand so nennt.

STANDARD: Der Film geht mit politischen Themen allerdings nicht moralisch um – Sie spielen etwa komisch mit der Verwechslung von "Styria" und "Syria".

Liska: Wir haben Humor, aber es geht auch um Selbstkritik. Wenn wir mit Klischees über Österreich hantieren oder über die politische Situation in Syrien, versuchen wir uns selbst nicht als gute Menschen zu porträtieren. Es geht vielmehr darum, so tief zu graben, bis man seine eigenen finsteren Motive und Tendenzen findet. Ganz tief drinnen bin auch ich ein Rassist, ja vielleicht ein Nazi. Ich will als Künstler kein besserer Mensch sein. Ich habe keinen einzigen syrischen Flüchtling zu mir nach Hause genommen und auf meiner Couch schlafen lassen. Meine moralische Empörung habe ich bisher nur durch Worte ausgedrückt.

Copper: Wir wollen keine Arbeit machen, die angenehme Gefühle bereitet. Man muss riskieren, in die Position des Bösewichts zu wechseln.

Liska: Letztlich sind wir viel kompliziertere Wesen als aufgeklärte, liberale, moralisch einwandfreie Künstler. Es ist der Versuch, die eigenen Dämonen erkunden.

STANDARD: Mit dem Super-8-Filmen haben Sie sich bewusst für ein anachronistisches Trägermaterial entschieden. Weil sich Film und Tod gut verschränken lassen?

Liska: Das Material erlaubt einem, in den vorsprachlichen Bereich zu gelangen. Man kann ins Unbewusste vordringen. Der Film wird zu einer musikalischen Komposition, zu einer Symphonie. Man beschreibt sie nicht, sondern erfährt, durchlebt sie. Stummfilm kann auf ähnliche Weise erlebt werden, vor allem dann, wenn er nicht streng narrativ verfährt, sondern visuell und dabei eine eigene Stimmung schafft. Das filmische Korn hat seine eigene Emotionalität, es ist eben nicht nur Information.

Copper: Außerdem kann man am Film auch den Geschmack des Todes erkennen. Man blickt auf einen Hund auf einer alten Aufnahme und weiß, dass er nicht da ist. Film nimmt das Licht zu einem bestimmten Zeitpunkt auf, es hinterlässt Spuren auf seinem Material. Wenn man auf einem Foto vor und nach dem Tod einer Person blickt, bekommt das eine viszerale Qualität.

Liska: Auch Geister sind Licht und Schatten, und das ist im Grunde alles, was Film ist.(Dominik Kamalzadeh, 5.4.2019)