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Vielleicht wird er doch Bürgermeister von Istanbul: AKP-Kandidat Binali Yildirim.

Foto: Reuters/KEMAL ASLAN

Gewinner und Verlierer der Bürgermeisterwahl in Istanbul trennten 27.000 Stimmen voneinander – 27.000 von knapp neun Millionen wohlgemerkt. Selten ist eine Wahl so knapp ausgegangen. Sowohl der AKP-Kandidat Binali Yıldırım als auch der Kandidat der Opposition, Ekrem İmamoğlu, kamen auf 48 Prozent. Erst bei der Nachkommastelle lag İmamoğlu vorne.

Die Regierungspartei AKP hatte daraufhin von der Wahlkommission verlangt, einen Teil der Stimmen neu auszuzählen. Diese gab am Mittwoch dem Antrag statt, in 19 Wahlbezirken Istanbuls und in elf Bezirken Ankaras sollte nachgezählt werden. Nachdem sich am Donnerstagabend İmamoğlus Führung in Istanbul – allerdings nur noch mit rund 19.500 Stimmen Abstand – zunächst zu bestätigen schien, erklärte die Wahlkommission, dass ungültige Stimmen nun in 15 weiteren Stadtbezirken neu ausgezählt werden sollen.

Bereits die Entscheidung von Mittwoch war – wie zu erwarten – auf Kritik der Opposition gestoßen. Unregelmäßigkeiten gab es auch bei den Kommunalwahlen 2014 und beim Referendum zur Verfassungsänderung 2017. Damals aber ließ die Wahlbehörde nicht noch einmal nachzählen.

Der 49-jährige Hoffnungsträger der Opposition war unterdessen nach Ankara zum Atatürk-Mausoleum geeilt und hatte sich dort rasch ins Gästebuch als "Bürgermeister von Istanbul" eingetragen. Das wiederum stieß auf Kritik beim unterlegenen Kandidaten Yıldırım, der von seinem Gegner Geduld forderte. Yıldırım hatte allerdings schon in der Wahlnacht Plakate aufhängen lassen, auf denen er sich bei den Wählern für seinen Sieg bedankte.

Schmerzende Niederlage

In der AKP rumort es unterdessen. Verlieren gehört nicht zum Repertoire des Präsidenten. Seit 2002 ist Tayyip Erdogan mit seiner AK-Partei von Sieg zu Sieg geeilt. Dass nun ausgerechnet die Hauptstadt Ankara und – nach aktuellem Stand der Neuauszählung – die 16-Millionen-Metropole Istanbul an die kemalistische CHP fallen, ist eine schmerzende Niederlage. Zusammen erwirtschaften die beiden Städte über die Hälfte des Bruttosozialprodukts, und Erdogan hatte selbst immer wieder gesagt: "Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei."

Auffallend sei am Sonntag gewesen, so Palastkenner, dass Erdogan bei seiner traditionellen Balkonrede nur mit Ehefrau Emine erschienen war. Es fehlte unter anderem Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak. Der 41-Jährige gilt als Quereinsteiger mit guten Beziehungen, was nicht bei allen in der Parteibasis auf Wohlwollen stößt. Es werde Änderungen in der Partei geben, kündigte Erdogan noch am Wahlabend an, ohne dabei konkret zu werden. Indes werden auch Spekulationen über eine Spaltung innerhalb der AKP lauter.

"Ins eigene Bein schießen"

Für Türkeikenner und Fonds-Experte Timothy Ash würde sich Erdogan allerdings ins eigene Bein schießen, sollte er an den Wahlergebnissen drehen. "Wirklich positiv an diesen Wahlen ist, dass die Demokratie in der Türkei noch am Leben ist", schrieb er auf Twitter. "Jetzt an den Ergebnissen in Istanbul und Ankara zu drehen, würde eine völlig andere Botschaft senden." (Philipp Mattheis aus Istanbul, 5.4.2019)