Bild nicht mehr verfügbar.

Nach wie vor hoffen die Freunde eines vereinigten Europa, dass die EU auch künftig aus 28 und nicht 27 Nationen bestehen wird.

Foto: Reuters / Alkis Konstantinidis

Ein Land von "gelähmten, diskreditierten Politikern", angeführt von Premierministerin Theresa May, "der grundlegende politische Qualitäten wie Einfallsreichtum und strategische Gewandtheit fehlen": Der Leitartikel der angesehenen Irish Times fasste am Donnerstag die Meinung des irischen Establishments über den Nachbarn Großbritannien zusammen. Umso willkommener war der Kurzbesuch von Angela Merkel in Dublin: Die deutsche Kanzlerin wolle sich "ein klares Bild" der Lage an der inneririschen Grenze verschaffen, hieß es.

Merkel in Dublin

Der konservative Premier Leo Varadkar hatte dazu Menschen aus der Grenzregion zu Nordirland eingeladen. Sie wollten der Besucherin aus Berlin vor Augen führen, wie radikal sich ihr Alltag verändern würde, wenn es entlang der derzeit völlig offenen, 300 Kilometer langen Grenze zu Grenz- und Zollkontrollen kommt.

Eigentlich will das niemand – so beteuern es jedenfalls die beiden Regierungen ebenso wie die EU. Gemeinsam war deshalb im Dezember 2017 eine Auffanglösung ("Backstop") für Nordirland festgeschrieben worden: Sollte keine andere Einigung zustande kommen, verbleibt der britische Teil der Grünen Insel in der Zollunion und weiten Teilen des EU-Binnenmarktes. Weil sich die Unionistenpartei DUP dagegen wehrte, erwirkte May in dem im November vereinbarten Austrittsvertrag ein Zugeständnis an London: Nun soll ganz Großbritannien in der Zollunion bleiben, falls der zukünftige Freihandelsvertrag nicht rechtzeitig fertig wird.

London ein Leichtgewicht?

Dass die innerirische Grenze – neben der rechtlichen Stellung von EU-Bürgern in Großbritannien sowie den Zahlungsverpflichtungen – zentrale Bedeutung bekam, verbuchten Dublins Diplomaten als großen Erfolg. "Zum ersten Mal in der anglo irischen Verhandlungsgeschichte hat London weniger Gewicht", lautete das bittere Fazit des früheren britischen EU-Botschafters Ivan Rogers.

Allerdings nahmen das DUP sowie Brexit-Ultras zum Anlass, Mays Austrittsvertrag die Zustimmung zu verweigern. Egal ob Vorwand oder echte Besorgnis – die Blockade in London macht den chaotischen Austritt Großbritanniens ("No Deal") immer wahrscheinlicher.

Sorge vor Grenzkontrollen

Ende nächster Woche droht damit für Irland genau jenes Szenario Wirklichkeit zu werden, das man vermeiden wollte: Grenzkontrollen – und damit möglicherweise ein neuerliches Aufflammen des Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten, den der Friedensvertrag vom Karfreitag 1998 beilegen sollte.

Ob die Briten den No Deal doch noch vermeiden? Um die permanente Mitgliedschaft in einer Zollunion mit dem größten Binnenmarkt der Welt ging es am Donnerstag in London erneut zwischen Mays Brexit-Minister Stephen Barclay und seinem Labour-Pendant Keir Starmer.

Undichtes Dach im Unterhaus

Unterdessen berieten die Lords im Oberhaus über das am Mittwoch mit 313 zu 312 Stimmen vom Unterhaus verabschiedete Gesetz, das einen längeren EU-Verbleib zwingend vorschreibt. Das Unterhaus musste hingegen seine Nachmittagssitzung unterbrechen, weil es wieder einmal durchs Dach des baufälligen Palasts von Westminster regnete.

Regierung und Parlament in Dublin haben vergangenen Monat versucht, das eigene Haus einigermaßen wetterfest zu machen: 15 Notstandsmaßnahmen sollen die Grüne Insel vor dem schlimmsten Brexit-Schock bewahren. Denn nicht nur die innerirische Grenze stellt ein Problem dar; kein Anrainer der Briten wäre vom Chaos-Brexit stärker betroffen als die Iren.

Düstere Prognosen

Das Dubliner Finanzministerium und die Zentralbank haben düstere Prognosen veröffentlicht. Der Chaos-Brexit werde die zuletzt robust um 7,5 Prozent wachsende Wirtschaft massiv verlangsamen und die Grüne Insel mittelfristig sechs Prozent Wachstum kosten.

Eine der am schlimmsten betroffenen Branchen ist die irische Landwirtschaft: 37 Prozent ihrer Exporte im Wert von 4,5 Milliarden Euro gehen auf die größere Nachbarinsel. Der britische Minister Michael Gove hat seinen Landwirten Schutz durch Zölle und Importabgaben zugesagt. Irisches Lammfleisch könnte um 53 Prozent teurer werden, auch die Preise für Milch und Käse würden steigen. (Sebastian Borger aus London, 4.4.2019)