Terence Lennox interessiert sein Geschwätz von gestern nicht mehr.

Foto: Peter Mayr

Ich möchte bitten, nicht nach meinem Klarnamen zu fragen. Weil es keinen Klarnamen gibt, weil ich das bin, was ich bin: Terence Lennox. Weil ja zudem bis heute nicht ausreichend geklärt ist, ob allein nur ein Wiener Fotograf, der in Berlin lebte und in Hamburg arbeitete, hinter Terence Lennox stand. Oder ob es damals, in der Zeit des großen Identität-Rätselns, mehrere Persönlichkeiten aus dem Medienbusiness waren, die sich zu einer Poster-Gemeinschaft zusammenfanden. Oder ob es gar der Verleger Christian W. Mucha war, der 2009 verzweifelt versuchte, meinen Klarnamen aufzudecken, und dabei unterhaltsam scheiterte. Weil es damals schon längst keinen und einen Klarnamen gab: Terence Lennox.

Nun gut: Mucha war es nicht. Er hat den erwähnten Wiener Fotografen damals angerufen und ihm erzählt, dass er, wie dieser, aus dem Gemeindebau stamme. Und dass er einen Rolls-Royce fahre. Das war ein etwas törichter Versuch der fraternisierenden Recherche, denn der Fotograf verneinte im Telefonat über eine Stunde lang standhaft, Terence Lennox zu sein – schon allein deswegen, weil er keinen Rolls-Royce fuhr. Er hat mir kurz danach von dem Telefonat mit Mucha erzählt. Wir hatten viel zu lachen.

Ich war auch etwas publikumsgeil

Begonnen hat alles 2006, als mich der Fotograf nach dem letzten Kapitel von Raymond Chandlers Buch "Der lange Abschied" aus seinem Unterbewusstsein holte und mich lebendig seiner Schizophrenie übergab. Da stand ich nun. Und wusste wenig mit mir anzufangen. Der Fotograf jedoch hatte eine Aufgabe für mich: Ich sollte sein Meme "Print ist tot" im STANDARD-Etat-Forum verbreiten. Das STANDARD-Forum wählte er aus: Erstens, die ganzen Wichtigmacher lesen es. Zweitens, es war (ist) das schnellste Medium neben Facebook. Ich fragte ihn, ob er vergessen habe, dass nahezu hundert Prozent seiner Porträts und Reportagen in Zeitschriften und Büchern erscheinen würden (das war damals, 2006, noch der Fall) und dass er gleich mehrere Fotoredaktionen von Nachrichtenmagazinen und Publikumszeitschriften geleitet hatte. Nachsatz: Man zündelt nicht im eigenen Haus.

Doch er blieb stur, selbstzerstörerisch, wie er nun mal eben ist, und erwiderte: "Nur im Erkennen des Untergangs ist eine erfolgreiche Transformation möglich." Nachsatz: "Die Gratiskultur im Netz wird die alten Titel und Verlage vom Tisch der Bedeutung fegen." Das schien mir schlüssig, also ließ ich mich vor den Karren spannen. Und zugegeben: Ich war, so neu erstanden, auch etwas publikumsgeil.

Die Aufmerksamkeit der ganzen Medienöffentlichkeit

Eines seiner und dann auch meiner Hauptziele war (unter anderen) der News-Verlag, dem 2011 Manipulationen bei der verbreiteten Auflage nachgewiesen wurden. Der Fotograf war schon im Frühjahr 2006 von Insidern des Hamburger Gruner-&-Jahr-Verlags bei regelmäßigen Mittagessen in Steffen Hennslers Fischbude mit Zahlen und Daten gefüttert worden, die den offiziellen Wiener Darstellungen, sagen wir mal, ein klein wenig widersprachen. Er bat mich, Anmerkungen mit gezielten und für Eingeweihte erkennbaren Wahrheits- und Wirklichkeitsbeweisen unter entsprechende STANDARD-Etat-Artikel einzustellen. Ich fragte ihn, ob wir beide uns so nicht zu einem Werkzeug Dritter machen würden und ob er in Österreich verbrannte Erde hinterlassen wolle, was beruflich von Nachteil sei, sollte jemals jemand seine Identität enthüllen. Doch das wischte er einfach vom Tisch. Mir war das ohnehin egal, denn wenige Wochen zuvor war ich ja nur der vermeintlich Mordverdächtige eines kalifornischen Kriminalromans der späten Fünfzigerjahre.

Die Posts hatten etwas Hellsichtiges an sich, und so manche Vorhersage wurde von der Wirklichkeit schnell eingeholt. Ab 2007 dann hatte ich, hatten wir wohl die Aufmerksamkeit der ganzen bedeutenden Medienöffentlichkeit Österreichs. Bei den Medientagen im November grüßte der damalige News-Verlag-Geschäftsführer Oliver Voigt vom Podium her mit der Entgegnung: Print lebt. Voigt vermutete wohl, Lennox säße im Publikum. Doch der Fotograf und ich saßen gerade im Berliner Borchardt zu Mittag zu Tisch. Und hatten wieder viel zu lachen.

Wien macht feig

Ab 2008 dann bat mich der Fotograf, das Meme etwas abzuschwächen. Er hatte wohl kalte Füße bekommen; auch war er – für ein Jahr lang – nach Wien zurückgekehrt, wo er ein Magazin entwickelte, das nur deswegen heute noch erscheint, weil den Besitzer keine Geldsorgen plagen. Wien macht feig, dass wusste ich. Also erfand ich für ihn den erweiterten Satz: "Print ist tot, außer 'Brand eins', 'Neon', die 'Zeit' und alle Condé-Nast-Produkte." Das war zwar weit weniger sexy als "Print ist tot", vermittelte aber die auch heute noch gültige Wahrheit, dass Printprodukte nur Sinn machen, wenn es Sinn macht, sie zu lesen; wenn sie Neues, Erhellendes und Wesentliches bieten, das andere Printmedien nicht bieten können oder bieten wollen. Zeitungen und Zeitschriften müssen Freund sein, Begleiter sein, unterhaltender Ratgeber sein – ein notwendiges Lebensmittel sein.

Für einen Tag Chefredakteur des Ressorts

Schon 2008 hatte die Ressortleitung des Etat-STANDARD ermittelt, wer hinter Terence Lennox stand, und bat den Fotografen im Frühjahr 2009, einen Tag lang die Chefredaktion des Ressorts zu übernehmen. Ich durfte mitkommen und ihm Fragen einflüstern und sogar Artikel schreiben. Wir beide waren an dem Punkt angelangt, an dem ich die Themen vorgab, die Terence Lennox in seinen Posts behandeln würde. Der Fotograf war nur mehr Zaungast und machte sich ohnehin wieder nach Berlin vom Acker.

Danach gab es nichts mehr zu holen. Das Ding mit "Print ist tot" und mit "Print ist tot, außer ..." war durch, wurde zum Gähnen redundant und somit unangenehm – auch jenen, die gleicher Meinung waren. Zudem gab es auch keine informativen Hamburger Mittagessen mehr, denn der Narr hatte seine Pflicht getan. Was blieb, war zu warten, dass all das Vorhergesagte eintrat. Dass es eintrat, war nach dem ersten iPhone, dem ersten iPad und dem absehbaren Siegeszug der Smartphones nur mehr eine Selbstverständlichkeit.

Das Analoge wird das Besondere sein

Und heute? Würde ich – der Fotograf wird dazu gar nicht mehr befragt – das Meme "Print ist tot" immer noch vorbehaltlos unterschreiben? Nein, sicher nicht, denn nach der glanzlos gescheiterten Weiter-so-Politik der damaligen Verlagsmanager hat man sich zwar in Deutschland und Österreich mit der Erosion abgefunden, doch gibt es weiterhin Möglichkeiten, auch bedeutenden Printjournalismus zu machen. Und zu verlegen.

Dazu bedarf es aber Verlage, die sich – wie Axel-Springer in Berlin – vielfältig neu aufstellen und zum Informationskonzern wandeln, der nicht nur im eigenen Lande tätig bleibt und auch weite Geschäftsfelder abgrasen will. In Österreich ist es dabei nur bei Ansätzen geblieben. Und eines noch: Bei all dem digitalen Überangebot wächst die Sehnsucht der "Digital Natives", wieder etwas Analoges in der Hand zu halten. Denn das Analoge wird das Besondere sein, das Alleinstellende, das Singuläre, das die Person auszeichnet, die es im Gebrauch hat und diesen Gebrauch lebt. Print lebt also. Und wird leben. Es ist Zeit, dieses Meme zu entsorgen. Wie all die damaligen Kommentare im STANDARD-Forum. Denn was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. (Terence Lennox, 10.4.2019)