Die Sturmgewehre von Steyr-Mannlicher sind eine Ikone, nicht nur unter Waffennarren. Jeder, der beim Bundesheer in Österreich war, kennt das "STG-77", die bekannteste von dem oberösterreichischen Industriebetrieb hergestellte Waffe. Aber wie tickt ein Waffenbauer? Dieser Frage wollte DERSTANDARD im aktuellen Unternehmergespräch mit Gerhard Unterganschnigg nachgehen.

STANDARD: Sie haben Steyr Mannlicher, das heute Steyr Arms heißt, 2007 gemeinsam mit einem Partner erworben. Wieso sind Sie eingestiegen? Sie hatten davor nie etwas mit Waffenbauern zu tun.

Unterganschnigg: Ich habe früher in einer Investmentbank gearbeitet, komme also aus einer völlig anderen Branche. Anschließend habe ich mich in einer Private-Equity-Partnerschaft selbstständig gemacht: Wir kaufen mit eigenem Geld Unternehmen, meist solche, bei denen Sanierungsarbeit zu leisten ist. 2007 stand Steyr Mannlicher zum Verkauf. Ich war sofort daran interessiert, eine solche Ikone der österreichischen Industrie zu kaufen. Seitdem ist das Unternehmen für mich eine Herzensangelegenheit.

STANDARD: Wenn ein Schokoladenfabrikant sagt, seine Arbeit sei ihm eine Herzensangelegenheit, ist das nicht weiter verwunderlich. Aber warum ist der Bau von Waffen für Sie so wichtig?

Unterganschnigg: Ursprünglich durch mein Interesse an der Jagd. Steyr Mannlicher ist die Ikone unter den Jagdwaffen. Als das Unternehmen zum Verkauf stand, war das für mich als Jäger in etwa so, wie wenn Sie als Ferrari-Fan plötzlich die Möglichkeit bekommen würden, Ferrari zu kaufen. Mit der Zeit kamen neue Faszinationen hinzu. Etwa die technische Herausforderung, ein zuverlässiges Produkt herzustellen, das auch bei widrigem Umfeld, wenn es nass oder schmutzig ist, perfekt funktioniert. Aber ich bin kein Waffennarr, der 27.000 Pistolen zu Hause hat. Außer meinen Jagdgewehren habe ich keine Waffen zu Hause.

STANDARD: Warum nicht? Wegen Ihrer Kinder? Sie haben drei.

Unterganschnigg: Nicht wegen der Kinder. Kinder und Waffen müssen kein Widerspruch sein. Wenn man Waffen zu Hause hat, sollte man sich aber jedenfalls mit den Kindern damit auseinandersetzen, damit sie dieses Mystische und Anziehende verlieren. Dann passieren auch nicht so Dinge, dass sich ein Kind aus Neugier den Schlüssel besorgt, die weggesperrte Waffe nimmt und Unheil anrichtet.

STANDARD: Warum haben Sie sonst keine Waffe zu Hause?

Unterganschnigg: Damit eine Pistole effektiv zur Selbstverteidigung eingesetzt werden kann, bedarf es viel Übung. 99,9 Prozent der Menschen fehlt die dafür notwendige Zeit. Um auf kurze Distanz mit normaler Munition einen Angreifer zu stoppen, muss man einen präzisen Schuss anbringen können. Um das in der Hektik zu schaffen, braucht man Disziplin und Training. Mit einer Pistole zu Hause ist nur derjenige sicher, der die Handhabung der Waffe automatisiert beherrscht. Das ist bei mir auch nicht der Fall.

Steyr Arms hat eine lange Geschichte. Das Unternehmen wurde ursprünglich 1864 gegründet.
Foto: Schwarzl

STANDARD: Wir waren überrascht, dass Sie unsere Interviewanfrage angenommen haben. Die Waffenindustrie arbeitet gern diskret.

Unterganschnigg: Es ist ein Fehler, sich in ein kommunikatives Eck zu stellen. Wir haben als Industrie nichts zu verstecken. Als Steyr Arms leisten wir einen wichtigen Beitrag dazu, dass Polizei- und Militäreinheiten ordentlich ausgerüstet sind und dass die Jäger ein ordentliches Instrumentarium haben. Wobei es Besonderheiten in unserem Geschäftszweig gibt.

STANDARD: Welche?

Unterganschnigg: Wir unterliegen nicht dem klassischen Auf und Ab der Wirtschaftskonjunktur. Ein erhöhter Bedarf an unseren Produkten entsteht, wenn in der Bevölkerung ein höheres Sicherheitsbedürfnis aufkommt. In Österreich war das während der Migrationskrise der Fall. Menschen haben sich vom Staat im Stich gelassen gefühlt, alle Schleusentore waren geöffnet, das war ein politisches Versagen. Die Leute haben gesagt: Wenn ich mich nicht mehr auf den Staat verlassen kann, dass dieser das managt, dann muss ich selbst die Kontrolle übernehmen. Auch terroristische Bedrohungen sorgen für stärkere Nachfrage.

STANDARD: Die Anschläge in Europa waren also Basis für gute Geschäfte?

Unterganschnigg: Absolut! Viele Länder sind draufgekommen, dass sie den Bedrohungen nicht ausreichend entgegentreten können. Die Bedrohungsszenarien haben sich ja verändert. So treten Terroristen inzwischen mit Schutzwesten bei Anschlägen auf. Das bedeutet, dass die Polizei andere Waffen braucht, um darauf zu reagieren.

STANDARD: Wer ist Ihr größter Auftraggeber derzeit? Die Polizei in Österreich hat vor kurzem gut 7000 Sturmgewehre bei Steyr bestellt.

Unterganschnigg: Derzeit ist es in der Tat die österreichische Polizei. Der 2018 vergebene Auftrag ist heuer abgearbeitet. Ansonsten findet der größte Teil unseres Geschäftes im Export statt.

STANDARD: Sie sagen, der Bedarf an Waffen steigt, weil Menschen Sicherheit wollen. Ist das nicht ein Trugschluss? Erzeugen Waffen nicht mehr Unsicherheit? In den USA kann man das ja angesichts regelmäßiger Amokläufe und zehntausender Schusswaffentoter Jahr für Jahr gut beobachten.

Unterganschnigg: Ich beschäftigte mich viel mit dieser Frage. Ich sehe es so: Schauen wir uns die Schweiz an. In praktisch jedem Haushalt dort steht ein Sturmgewehr. Eine vollautomatische Waffe, die schlimmste Waffe überhaupt. Hört man etwas von extremer Gewalt in der Schweiz? Nein. Die größte private Schusswaffendichte in der Bevölkerung gibt es weltweit auf Kreta. Hört man von dort etwas? Nein. In den USA gibt es hunderte Millionen Schusswaffen, und es passiert viel. Das Problem sind nicht die Waffen, sondern die Gesellschaft. Eine Waffe ist ein Mittel zum Zweck.

STANDARD: In Österreich wirbt Steyr Arms online mit dem Bild eines Jägers in ländlicher Idylle. Auf der US-Homepage zeigen Sie halbautomatische Sturmgewehre. Wieso verkaufen Sie diese Waffen an Privatkunden? Das passt ja mit dem Image, das Sie propagieren, diesem "Wir liefern nur an Behörden und Jäger", nicht zusammen.

Unterganschnigg: Die halbautomatischen Waffen können Sie auch in Österreich kaufen. Sie können damit nur einzelne Schüsse abgeben, maximal zehn Stück. Was private Kunden damit machen? Die gehen auf einen Schießstand damit, und sie fühlen sich zu Hause noch einmal ein Stück weit sicherer, als sie das mit einer Pistole tun würden.

STANDARD: Fürchten Sie nicht, dass Ihre Waffen einmal bei einem Amoklauf verwendet werden?

Unterganschnigg: Das ist ein Risiko, dem wir ausgesetzt sind. Das ist leider so. Ich meine, man kann uns das nicht vorwerfen. Man kann auch mit einem Auto einen Anschlag verüben und sollte dafür nicht die Automobilproduzenten verantwortlich machen.

STANDARD: In Österreich ist doch das Leben auch deshalb sicherer, weil Konflikte seltener in Waffengewalt münden, weil weniger Pistolen im Umlauf sind.

Unterganschnigg: Allein in Österreich gibt es 120.000 Jäger und daneben noch viel mehr Privatpersonen, die Waffen zu Hause haben. Ich würde diese Dichte nicht unterschätzen. Warum passiert weniger? Weil wir gesellschaftspolitisch anders aufgestellt sind. Wir haben nicht so viele verzweifelte Menschen wie in den USA, die irgendwo Dampf ablassen müssen. Es braucht Kontrolle, es braucht Waffengesetze. Aber meiner Meinung nach darf man Menschen nicht das Recht absprechen, sich auch zu verteidigen.

Unterganschnigg in seinem Waffenwerk in Kleinraming, Oberösterreich. Bekannt ist Steyr für sein Sturmgewehr AUG, das auch beim Bundesheer eingesetzt wird.
Foto: Alex Schwarzl

STANDARD: In Neuseeland wurden als Reaktion auf das Massaker in Christchurch die Waffengesetze verschärft. Halbautomatische Waffen, wie sie Steyr herstellt, wurden verboten. War das falsch?

Unterganschnigg: Der Täter hat eine vollautomatische Waffe verwendet, die er selbst umgebaut hat. Das sind Kriegswaffen, und die haben in den Händen von Privatpersonen in der Tat nichts verloren.

STANDARD: Österreichs Waffenbauer sind in Aufbruchsstimmung seit Türkis-Blau. Derzeit müssen Waffenausfuhren von mehreren Ministerien genehmigt werden. Wenn Sie Sturmgewehre exportieren, müssen Innen- und Außenminister zustimmen. Künftig soll eine selbstständige Behörde zuständig sein, heißt es im Regierungsprogramm. Das war eine Forderung der Waffenindustrie.

Unterganschnigg: Wir glauben, dass es wichtig ist, den Genehmigungsprozess zu entpolitisieren. Es soll klare Regeln dafür geben, wann Waffen ins Ausland verkauft werden dürfen. Aber die Letztentscheidung, ob ein Unternehmen liefern darf oder nicht, soll nicht von der politischen Tagesopportunität abhängig sein. Um einen Großauftrag an Land zu ziehen, ist jahrelange Vorarbeit notwendig. Im Schnitt dauert es drei bis fünf Jahre. Erst zum Schluss, wenn die Produktion schon startet, können wir den Ausfuhrantrag stellen und bekommen Gewissheit, dass wir liefern dürfen. Wenn die Behörde plötzlich sagt, das geht nicht, kann das existenzbedrohend sein.

Idylisches Jagdleben: Ein Screenshot von der Österreich-Website von Steyr Arms.

STANDARD: Wer nimmt auf die Interessen der Waffenindustrie mehr Rücksicht: FPÖ oder ÖVP? Ich frage, weil der Waffenbauer Glock ein gutes Verhältnis zu einigen FPÖ-Spitzenpolitikern hat. Ist das bei Ihnen auch so?

Unterganschnigg: Ich weiß nicht, wer da mehr zuhört. Aber die Politik hat erkannt, dass man mit einer unabhängigen Behörde das Thema entpolitisieren kann.

STANDARD: Haben Sie schon Waffen gebaut, die Sie nicht verkaufen durften, weil ein Land plötzlich in die Schlagzeilen gekommen ist?

Unterganschnigg: Wir hatten in letzter Zeit dieses Problem nicht so stark. Aber es gab einen Fall mit Waffenexporten nach Saudi-Arabien, bei der eine österreichische Firma noch nicht einmal den Exportantrag gestellt hatte und schon von Parteien kritisiert wurde. Und genau vor solchen Situationen möchten wir gefeit sein.

STANDARD: In ein Kriegsgebiet dürfen Sie gar nicht. Aber was ist mit repressiven Regimen? Liefern Sie nach Saudi-Arabien?

Unterganschnigg: Nein, schon lange nicht mehr. Wir liefern an stabile Staaten, wo Standards eingehalten werden. Direkt an menschenverachtende Regime zu liefern, ist Kraft der österreichischen Regularien gar nicht möglich. Wir liefern sehr wohl an Monarchien.

Zum Vergleich: Ein Bild von der Website von Steyr-Arms-USA.

STANDARD: Ihr wichtigster Absatzmarkt?

Unterganschnigg: Wir liefern vor allem in die USA. Im Nahen Osten ist Oman ein wichtiger Kunde. Auch Indonesien. Dann wird es eh schon eng, weil Österreich so restriktiv ist: Neuseeland, Australien und mehrere Länder in Südamerika sind wichtig für uns. Als zukunftsträchtige Märkte sehen wir Thailand, aber auch Malaysia an. Interessant ist Indien, die indische Armee steht vor einer riesigen Modernisierung. Aber im Fall von Indien sind wir schon in Diskussion, ob wir überhaupt dorthin liefern dürfen, wegen der Situation mit Pakistan.

STANDARD: Unlängst sind Fotos aufgetaucht von Steyr-Waffen in den Händen von IS-Kämpfern in Tunesien.

Unterganschnigg: Da muss man den Hintergrund kennen: Diese IS-Kämpfer haben Waffen der Armee erbeutet. Wenn so ein Foto dann in der Zeitung erscheint, wird wieder ein Mordsbahö gemacht, aber man muss sich fragen, wie das wirklich passiert ist.

STANDARD: Zum Schluss: Was fasziniert Sie an der Jagd? Am Ende des Tages wird da nur ein Tier ...

Unterganschnigg: ... erlegt, das dann gegessen wird. Dabei gibt es für die Jagd bestimmte Vorschriften, die zu beachten sind. Etwa wann Erntezeit ist – für mich ist das eine Ernte. Ich weiß, was ich esse, bin in der Natur, und daran erfreue ich mich. Im Übrigen ist das ein großer Trend. Unsere Umsätze im Verkauf von Jagdwaffen steigen, weil immer mehr Menschen erkennen, dass es gut ist zu wissen, wo das Essen herkommt. Auch Menschen, die Sie als Pazifisten bezeichnen würden, machen das zunehmend. Wenn man ein Tier richtig erlegt, ist das etwas Gutes – ähnlich wie mitten in der Stadt Gemüse anzubauen.

STANDARD: Neu eingeführt wurde jetzt in Österreich, dass die Jagd auch mit Schalldämpfern erlaubt ist. Ist das nicht ein unfairer Vorteil für Jäger?

Unterganschnigg: Bei diesem Thema herrscht viel Unwissenheit. Beim jagdlichen Schalldämpfer ist der Knall nach wie vor laut und hörbar. Er ist nur soweit gedämpft, dass keine Hörschäden beim Jäger auftreten. Und anderereits wird das Wild weniger verschreckt, also jene Tiere, die man nicht geschossen hat, werden weniger beunruhigt. Davon profitieren beide Seiten.