Als Benny Gantz vergangene Woche den vollen Hotelsaal in Tel Aviv betritt, helfen ihm auch seine Körpergröße von fast zwei Meter und seine Erfahrung als oberster Soldat nicht: Er geht in der neugierigen Menge unter. Umringt von Fotografen, Kameramännern und Personenschützern versucht der Exgeneral, zur Bühne zu gelangen. Er kommt nur schwer voran. Menschen wollen seine Hand schütteln, Selfies knipsen. Fast alle im Saal sind aufgestanden, sie recken ihre Köpfe, stellen sich auf Zehenspitzen, wollen ihn sehen: den Netanjahu-Herausforderer und Hoffnungsträger, der nach zehn Jahren unter Premier Netanjahu ihre erste Chance auf Veränderung ist.

"Wir müssen zur Einigkeit aufrufen", sagt der 59-Jährige. Israel befinde sich in einem "Zeitalter der Not", die Kulturministerin attackiere die Kultureinrichtungen, die Justizministerin das Rechtssystem, das Sicherheitskabinett die Armee und der Premier einfach alle. "Das ergibt keinen Sinn. Da stimmt etwas nicht, und ich sage euch, wir müssen das wieder richten."

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Eine Werbung des Blau-Weiß-Bündnisses stellt die Israelis vor die Wahl: Netanjahu, der mit Ultrarechten paktiert, oder Gantz und sein Team.
Foto: REUTERS/Ammar Awad/File photo

Die Zuschauer klatschen. Es ist die gebildete Mittelschicht, die hier versammelt ist, säkular, zionistisch, liberal. Viele von ihnen sind Neueinwanderer, und Benny Gantz spricht an diesem Abend Englisch – mit starkem israelischem Akzent. Das macht ihn menschlich. Ich bin einer von euch, hat er in Wahlkampfvideos gesagt. Das ist die Botschaft, die er auch an diesem Abend vermittelt.

Benny Gantz hat sich für diese Wahl mit weiteren zwei Exgenerälen und dem Politiker der Mitte, Jair Lapid, zum Bündnis "Blau-Weiß" zusammengeschlossen, um das Land zu verändern. Umfragen zufolge stehen ihre Chancen nicht schlecht. Doch werden sie es schaffen, den machthungrigen Regierungschef Benjamin Netanjahu zu besiegen, der demnächst den Rekord des am längsten amtierenden Premiers des Landes brechen könnte? "König Bibi", wie ihn seine Anhänger ehrfürchtig nennen und ihn als solchen feiern.

Begeisterte Bibi-Fans

Auch vergangene Woche auf dem Markt in Hatikva, einem ärmeren Stadtteil im Süden Tel Avivs, in dem vor allem Mizrahim zu Hause sind, Juden also, deren Vorfahren aus arabischen Ländern eingewandert sind. Als ihr "Bibi" sie besucht, umzingelt von Polizisten und Bodyguards, rasten sie auf dem Markt beinahe aus. Wie Fußballfans im Stadion rufen sie ihm zu: "Hu, ha, mi ze ba? Rosh HaMemschala-haba" – also: "Hu, ha, wer kommt denn da? Der nächste Premierminister." Auch "Bibi, ich liebe dich" rufen sie vereinzelt.

Dass ihr Bibi Zigarren und Champagner als Bestechung angenommen und sich positivere Berichterstattung erkauft haben soll, dass der Generalstaatsanwalt bereits angekündigt hat, ihn wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue anzuklagen – all das spielt für sie keine Rolle. Netanjahu ist für sie der Beschützer mit dem staatsmännischen Auftreten, der rechte Hardliner, der die Interessen Israels mit Härte nach außen vertritt, der dafür gesorgt hat, dass Donald Trump die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt und die Golanhöhen als Teil Israels anerkannt hat. Dafür lieben sie ihn.

Netanjahu weiß das. Auch deshalb macht er drei Tage vor der Wahl mit rechten Parolen Stimmung: Würde er noch einmal Premierminister werden, würde er die israelische Souveränität auf das Westjordanland ausweiten, kündigte er am Samstagabend in einem Fernsehinterview an. "Ein palästinensischer Staat gefährdet unsere Existenz", warnte er. Mit ihm werde es keine Räumung von irgendeiner Siedlung geben.

Keine roten Linien mehr

"Netanjahu – rechts, stark, erfolgreich", heißt es in seinen Wahlwerbevideos. Seinen Herausforderer Gantz und dessen Bündnis hingegen diffamiert Netanjahu als "links und schwach". Dabei hat auch Gantz’ Bündnis in seinem Parteiprogramm klargemacht, dass die Bezeichnung "links" falsch ist, wenn es um die Sicherheitspolitik geht: "Wir werden die Siedlungsblöcke stärken und normales Leben überall dort ermöglichen, wo Israelis leben", heißt es darin. Das vereinte Jerusalem müsste die ewige Hauptstadt Israels bleiben. Die Zweistaatenlösung und die Idee eines palästinensischen Staates tauchen im Parteiprogramm überhaupt nicht auf.

Um komplexe Details geht es in Netanjahus Wahlkampf nicht. Er versucht, mit simplen Botschaften Gräben aufzureißen. "Er hat den Killerinstinkt", erklärt der israelische Politikberater Moshe Gaon. "Das führt dazu, dass er keine roten Linien hat. Für ihn geht es nur ums Gewinnen, und dafür wird er alles tun."

Benny Gantz bekommt das im Endspurt des Wahlkampfes zu spüren. Zwei misslungene Fernsehinterviews, in denen er müde und unerfahren wirkte, schlachtete das Netanjahu-Team zuletzt gnadenlos aus, bezeichnete Gantz als psychisch labil. Während Gantz versucht, das Land zu einen und es Wählern rechts und links der Mitte recht zu machen, zeigt sich Netanjahu kompromisslos: Er spaltet, hetzt und setzt klar auf rechte Parolen.

Die letzten Prognosen vor der Wahl, die am Freitag veröffentlicht wurden, sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus: Blau-Weiß liegt bei 28 bis 31 Prozent der Stimmen, der Likud bei 27 bis 28. Doch selbst wenn der Herausforderer siegt, heißt das noch nicht, dass er auch Premier wird. Auch Gantz wäre auf Parteien aus dem rechten Lager angewiesen, um auf die nötigen 61 von 120 Sitzen zu kommen. Am Ende könnte der Exgeneral genau daran scheitern. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 8.4.2019)