Die riesige "Daunendecke" lässt sich nach Bedarf verschieben.


Foto: Frank Herrmann

Sechs transparente Stockwerke für Kunst und Kultur im Schatten der Wolkenkratzer.

Das Gebäude der Architektin Liz Diller setzt auch optisch einen Kontrapunkt zur sterilen Umgebung des neuen Stadtteils.

Foto: Frank Herrmann

Alex Poots erzählt gern von den Anfängen, als bei ihm in London das Telefon klingelte und er gefragt wurde, ob er sich einen Job in dieser neuen Kunsthalle in New York vorstellen könne. Der Kulturmanager winkte ab, doch als die New Yorker Wochen später noch einmal anriefen, war er zumindest bereit, sich mit Dan Doctoroff zu treffen, der rechten Hand Michael Bloombergs, des damaligen Bürgermeisters der Stadt. Vorausgesetzt, Doctoroff würde sich vorher den Macbeth anschauen, den er mit Kenneth Branagh auf eine Bühne in Manhattan gebracht hatte. Einen fulminanten Macbeth, der mit furiosen Schwertkämpfen im Schlamm begann.

Poots, ein Schotte, der schon am Londoner Barbican gearbeitet und das Manchester Festival in Nordengland geleitet hatte, war damals Chef des Park Avenue Armory, eines hochgelobten Kunstzen trums in Manhattan. Er besorgte Karten für Doctoroff und dessen Frau Alison, am nächsten Tag traf er sich mit Bloombergs Stellvertreter zum Mittagessen, um aus zuloten, welchen Spielraum er haben würde.

Die Produktion des Macbeth hatte vier Millionen Dollar gekostet. Obwohl das Theater Abend für Abend ausverkauft war, hatte es gerade einmal 3,1 Millionen Dollar an Einnahmen erzielt. Poots fragte Doctoroff, wie er die 900.000 Dollar Differenz verbuchen würde. "Sind sie eine Investition in die Kultur? Oder ein Verlust?" Daraufhin, erzählt der Mann aus Edinburgh, habe Doctoroff nur lächelnd geantwortet: "Man hat mich vor ihnen gewarnt."

Achtung Kultur!

Mit der Frage wollte Poots zu verstehen geben, dass auf die billige Tour nichts zu machen sei, sollten sie ihn anheuern. Zum Beispiel müsste das Personal verdoppelt werden, auf 90 bis 100 Leute. Bald hatte Poots nicht nur Doctoroff, sondern auch den Aufsichtsrat der neuen Institution überzeugt. Einer Institution, die damals, im Jahr 2014, nur auf dem Reißbrett existierte und die Culture Shed heißen sollte. Kulturschuppen, der Name ließ Poots’ Freunde an eine Sitcom denken, bei der nur auf Kommando gelacht werden darf. Achtung! Kultur! Jetzt bitte lachen! Warum man nicht einfach "The Shed" sage, der Schuppen? Am Freitag feierte der 475 Millionen Dollar teure, zu rund 85 Prozent aus Spenden finanzierte Schuppen seine Eröffnung mit Soundtrack of America, einer auf fünf Abende verteilten Konzertserie zur Feier afroamerikanischer Musik. Nichts, sagt Poots, habe in den vergangenen hundert Jahren eine solche kulturelle Wirkung entfaltet wie diese Musik.

Nähert man sich dem Shed von der High Line, der stillgelegten Bahntrasse auf Stelzen, die als üppig bepflanzte Fußgängerpassage ein glänzendes Comeback feiert, denkt man an einen Flugzeughangar. An einen Hangar, den man, so viel Fantasie muss sein, in eine riesige Daunendecke gewickelt hat. Die Hülle, die Decke, um im Bild zu bleiben, lässt sich je nach Belieben auf Rollen verschieben, entweder auf den angrenzenden Hochhausturm zu oder weg von ihm. Mal entsteht so eine Freiluftarena, mal eine Konzerthalle.

Kein elitärer Kulturtempel

Auf sechs Stockwerken verfügt der Shed der Architektin Liz Diller über Galerien, Theater, Proberäume. Musik, Schauspiel, Tanz, Malerei und Architektur – alles soll hier zusammenkommen. Und in New York, einer Stadt mit großartigen Theatern, aber auch exorbitant teuren Theaterkarten, will Poots Tickets anbieten, die sich jeder leisten kann. Wenn man eines nicht sein wolle, dann ein elitärer Kulturtempel, betont er. Wohlwollende sehen im Shed denn auch einen Kontrapunkt zum rasant wachsenden Hochhausambiente, das ihn umgibt, während Kritiker eher von einem Feigenblatt sprechen.

Die Hudson Yards sind das ehrgeizigste Städtebauprojekt, das in New York je in Angriff genommen wurde. 25 Milliarden Dollar hat der Immobilienentwickler Steve Ross investiert in seine "Stadt der Zukunft", wie er sie nennt. 16 Wolkenkratzer mit Büros sowie Apartments wird der Komplex beherbergen, wenn er in zwei Jahren endgültig fertig ist. Weder das World Trade Center noch das Rockefeller Center, historische Vorbilder, können von den Dimensionen her mithalten.

Was da entstehe, sei eine Insel für Reiche, urteilt der New Yorker, das Intellektuellenmagazin der Metropole. Eine Art Dubai am Hudson River, steril und ohne Bezug zum Rest der Stadt. Von der Shoppingmall mit ihren Luxusläden und Edelrestaurants bis hin zum Penthouse: Bei den Hudson Yards habe man das Gefühl, als sei es nur darum gegangen, den Superreichen dieser Welt eine Art Landeplatz zu bieten. Einen Flughafen, in dem sie all das wiederfänden, was auch anderswo zu ihrem Leben gehöre.

Gefördert wurde die Skyscraper-Enklave mit sechs Milliarden Dollar an Steuernachlässen, das Doppelte dessen, was Amazon für ein – inzwischen auf Eis gelegtes – Firmenquartier in Queens in Aussicht gestellt wurde. Auch das ruft die Kritiker auf den Plan.

Ecke am Rande Manhattans

Im Leben der New Yorker haben die Hudson Yards bis dato eigentlich kaum eine Rolle gespielt. Eine Ecke am Rande Manhattans, in die sich kaum einer verirrte. Die Long Island Rail Road parkte dort ihre Züge, Sehenswertes gab es nicht. Die Idee, eine Platte über die Schienen des Bahndepots zu legen, um darauf etwas zu bauen, geht auf eine verunglückte Olympia-Kandidatur zurück. New York wollte die Olympischen Sommerspiele 2012 ausrichten, und auch bei diesem Vorhaben war es der umtriebige Dan Doctoroff, der die Zügel in der Hand hatte.

Er warb mit dem Plan, in der vergessenen Ecke am Westrand Manhattans ein Stadion zu errichten. Daraus wurde nichts, weil der Bundesstaat New York seine Unterstützung verweigerte. Was blieb, war die Absicht, die Hudson Yards zu bebauen.

Es hatte den Vorteil, dass man vollkommen vom Reißbrett planen konnte, ohne Rücksicht auf Querulanten nehmen zu müssen. "Das große Versprechen der Hudson Yards", schreibt Justin Davidson, der Architekturkritiker des New York Magazine, "war, dass man eine komplett neue Zone der postindustriellen Metropolis ohne die Last einer komplizierten Vergangenheit schaffen konnte".

Herausgekommen sei ein privatisiertes, gewissermaßen keimfreies Idyll. Wenn diese Verklärung blitzblanken Wohlstands das sei, was sich jemand unter der Stadt des 21. Jahrhunderts vorstelle, dann, so Davidson, könne er diese Vision ganz sicher nicht teilen. (Frank Herrmann, 8.4.2019)