Zum Leben reicht es kaum: Wer in der freien Szene arbeitet, muss mit kleinen Münzen sorgsam umgehen.

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Niedrige Einkommen, prekäre Selbstständigkeit mit geringer sozialer Absicherung und fehlende Altersvorsorge: Vor allem die freie Szene kämpft unentwegt mit unsicheren Arbeitsbedingungen und einer zu geringen Bezahlung. Um sich am Leben zu erhalten, müssen allein 70 Prozent der Kunst- und Kulturschaffenden in Österreich einer zweiten Beschäftigung nachgehen. Dies bestätigt eine Studie zur sozialen Lage der Kunstschaffenden und Kulturarbeiter in Österreich, die vergangenen Herbst von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) äußerst zurückhaltend veröffentlicht wurde.

Das Dokument attestiert der Politik reichlich Handlungsbedarf: Die prekäre Situation der Kunst- und Kulturschaffenden verändere sich seit Jahren nicht. Passiert ist seither nichts. Umso erwartungsvoller zeigen sich die Interessenvertretungen der freien Szene (IGs) hinsichtlich de jüngsten Initiative der Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ). Sie lädt zu einem Symposium: Unter dem Titel Freie Szene – Freie Kunst will sie im Wiener Gartenbaukino die soziale Lage der Künstler unter die Lupe nehmen. Experten aus anderen Städten sind geladen, um über Best Practices und deren mögliche Umsetzung – auch in Wien – zu diskutieren.

Role-Model Berlin

Allen voran gilt die deutsche Hauptstadt Berlin den Wiener Kunst- und Kulturschaffenden als positives Beispiel. Im dortigen Förderwesen gibt es seit dem Jahr 2014 sogenannte Honoraruntergrenzen. Das bedeutet, dass bei der Antragstellung für Kunst- und Kulturförderungen klare Richtwerte für Honorarposten greifen, die auch von den jeweiligen Jurys berücksichtigt werden.

Rechtlich verpflichtend sind diese Honorarrichtlinien natürlich nicht. Das wäre mit dem geltenden EU-Recht nicht vereinbar. So hat man in Berlin zunächst im Bereich der bildenden Kunst mit einer freiwilligen Flat Tax zu arbeiten begonnen: Pro Ausstellung soll ein Künstler momentan mindestens 1500 Euro erhalten. Wird in einer kleinen Gruppe ausgestellt, sind zumindest 500 Euro zu veranschlagen. Vorgeprescht sind in diesem Bereich die Berliner Bezirksgalerien. Seitdem melden sich immer mehr Institutionen, die sich für die Einhaltung der Mindesthonorare selbst verpflichten wollen. Auch die darstellende Kunst ist nachgezogen und hat ebenso Richtwerte für Honorare etabliert. Im Bereich der Literatur und der Musik laufen die Verhandlungen.

Berlin sei auch deshalb so interessant, da es vom Förderwesen am ehesten mit Wien vergleichbar sei, erklärt Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich. Außerdem hätten es die Berliner geschafft, soziale MindestStandards einzuführen, ohne in anderen Bereichen zu kürzen. Die Mittel für die freie Szene wurden in den letzten vier Jahren sogar mehr als verdoppelt, und ein Extratopf für Honorarzahlungen wurde geschaffen.

Im Bereich der Musik gestalten sich einheitliche HonorarStandards allerdings besonders kompliziert. Soll eine Band gleich viel wie ein Solokünstler bekommen? Wie viel darf eine Stunde Generalprobe im Orchesterbereich kosten, wenn die teilnehmenden Instrumentalisten dort nicht angestellt sind? Die Situation der freien Musikszene in Wien bestätigt, dass noch keine klaren Antworten auf diese Fragen gefunden wurden.

Das britische Zertifikat

In Großbritannien setzt man dabei auf Freiwilligkeit: Veranstaltungsorte, die sich an soziale Standards für Musiker halten, können sich registrieren lassen und erhalten ein entsprechendes Gütesiegel. Das ist für viele allerdings nicht genug. Die Wiener Solokünstlerin Agnes Hvizdalek lebt schon seit mehr als zehn Jahren in Oslo und schätzt den dortigen Zugang zu Neuem in der Musik. Wien, sagt sie, sei in der "Hochkulturfalle" gefangen. Der Großteil der vergleichsweise geringen Budgets, die Wien der zeitgenössischen Musik widmet, wird von etablierten Playern verwaltet.

Beispielhaft nennt sie das Festival Wien Modern, dessen Vorstand aus Wiener Konzerthaus, Musikverein und Theater an der Wien besteht. Anders sei dies in Oslo: Im Vorstand des Ultima-Festivals, des größten Festivals für zeitgenössische Musik in Skandinavien, sitzen auch externe Fachleute und Musikschaffende, die von den Stiftungsmitgliedern bestimmt werden. In der Stiftung sind nicht nur die großen städtischen Institutionen, sondern auch kleinere Organisationen und sogar Musikensembles vertreten.

Hohe Erwartungen

Auch wenn für die großen Themen wie Altersvorsorge und Künstler-Sozialversicherung der Bund zuständig ist, zeigen die internationalen Beispiele, dass auf Länderebene grundsätzlich viel erreicht werden kann. Wien soll dabei vorangehen. So erhofft sich Ulrike Kuner, Geschäftsführerin der IG Freie Theaterarbeit, dass zukünftige Wiener Fördermodelle auf die Bundesländer "ausstrahlen".

Die Wiener Szene setzt große Hoffnungen in die Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Bereits in ihrer Funktion als Intendantin des Steirischen Herbst hat sie sich deutlich für eine faire Bezahlung der Künstler eingesetzt. Zuletzt betonte sie auf einer Veranstaltung im Herbst: "Die freie Szene trägt die Wiener Kultur." Das, so die Erwartung der Beteiligten an dem zweitägigen Symposium, gelte es jetzt auch in die Förderpraxis umzusetzen. (Laurin Lorenz, 8.4.2019)

Internationales Symposium "Freie Szene – Freie Kunst", 8. und 9. April im Gartenbaukino, Beginn: 10.00