Gehen oder Bleiben: Die entscheidende Frage in Großbritannien.

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London – Im schier unendlichen Gezerre um den Brexit beginnt erneut eine entscheidende Woche. Mit Spannung wird erwartet, ob die Gespräche zwischen der Regierung von Premierministerin Theresa May und der Labour-Opposition über einen Ausweg aus der Sackgasse am Montag Ergebnisse bringen.

Zudem geht es um die Frage, ob und wie lange der Austritt der Briten aus der Union erneut verschoben wird. Stand jetzt sollen die Briten die EU am Freitag verlassen. Einen chaotischen Austritt mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft will die Mehrheit der britischen Abgeordneten aber verhindern.

Angebot an Labour

Laut BBC könnte May der Labour Party den Verbleib in einer Zollunion mit der EU anbieten, um deren Unterstützung für ihren EU-Austrittskurs zu gewinnen. Das von May ausgehandelte Austrittsabkommen ist im Unterhaus bereits dreimal klar gescheitert, abgelehnt von einer Allianz aus Brexit-Hardlinern und Anhängern eines weicheren Brexits.

Labour fordert seit Monaten, dass das Vereinigte Königreich nach dem Ausscheiden dauerhaft in einer Zollunion mit der EU bleibt. Mays Konservative lehnen das strikt ab, weil das dem Austrittsvotum der Bürger vom Juni 2016 widerspreche.

Aus der EU kamen unterschiedliche Signale. Während sich Währungskommissar Pierre Mosovici am Montag überzeugt zeigte, dass es am Freitag keinen Hard Brexit geben werde, betonte der deutsche Liberale Alexander Graf Lambsdorff im Deutschlandfunk: "Eine Verlängerung für nichts und wieder nichts darf die Europäische Union dem Vereinigten Königreich nicht einräumen."

May wird am Mittwoch zum EU-Sondergipfel in Brüssel erwartet. Dort soll eine Entscheidung über die erneute Verschiebung des Austritts fallen, auf die die EU-Staaten sich einigen müssen. Die Premierministerin will – Stand jetzt – einen Aufschub bis zum 30. Juni. Ratspräsident Donald Tusk hat dagegen eine Verschiebung um bis zu zwölf Monate vorgeschlagen – mit der Option, die EU früher zu verlassen, wenn eine Einigung auf ein Abkommen gelingt.

Debatte im Oberhaus

Es könnte aber auch sein, dass May ihren Antrag noch einmal überarbeiten muss. Im britischen Oberhaus wird am Montag über einen Gesetzesentwurf debattiert, der dem Parlament das Recht geben soll, über die Dauer der Brexit-Verschiebung zu entscheiden. Tritt das Gesetz rechtzeitig in Kraft, darf das Unterhaus über die Dauer des Aufschubs abstimmen, bevor May nach Brüssel reisen kann.

Den Brexit-Deal, den May mit der EU ausgehandelt hat und der das Verhältnis zwischen Großbritannien und der Union nach dem Austritt regeln soll, hat das Parlament in London dreimal abgelehnt. In die verfahrene Debatte sollen nun Gespräche zwischen Regierung und Opposition Bewegung bringen. May will ihr Abkommen mithilfe von Labour doch noch über die Ziellinie bringen.

Divergierende Pläne

Allerdings gehen auch innerhalb der beiden großen britischen Parteien die Ansichten stark auseinander. Sie reichen vom Wunsch nach einem möglichst schnellen Austritt notfalls auch ohne Deal bis hin zu einem zweiten Referendum. Grundsätzlich spricht Labour sich für eine engere Bindung an die EU nach dem Austritt aus, Parteichef Jeremy Corbyn strebt eine Zollunion mit der EU an.

Viele Konservative beobachten die Gespräche mit Labour mit Misstrauen. Auch die Aussicht, im Fall eines längeren Aufschubs an der Neuwahl des EU-Parlaments Ende Mai teilnehmen zu müssen, stößt auf Kritik. Damit wächst der Druck auf May in den eigenen Reihen weiter. Sie hat ihren Rücktritt in Aussicht gestellt, falls ein Brexit-Abkommen zustande kommt, das vom Parlament getragen wird. In London wird bereits über mögliche Nachfolger spekuliert.

Kurz hofft auf "geordneten Austritt"

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hofft weiter auf einen "geordneten Austritt" der Briten. So könnte es beispielsweise eine Zollunion zwischen Großbritannien und der EU geben. Allerdings sei die Situation nach wie äußerst unklar, sagte Kurz am Montag zu Beginn des EU-Hauptausschusses im Parlament in Wien.

"Es bietet sich aber auch keine Mehrheit für einen Hard Brexit", sagte Kurz. "Wir erleben gerade eine gewisse Pattsituation." May versuche in den kommenden Stunden noch eine Mehrheit zu finden, doch sei das alles andere als gewiss. Gelinge ihr das, wäre der EU-Sondergipfel am Mittwoch kein allzu schwieriger. Wenn es ihr aber nicht gelinge, werde die Lage wesentlich schwieriger.

EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) hofft, dass EU-Chefverhandler Michel Barnier beim Rat Allgemeine Angelegenheiten am Dienstag "entsprechende Anhaltspunkte" zum Brexit geben könne. Wichtig sei jedenfalls, und das sei ein Grundprinzip, dass die "Einheit der EU-27 aufrechterhalten werden muss". Darüber hinaus werde es auch um die Vorbereitung auf einen ungeregelten Brexit gehen.

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber lehnte unterdessen eine Änderung des Brexit-Fahrplans ab. "Es darf keine Verlängerung der Frist geben ohne Klarheit, was das Ziel ist", sagte der CSU-Politiker der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Montag. Der deutsche EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger warnte, dass Europa wegen des Brexit-Streits gegenüber China ins Hintertreffen gerät. "Europa ist gelähmt", sagte der CDU-Politiker der "Welt". Seit mehr als zwei Jahren beschäftige sich die EU mit dem Brexit. (red, APA, 8.4.2019)